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„Das war einfach falsch“

Foto: Jakob Oberrauch

In Deutschland wurden erneut RKI-Protokolle veröffentlicht. Der auch in Südtirol gebrauchte Begriff der „Pandemie der Ungeimpften“ stellt sich als falsch heraus. Christian Wiedermann, Forschungsdirektor des Institutes für Allgemeinmedizin, gesteht Fehler ein.

Tageszeitung: Herr Wiedermann, in Deutschland sorgt die erneute Veröffentlichung von ungeschwärzten Protokollen des Robert-Koch-Instituts für Schlagzeilen. Speziell der Begriff der „Pandemie der Ungeimpften“ stelle sich als falsch heraus. Stimmt das?

Christian Wiedermann: Wenn es bei einer Formulierung wie „Pandemie der Ungeimpften“ darum geht, zu übertreiben oder überspitzt darzustellen, um verpflichtende Impfungen durchzubringen, ist das ein Fehler. Die Ungeimpften haben aber sicherlich zu einem Teil der Pandemie-Problematik beigetragen. Die Tatsache, dass nicht geimpft wurde, hat zu mehr schweren Krankheitsverläufen, zu einer höheren Belastung der Gesundheitssysteme und letztlich zu mehr Todesfällen geführt.

Die Covid-Impfung hatte also durchaus einen Nutzen?

Wir wissen heute, wie wichtig die Impfung war. Wir wissen außerdem, dass es viele Diskussionen um die Impfbereitschaft gegeben hat. Viele haben sich bewusst gegen die Impfung entschieden. Sie dachten, sie haben ein persönliches Risiko auf sich genommen, sie haben aber auch das Risiko der Gesellschaft erhöht. Geimpfte haben weniger Leute angesteckt. Die Impfung hatte also ohne Zweifel einen gesellschaftlichen Nutzen. In dieser Diskussion – inklusive politischer Instrumentalisierung – haben die Ungeimpften die Pandemie wesentlich mitbestimmt. Den Begriff so auszuweiten, finde ich persönlich dennoch falsch. Manche haben das in guter Absicht, im Sinne der Sensibilisierung gemacht, andere in Absichten, die auch von mir nicht gutgeheißen werden.

Grundsätzlich hatten die Ungeimpften also sehr wohl eine Auswirkung auf die Pandemie?

Ja, zu Anfang wurde gesagt, man kann das Virus durch den Herdenschutz von der Erde verschwinden lassen. Damals wurde viel Impf-Moral eingefordert. In gewissen Abschnitten gab es deshalb auch die Motivation die Impfung verpflichtend zu machen. In Italien war das für bestimmte Berufsgruppen der Fall. In diesem Spannungsfeld war es vertretbar zu überspitzen. Im Nachhinein betrachtet gab es aber auch einige andere Fehler. Aus der Unwissenheit im Moment wurde in bestimmten Entscheidungen, wie bei der Schließung von Schulen oder beim Tragen der Maske im Freien bei eingehaltenem Abstand, übertrieben. Viele Dinge würde und hat man bereits anders entschieden.

Glauben Sie, die Impfskepsis steigt durch die Veröffentlichung dieser Protokolle?

Ich glaube nicht, dass das der Fall ist. Alte Fehler muss man eingestehen. Impfskepsis hat vor allem mit Information und Wissen zu tun. Wenn wir sagen können, was wir in der Pandemie falsch gemacht haben, hebt das den Wissensstand. Impfskepsis hat auch mit mangelnder Transparenz zu tun. Wenn wir es uns jetzt leisten können zuzugestehen, dass dieser Begriff nicht notwendig war, unterstreicht das diese Transparenz. Das weckt dann auch das Vertrauen in die Impfung.

Eine offene Aufarbeitung ist also wichtiger als Angst vor den Reaktionen der Bevölkerung zu haben?

Genau, wobei man zwischen den Gruppen unterscheiden muss. Es gibt eine politisch instrumentalisierte Impfgegnerschaft mit eigenen Parteien. Diese überzeugt man nicht mit sinnvollen Diskussionen, impfzögerliche Menschen hingegen schon. Man muss daher Bedenken ernst nehmen und eine wertschätzende Kommunikation wählen. Jene Leute, die sich offen für oder gegen eine Impfung entscheiden, müssen kompetent beraten werden. Dazu gehört es eben auch, Fehler einzugestehen.

Impfgegner stellen nun die Maßnahmen der gesamten Pandemie und die Impfung infrage. Wie kann man dem entgegentreten?

Im Grunde geht es nur um den Faktencheck, es geht um den Verweis auf relevante, aussagekräftige und korrekte Informationen. Es gibt eigene Gruppierungen, die zusammentragen wo und wie man auf effiziente Art und Weise verlässliche Information beschaffen kann. Dazu gehört, dass klar gemacht wird, wie viel unkontrollierte Informationsinhalte in den sozialen Medien im Umlauf sind. Die Impfdiskussion im Rahmen der Pandemie ist durch einfache Fakten zu widerlegen. Dazu muss man nur die ganzen verlässlichen Organisationen und Experten anschauen. Man hatte ja eine enorm hohe Datenlage, die die Effektivität und Wirksamkeit der Impfung zusammengetragen hat. Es ist evident, dass es sich bei solchen Aussagen der Impfgegner nur um Fake News handelt. Nicht zuletzt muss dem Unsinn auch medial begegnet werden.

Interview: Markus Rufin

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