Eine neue Drogen-Politik
Das Land will die seit 20 Jahren geltenden Leitlinien zur Sucht-Politik überarbeiten. Wie ein zeitgemäßer Umgang mit Drogensucht aussehen könnte.
von Lukas Verdross
In Südtirol werden immer mehr harte Drogen konsumiert, das lässt sich aus Abwassertests der Europäischen Drogenbehörde schließen. So konsumierten die Bozner im vergangenen Jahr fast 20 Prozent mehr Kokain als noch im Vorjahr. Auch daher will die Südtiroler Landesregierung eine neue Leitlinie zur Suchtpolitik erstellen, die aktuelle Version ist 20 Jahre alt und in mehreren Bereichen veraltet. Dabei helfen soll eine Expertenkommission aus dem Sozial- und Gesundheitsbereich. Darin vertreten ist auch Bettina Meraner, geschäftsführende Primaria des Dienstes für Abhängigkeitserkrankungen im Sanitätsbetrieb.
Die Suchtexpertin hat konkrete Erwartungen an die neue Leitlinie: „Wir müssen das Rad hier sicher nicht neu erfinden, aber es gibt neue Erkenntnisse die sich auch in der aktualisierten Leitlinie wiederfinden müssen.“
Meraner hat vier konkrete Vorschläge, welche Maßnahmen die neue Sucht-Richtlinie enthalten sollte.
Die erste davon sind sogenannte „Drug-Checking-Punkte“ an Orten mit hohem Drogenkonsum, wie Raves, Festivals oder großen Diskotheken. Personen können dort ihre Drogen hinbringen und sie anonym und ohne Strafandrohung auf Stärke, Zusammensetzung und eventuelle Gefahrenstoffe überprüfen lassen. Nicht nur würde das die Sicherheit der Drogenkonsumenten erheblich verbessern, die sich keine Sorgen mehr um unerwünschte Nebenwirkungen machen müssten, es würde dem Land Südtirol auch einen besseren Einblick in den tatsächlichen Drogenkonsum der Bevölkerung geben, meint Meraner.
Momentan gibt es eine sehr hohe Dunkelziffer und gewisse Drogen wie LSD oder Ecstasy werden kaum oder gar nicht durch Abwassertests erfasst. „Solche Orte für die Überprüfung von Drogen gibt es aber nur wenige in Italien, da die rechtliche Situation – der Konsum der meisten dieser Stoffe ist illegal – sehr schwierig ist, sowohl für die Konsumenten als auch für die, die sie analysieren. Da bräuchte es Absprachen mit vielen verschiedenen Stellen und Unterstützung aus der Politik, das ist in der aktuellen Lage aber sehr unwahrscheinlich“, erklärt Meraner die Problematik.
Der zweite Anstoß von Meraner ist eine Abschaffung des strikten „Säulendenkens“, das in der aktuellen Drogen-Leitlinie fest verankert ist. Dort gibt es fünf Säulen: Behandlung, Sozialarbeit, Prävention, Schadensbegrenzung und Repression, die jeweils autonom für sich stehen. Während das vor 20 Jahren zwar Sinn ergeben habe, sollte jetzt viel stärker ein Netzwerkdenken im Fokus stehen, meint die Primaria: „Man sollte sich viel mehr auf Vernetzung und Knotenpunkte im Netzwerk konzentrieren, da die Übergänge zwischen den einzelnen Säulen meist fließend sind“.
Die dritte Forderung Meraners geht in eine ähnliche Richtung: Die starre Abfolge, die in der Drogensuchtbehandlung herrscht, soll aufgebrochen werden. „Momentan macht man Prävention, wenn diese versagt, macht man eine Behandlung, wenn diese versagt, Schadensbegrenzung. Wenn das funktioniert, gibt es soziale Maßnahmen zur Wiedereingliederung, wenn nicht, gibt es keine. Das ist nicht mehr tragbar“, kritisiert die Suchtexpertin. Soziale Integration soll nicht länger als „Belohnung“ für diejenigen vorbehalten sein, die sich erfolgreich von ihrer Sucht befreien. Eine Abstinenz sei nicht für alle möglich und auch keine reine Moral- oder Willensfrage, sondern erheblich bestimmt von äußeren Umständen wie Familie, Freunden und finanzieller Situation.
„Allgemein“, so Meraner, „hat dieser Gedanke, dass die Drogensüchtigen ja selbst Schuld sind und keine Hilfe bekommen, bis sie nicht mit dem Konsum aufhören, keinen Platz im Gesundheitssystem. Dann könnte man auch bei Übergewichtigen sagen, dass man ihre Herzprobleme erst behandelt, sobald sie 30 Kilo abnehmen oder Krebskranken erst einen Lebensstilwandel vorschreiben, bevor sie Chemotherapie machen dürfen. Das ist kein Spaß, sondern eine Krankheit.“
Daher sollten auch Suchtkranke, die weiterhin Drogen nehmen, ein Recht auf soziale Integration und Wohn-und Arbeitsmöglichkeiten, die ihrer jeweiligen Situation entsprechen, haben.
Der vierte und letzte Änderungsvorschlag Meraners ist eine deutliche Verbesserung des sozialen Umfelds, sowohl für bereits Suchtkranke als auch für die Bevölkerung im Allgemeinen. Dafür braucht es laut Meraner eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen dem Gesundheits- und Sozialbereich, wie sie beispielsweise in der Suchtkoordination bereits funktioniere. Diese soll aber ausgebaut und flächendeckend umgesetzt werden. Um diese enge Zusammenarbeit zu gewährleisten, brauche es gemeinsame Weiterbildungen und eine gemeinsame Vision.
„Auch müssen wir viel früher problematische familiäre Situationen ausfindig machen und direkt Hilfe anbieten, damit es gar nicht zu einer Suchterkrankung kommt. Drogensucht verdeckt meist die wahren Probleme, daher wollen wir das soziale Netz stärken und die Lebensqualität für alle Bevölkerungsschichten verbessern“, sagt Meraner.
Die neuen Leitlinien zur Suchtpolitik sollen innerhalb von zwei Jahren ausgearbeitet sein.
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Kommentare (1)
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nemesis
Als verstärkte Maßnahmen sehe ich mehr Kontrollen so das Lieferkette unterbrochen wird.
Wird sicher gemacht aber frage mich wie ist es trotzdem möglich das Drogen und Dopingmittel immer noch im umlauf sind im Schwarzmarkt ?.
Aber verstehe schon auch Alkohol ist ein Suchtmittel wenn man zu viel davon konsumiert.