Die Ausgefuchste
Die 34jährige Umwelt-Aktivistin Cristina Guarda aus dem Veneto übertraf bei der EU-Wahl Brigitte Foppa um 2.000 Stimmen. Jetzt ist sie auch „unsere“ EU-Abgeordnete.
von Florian Kronbichler
Dienstag vorvergangener Woche eröffnete das Europaparlament seine neue Legislaturperiode.
Mit einem kleinen Verdruss für uns. Wir waren uns so sicher gewesen, wir würden unsere eigene grüne Europa-Abgeordnete haben.
Die Rechnung war ganz einfach: Das grün-linke Bündnis AVS würde die 4-Prozent-Hürde schaffen. Hat sie. Wir Grünen – soviel Abschweifung muss sein – vertrauten nämlich auf eine Südtiroler Besonderheit, die genau genommen ein SVP-Verdienst ist. Nirgendwo in Italien werden so viele Vorzugsstimmen gegeben wie in Südtirol. Ganz offenbar rührt das daher, dass unser zum „Zammhalten“ erzogenes Völkl das Ankreuzen des Edelweißes für eine Formpflicht hielt, gewissermaßen als Voraussetzung, dass die Stimme gilt. Die eigentliche Wahl begann erst nachher, mit den Vorzugsstimmen an die Kandidaten. Die Grünen waren stets Nutznießer von diesem Südtiroler Sonderverhalten. Der Reihe nach gewannen ihre Kandidaten bei Europawahlen die jeweilige Vorzugstimmen-Reihung – von Alexander Langer über Reinhold Messner, Sepp Kusstatscher, Oktavia Brugger, Norbert Lantschner. Erster oder erste wurden immer sie.
Dann diesmal, als wir es am allerbesten machten, unsere Brigitte Foppa von Platz 3 auf der Liste mit 30.000 Vorzugsstimmen ausstatteten, so vielen, wie nie ein grüner Südtiroler erreicht hat, Grünengründer Alexander Langer eingeschlossen: den Sitz verpasst. Knapp, aber verpasst. Die Enttäuschung war groß, als wäre ein Unfall passiert. Eine Nicht-Südtiroler Grüne hat Foppa den Sitz weggeschnappt. Was war geschehen?
Es war geschehen, dass italienische Grüne inzwischen auch gelernt haben, Vorzugsstimmen zu geben. Ob abgeschaut von Südtirol oder von selber schlau geworden, wer weiß. Tatsächlich erinnere ich mich an Gespräche aus meiner römischen Zeit, dass unter Wahlstrategen, auch grünen, immer wieder geraunt wurde, wie man denn als Liste dazukomme, den Südtirolern immer einen (meist einzigen) Sitz „zu schenken“.
Bei Forza Italia ist an der Wahlgarantie für den SVP-Kandidaten Dorfmann inzwischen die gleiche Polemik entbrannt.
Bei den Grünen war es diesmal Cristina Guarda, die die „gesetzte“ Südtirolerin Brigitte Foppa versetzt hat.
Die 34jährige Umwelt-Aktivistin aus dem Veneto übertraf unsere Landtagsabgeordnete um 2.000 Stimmen. Wer sie heute auf diese Großtat anspricht, stößt damit nicht grad auf eine reuige, aber doch eine sich fast entschuldigende Siegerin. „Mi dispiace molto per Brigitte“, sagt sie, bringt sich aber gleich ein und gesteht, sie freue sich „über die Überraschung“. „Immisurabilmente“ freuen würde sie sich. Verständlich. Fast feierlich verspricht sie, sie werde sich im Europaparlament gutnachbarschaftlich auch aller Südtiroler Belange annehmen.
Im venetischen Regionalrat hat die junge Frau als erste die Stimme erhoben gegen die pharaonischen Olympia-Bauprojekte 2026 von Cortina.
