Die Kunst der Klapperschlange
Salzburger Festspiele: Premiere mit Mozarts „Don Giovanni“ in einer beklemmenden Neueinstudierung von Romeo Castellucci.
Von C. F. Pichler/Salzburg
Mit der Kultregie von Romeo Castellucci und den musikalischen Gestaltungsräumen von Teodor Currentzis, adelt sich fast alles in Klang – Wortpoesie des genialsten „Dramma giocoso“ der Musikgeschichte „Don Giovanni“. Für Castellucci schwelgt „giocoso“ zwischen Komödie und Tragödie zeitgleich in Menschenbildern, wobei der Titelheld durch Extreme des Maßlosen seine Mitwelt traktiert, ehe er in die Todeshölle schusselt. Wir befinden uns in einer Kirche,in der Arbeiter die Bänke wegtragen, die Bilder abhängen, etwa das durch die Flut 1966 in Florenz berühmte aber für immer beschädigte Kruzifix von Cimabue, sodass das Weißkahle des Kirchenraumes die ganze Bühnenbreite ausfüllt, ehe ein Klavierflügel herunterkracht und zerschellt. Ein Synonym für die sich anbahnende Don Giovanni–Un/Welt. Eine entweihte Kirche und die herunterfallenden Gegenstände werden zu leichenweißverschleierten Resorts des Don Giovanni. Castellucci, der Bühne, Kostüme und Licht selbst ausrichtet, gelingen dichtende Bilder, die im plötzlichem Atemzug, weil pausenlos überfrachtet, szenisch nicht fassbar sind. Doch bezogen auf die feindurchdachte Personen-, Chor- und Mimenführung, erspüren wir letztgültig „die“ Mozartwelt der konkretisierten Verschleierungen. Denn wer außer Don Giovanni vertuscht in seiner Toberei ohne Stillstand Geheimnisse, Melancholien bis zum Tode?
Don Giovanni ist mit seinen sogenannten 2065 verführten „Weibern“, mit seinem hyperventilierenden (non) „lasciar le donne“, einer der nicht lieben kann und ergo der nicht geliebt wird. Ein Lüstling, der nur verführt und keinen Mord scheut. Castellucci erzählt seinen Hintergrund aus der genialsten Musikbeschreibung der deutschen Literatur – noch besser als Thomas Manns „Faustus“ Interpretation (Beethovens Opus. 111 mit Hilfe von T.W. Adorno) – von E. T. A Hoffmann 12 seitiger Prosa „Don Juan“.: „Das weiße Nachkleid enthüllt gefahrlos nie verräterisch belauschte Reize“ liest man da.
Hoffmanns Sinneseindrücke, die mit den nachtweißen von Castellucci korrelieren,charakterisieren Don Ottavio als „ein zierliches, geputztes, gelecktes Männlein, von einundzwanzig Jahren höchstens“, während er Donna Elvira als lange Hagere „mit sichtlichen Spuren verblühter Schönheit“ sieht, dem Leporello „Gutherzigkeit, Schelmerei, Lüsternheit und fronisierende Frechheit“ attestiert, und „die kleine, lüsterne, verliebte Zerlina tröstet mit gar lieblichen Tönen den gutmütigen Tölpel Masetto!“ E.T.A. erkennt eine Scheinwelt in realiter Nachwelt, die sich um 2 Uhr früh als Doppelspiel der Reichen quittiert: „Gia‘ che spendo i miei danari, io mi voglio divertir“.
Giovanni ist Engel und Teufel in Einem: „Es ist, als könne er die magische Kunst der Klapperschlange üben; es ist, als könnten die Weiber, von ihm angeblickt, nicht mehr von ihm lassen, und müßten, von der unheimlichen Gewalt gepackt, selbst ihr Verderben vollenden…“
Ein Glanzgipfel von E.T.A. ist die profunde Beschreibung der Musik des Augenblicks. Nur ein Beispiel zur Höllenfahrt des Bonvivants: „Unter entsetzlichen Akkorden der unterirdischen Geisterwelt durch Donner,das Geheul der Dämonen ruft Don Juan sein fürchterliches ‚No“, die Stunde des Untergangs ist da“. Der Spurengänger Søren Kierkegaard schwärmte in „Entweder – Oder“ (Teil I) über Don Giovanni, hinter dem er Mozart ad personam in den Himmel hebt: „Ich bin jungmädchenhaft in ihn verliebt, und ich muss es haben, daß er obenansteht, unsterblicher Mozart! Du bist es, dem ich alles verdanke, daß ich meinen Verstande verloren, daß meine Seele sich erstaunt“. Mit dem Feingefühl von E.T.A. Hoffmann und Søren Kierkegaard wandelt Castellucci die virtuose Bilderwirkung ins Musikszenische und Teodor Currentzis und seinem Utopia Orchestra in abgeklärte Eintracht um. Klingt die d-Moll Ouvertüre als Originalklang im riesigen Graben des Großen Festspielhauses etwas seltsam, so verblüffen zunächst gedehnte Zeitmaße, die dann aus dem Lyrischen in steigernder Aufruhr zur Mozart’schen Forte–Pianokultur erwachen. Besonders auffällig sind allerdings die manieriert improvisierten Rezitative mit den brillierenden Continuospielern. Die Gesangdarsteller und die Chöre: Utopia Choir und Bachchor Salzburg musizieren nicht nur, sie sind ebenso darstellerisch hochpräsent, auch weil alles von Cindy Van Acker als Bewegungszauberei choreographiert wird. Davide Luciano ist ein Don Giovanni des Lyrischen, der bei der Champagnerarie vom hochgefahrenen Orchester bejubelt wird, während er völlig nackt bei der szenisch bizarren Höllenfahrt nur noch gespenstisch mit „No, no, no“ reüssiert.
Nicht gut, wegen des zu tadelnden italienischen Idioms gestaltet Kyle Ketelsen den Leporello. Julian Prégardien ist mit weißem Königspudel ein passabler Don Ottavio. Stimmlich gefällt Ruben Drole als prächtiger Masetto, und er passt zur hinreißenden Zerlina Anna El Khashem, die als völlig Naive in der Verführungsszene mit Don Giovanni, ob ihres Mädchendasein Mitleid von diesem lausigen Schuft erregt. Federica Lombardi als Donna Elvira ist Erregung pur und sorgt als ungestüme Frau von Welt für Aufsehen. Nadezhda Pavlova als Donna Anna, die wohl in Don Giovanni verknallt ist, weil wir nicht wissen, was in jener Nacht mit dem Lüstling passiert ist, musiziert sinnlichste Prosodie von reizender Strahlkraft. Nicht zu vergessen die ätherische Erscheinung des Commendatore Dmitry Ulyanov und die melodische blendend gesungenen Soli Ensembles mit Choristen.
Sowie letztlich die 150 Salzburger Damen,die den Lüstling fortjagen wollen. Wenn aber E.T.A Hoffmann verkündet: „NO‘ Und die Stunde des Untergangs ist da“, dann muss sich das „no, no, no“ des Lorenzo da Ponte/Mozart Schurken und aller Gewalttyrannen ein „si, si, si“ in Friedenswelten umwandeln!
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