Der konstruierte Skandal

Foto: LPA/ 123RF.com
In der Diskussion um die Veröffentlichung der RKI-Protokolle macht die No-Vax-Szene das, was sie am besten kann: Aussagen aus dem Kontext reißen und Fakten verdrehen.
von Markus Rufin
Die No-Vax-Szene jubelt. Die entschwärzte Veröffentlichung der RKI-Protokolle (TAGESZEITUNG berichtete) wird von Impfkritikern und Corona-Maßnahmen-Gegnern im gesamten deutschsprachigen Raum bejubelt.
Auch In Südtirol springen die Vertreter der Szene auf die veröffentlichten Protokolle auf. Schließlich wurde auch in Südtirol immer wieder auf das Robert-Koch-Institut verwiesen. Einige Experten, die in der Task Force des Landes vertreten waren, nahmen auch an den Sitzungen des RKI-Krisenstabes teil.
Die Liste JWA reagiert zum Beispiel folgendermaßen: „Wir hatten Recht! Die RKI-Protokolle wurden nun komplett entschwärzt. Und sie bestätigen, was wir immer wussten: Die Regierung log.“
Womit genau Jürgen Wirth Anderlan und Andreas Colli Recht hatten, oder was nun durch die Protokolle bestätigt wird, schreiben sie nicht. Die TAGESZEITUNG hat daher bei Wirth Anderlan nachgefragt: „Wir hatten überall Recht. Die Lockdowns waren umsonst, die Masken am Arbeitsplatz waren umsonst, der Green Pass war umsonst, denn der hat nur gezeigt, dass Geimpfte und Genesene nicht ansteckend sind. Also hat es nie eine ,Pandemie der Ungeimpften‘ gegeben.“
Er habe bereits im Landtag darauf aufmerksam gemacht. Bereits im Frühjahr wurden die Protokolle veröffentlicht, nach Angaben des Instituts wurden nur personenbezogene daten geschwärzt. Nun folgt also die ungeschwärzte Veröffentlichung.
Diese bestätigt aber die Theorien nicht, sondern entkräftigt diese teilweise sogar. So sprach Wirth Anderlan im Landtag von einer Passage zur Risikobewertung im März 2020. Darin ist zu lesen, dass auf Signal einer Person, deren Name geschwärzt wurde, die Risikobewertung hochkristallisiert werden soll. Viele Kritiker vermuteten, dass dieses Signal von einem Politiker gegeben werden solle, damit würde sich die Theorie einer politisch gewollten Pandemie bestätigen.
Im Zuge der ungeschwärzten Protokolle stellt sich aber heraus, dass das Signal von Lars Schaade gegeben wurde. Er ist nicht Politiker, sondern war zu diesem Zeitpunkt stellvertretender Leiter des Instituts. Obwohl die Protokolle Wirth Anderlan also nicht recht geben, ist er nach wie vor davon überzeugt, dass es sich nicht um eine medizinische Pandemie handelt.
Es ist ein Beispiel von vielen, das zeigt, dass die No-Vax-Szene bei den Protokollen das macht, was sie schon immer gemacht hat: Aussagen aus dem Kontext reisen, Informationen, die ihnen widersprechen, ignorieren und Fakten verdrehen.
Dabei sind einige Kritikpunkte berechtigt. „Dem RKI ist vorzuwerfen, dass es geschwiegen hat, obwohl es gewusst hat, dass die Politik lügt“, meint Wirth Anderlan. Damit bezieht er sich auf den Begriff der „Pandemie der Ungeimpften“. Dass das RKI wusste, dass dieser Begriff faktisch falsch beziehungsweise überspitzt ist, wird durch die Protokolle bestätigt.
Allgemein zeigen die Protokolle auf, dass es einen intensiven wissenschaftlichen Austausch innerhalb des Krisenstabes gab. In vielen Punkten werden Argumente für und wider gesammelt, doch zu einigen gibt es einen unbestreitbaren wissenschaftlichen Konsens.
Dass aber Maßnahmen wie die Maskenpflicht oder die Impfung als wirkungslos beschrieben werden, stimmt hingegen nicht.
Ein weiterer Auszug, der laut Wirth Anderlan die Wirkungslosigkeit der Maskenpflicht beweist, stammt aus dem Oktober 2020: „Es gibt keine Evidenz für die Nutzung von FFP2-Masken außerhalb des Arbeitsschutzes.“
Was damit gemeint ist: Zu diesem Zeitpunkt gab es schlicht keine Daten zur Wirksamkeit der FFP2-Masken. Die Schutzwirkung wurde aber von den Experten des RKI angenommen. Dazu passt auch, dass sie mehrmals das Tragen der FFP2-Maske als hilfreich erachtet. So heißt es bei einer Sitzung im April 2020: „Sollten FFP2-Masken wieder verfügbar sein und alle, bei denen es sinnvoll wäre, diese tragen würden, könnte dadurch die Ausbreitung stark verlangsamt werden.“ Für Wirth Anderlan spielt das keine Rolle: „Dass es ein Für und ein Wieder gibt, ist klar. Wenn man möchte, kann man sich das aussuchen. Im Endeffekt hatten wir in jeder Hinsicht Recht.“ Für ihn ist der größte Hinweis darauf aber die Tatsache, dass er selbst ohne Impfung unbeschadet aus der Pandemie herausgekommen ist.
Die Aussagen zu den RKI-Protokollen zeigt die Arbeitsweise von Wirth Anderlan und seinen Kollegen auf. Auf der einen Seite soll das RKI die Theorien beweisen, auf der anderen Seite werden die Stellungnahmen der Experten aber wieder als völlig belanglos dargestellt.
Auch Gesundheitslandesrat Hubert Messner findet in der Veröffentlichung der ungeschwärzten Protokolle nichts skandalöses: „Die Veröffentlichung der Protokolle ist wichtig. Es zeigt, warum man bestimmte Entscheidungen getroffen hat. Aussagen, die jetzt getroffen werden, muss man auch versuchen, vom damaligen Wissensstandpunkt einordnen zu können.“
Zwar habe es beispielsweise damals keine Daten zur Wirksamkeit der FFP2-Masken gegeben, inzwischen wisse man aber genau, dass diese zum Schutz der Personen beigetragen haben. Ebenso wisse man aber auch, dass man viele Fehler gemacht habe.
„Ich bin aber sicherlich nicht derjenige, der versucht, die RKI-Protokolle für sich zu instrumentalisieren“, meint Messner. „Ich versuche diese sachlich zu lesen. Nochmal: Wir haben Fehler gemacht, die Pandemie war aber ein Fakt und keine Fiktion.“
Kommentare (22)
Lesen Sie die Netiquette und die Nutzerbedingungen
Du musst dich EINLOGGEN um die Kommentare zu lesen.