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„Kann nicht mithalten“

Fabian Pichler Foto: Daniel Eggert

KI findet zusehends Einzug in die Musikproduktion und kann bereits eigenständig Songs kreieren. Der Produzent Fabian Pichler erklärt, warum KI keinen Geschmack hat.

von Christian Frank

Wo es einst Notenlehre, gesegnete Stimmbänder und instrumentales Geschick brauchte, reicht heute ein Satz aus. Lapidar könnte man so in etwa die künstliche Intelligenz als Musikproduzent beschreiben. Man wirft der KI einige Referenzpunkte in Satzform entgegen, umschreibt etwas das musikalische Arrangement, und man bekommt einen vollständig produzierten Song ausgespuckt. Hört man regionale Radiosender, kommen einem bereits Werbejingles unter, welche sich bei genauerem oder bei manchen auch weniger genauerem Hinhören als KI-generiert enttarnen.

Auch das als letzter Song der Beatles angepriesene Stück, welches letztes Jahr, über 40 Jahre nach John Lennons Tod, das Licht der Welt erblickte, konnte beispielsweise durch die Mangelhaftigkeit der künstlichen Intelligenz fabriziert werden. Lennons Stimme konnte von alten Demoaufnahmen isoliert und wiederverwertet werden und mit der des noch unter uns weilenden Paul McCartneys im Duett wiedervereint werden. Je mehr die KI in den Gefilden der Musik Einzug findet, desto mehr evoziert sich die Frage, mit welcher sich die digitale Kunst und Fotografie bereits seit den ersten KI-generierten Bildern von Anwendungen wie Midjourney befasst: Wird die KI die Produzenten der Branche ersetzen?

„Von einem Ersatz können wir nicht ansatzweise sprechen“, beschwichtigt der junge Südtiroler Musikproduzent Fabian Pichler. Pichler ist seit über drei Jahren selbstständiger Musikproduzent und hat bereits zahlreiche Projekte für Musiker in Südtirol und darüber hinaus produziert. Als Musikproduzent ist Pichler der Hauptverantwortliche für das Musikprojekt. Von der Zusammenstellung der Sounds bis hin zum fertigen Produkt ruht darauf stets sein wachendes Auge. Er trifft sich mit den Interpreten, baut Songs vom rudimentären Gerüst einiger Akkorde zu einem pompösen Arrangement aus und verwandelt Ideen in Klänge.

„In der Musikproduktion gibt es seit Jahrzehnten automatisierte Algorithmen und dergleichen Anwendungen, welche im Entstehungsprozess eines Songs eine helfende Rolle spielen können. Das begrüße ich auch“, führt Pichler aus. Den Sprung vom Zustand eines behilflichen Werkzeugs zum Kreator einer gesamten Musikproduktion betrachtet Pichler als bemerkenswerten Fortschritt, jedoch sieht er die Qualität, wie sie die KI momentan liefert, bei weitem nicht ausreichend für eine hochwertige Produktion: „Für Spielereien oder Verwendungszwecke, bei welchen die Musik einen untergeordneten Stellenwert einnimmt, kann es vermutlich hinzugezogen werden. Doch wenn wir von einer ordentlichen Musikproduktion sprechen, können derlei KI-generierte Stücke nicht mithalten.“

Für den Musikproduzenten ist die KI durch ihre Beschaffenheit begrenzt und kann dem Nukleus musikalischen Schaffens nicht gerecht werden.

„Das Ziel moderner Produktionen ist stets, sich etwas Neues auszudenken, neue Dinge zu kombinieren und am Ende ein noch nicht dagewesenes kreatives Resultat zu fabrizieren. Die KI bedient sich ihrer eingespeisten Daten und kann nichts darüber hinaus kreieren“, konstatiert Pichler.
Musik wächst aus sich hinaus, transformiert sich und begründet ihr eigenes Genre, bis aus diesem wiederum Neues gedeiht. Diese Metamorphose liegt dem musikalischen Schaffen seit Anbeginn zu Grunde. Für Fabian Pichler ist der Faktor Mensch das Bollwerk der Musik, ein Antrieb, welcher keiner Maschine weichen wird: „Die KI hat keinen Musikgeschmack. Sie kann Sachen nicht irrational bewerten, sondern nur mit größtmöglicher Präzision das ausführen, was man ihr befiehlt. Hier wird die menschliche Komponente nie dabei sein. Vieles klingt cool, weil es Trash (Müll) ist, und man weiß nicht, warum. In der Musik ist vieles geil, weil es nicht perfekt ist. Eine KI wird aber immer versuchen, den saubersten Sound herauszubekommen; das kann steril klingen.“

Der Faktor Mensch als resilienter Fels in der Brandung der Innovation, unersetzbar durch seine Fehlerhaftigkeit.
Die Musikgeschichte gibt Pichler recht, so sagte selbst die Grunge-Legende Kurt Cobain, Frontsänger der Band Nirvana: „Wir sind musikalisch und rhythmisch zurückgeblieben“. Cobains Stimme brach nicht selten am gesungenen Ton, die Saiten waren oft verstimmt oder dumpf, der Takt nicht immer kohärent. Damit schuf die Band aus den Klängen des Hard-Rock und Punk der 80er einen bis heute unverwechselbaren Sound, dem die Maxime der Musikproduktion zugrunde liegt: Wenn es gut klingt, ist es gut.

Als nützlichen Helfer begrüßt Pichler die KI jedoch durchaus.

„Es werden in den nächsten Jahren sehr viele neue Funktionen und Möglichkeiten dazukommen, und das empfinde ich auch als eine gute Sache. Es gibt viele Aspekte in der Produktion, welche einem in seiner Kreativität Grenzen auferlegen, da man in seinen Möglichkeiten eingeschränkt ist. Dem kann durch die KI Abhilfe verschafft werden“, erklärt Pichler und setzt sich wieder hinter seinen von Studiolautsprechern flankierten Bildschirm, schließt seine Gitarre an und begibt sich auf die Suche nach dem nächsten Sound.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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