Die Mobilmachung gegen den Bobbahn-Wahn ihres Regionalpräsidenten Luca Zaia war Guardas Schlachtross im Wahlkampf. Nun zur Europa-Parlamentarierin befördert, hat die bisherige Regionalratsabgeordnete vor, ihre Einfluss-Sphäre definitiv auf Südtirol ausdehnen. Dies „unter ständiger Absprache und in Zusammenarbeit“ mit Südtirols Grünen. „Grüne-Verdi-Verc“, dekliniert sie ihr Leih-Mündel jedes Mal politisch korrekt durch. Auf Cortina soll Antholz folgen, auf die Bobbahn das Biathlon-Center. Die gewählte Nachbarin spricht, als fühle sie eine Bringschuld für Südtirol.
Cristina Guarda ist für ihre jungen Jahre schon eine erfahrene bis ausgefuchste Politikerin.
An Gespür für Themen und den richtigen Moment dafür steht sie ihrer Südtiroler Konkurrentin nicht nach.
Die 1990 Geborene ist um gut 20 Jahre jünger als Brigitte Foppa. Guarda hat das Sprachenlyzeum absolviert, Foppa hat das Doktorat in Sprachen. Zweimal war die Jüngere schon Regionalrätin des Veneto, dazu sitzt sie im Rat ihrer Heimatgemeinde Lonigo.
Für die Europawahl setzte das grün-linke Bündnis die im gesamten Wahlkreis Nord-Ost doch bekanntere Guarda auf Listenplatz 1 (und Foppa „erst“ auf Platz 3). Zeitgeistig warb sie im Wahlkampf mit ihrem Vornamen: „vota Cristina“. Cristina ist auch nach erfolgreicher Wahl höchst multimedial präsent. Im Herbst erwartet sie ihr erstes Kind.
Ganz öko heißt sie es „la mia creatura“. Ihre Schöpfung.
Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)
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Kommentare (5)
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robby
Hehehe!
placeboeffekt
Na ja
Schadenfreude ist ein zweischneidiges Schwert.
Ich kenne diese Umweltaktivistin nicht, aber wahrscheinlich Radikale und Utopien anhängend.
Im EU Parlament sitzen eh schon zu viele Knalltüten, da wäre jemand mit Verstand wie Frau Foppa sicher ein Gegengewicht
artimar
Natürlich kann Florian Kronbichler Brigitte Foppa persönlich einen Sitz in der EU vor ihrer Pensionierung wünschen.
Es hat nicht geklappt, wohl auch aufgrund fehlender Stimmen aus den eigenen Reihen (vgl. EU-Wahl: Offener Brief an Brigitte Foppa,).
Brigitte Foppa wollte nach Brüssel. Wohl auch, damit S. Giunta, „die italienische Spitzenkandidatin“ (verdi bz vom 13.04.2023) nachrückt.
Ich denke aber, gerade jetzt in dieser Situation braucht es aber mehr denn je, die erfahrene B. Foppa im derzeitigen Landtag.
karel
Der Sieg von Cristina Guarda war verdient, auch angesichts aller Listenstimmen, die in den anderen nordöstlichen Regionen eingegangen sind, im gesamten Wahlkreis Nord-Osten hat die AVS-Liste 332.358 Stimmen erhalten, davon 125.487 allein in Venetien und 30.866 in der Provinz Bozen, was für Südtirol 9,28% der Gesamtsumme entspricht.
Freunde aus Venetien haben mir schon in vorausgesagt, ihr Südtiroler wollt immer die besten sein, da wir sowieso die meisten Listenstimmen geben, wehre auch gerecht, dass wir ein Sitz gekommen würden und dieses Mal haben sie es geschafft!
brigittefoppa
Cristina Guarda hat verdient gewonnen. Ich habe ihr um Punkt 6.00 Uhr des 10. Juni zum Ergebnis gratuliert. Der Wahlkreis umfasste über 10 Millionen Wähler:innen, Südtirol ist 1/20 davon. Südtiroler Arroganz ist da nicht gefragt, und das liegt mir auch fern. Es gab eine Chance, wir haben sie ausgereizt. Und Cristina Guarda hat am Ende gewonnen. Wir sind ein kleines Land. Manchmal muss man sich darauf besinnen.