Gemieden, beleidigt und totschwiegen
Mahlers „Sechste“, die „Tragische“, bei den diesjährigen Mahlerwochen in Toblach und was es mit dieser Symphonie hierzulande auf sich hat.
von Hubert Stuppner
Alle Jahre wieder, wenn ich zu den „Mahlerwochen“ nach Toblach fahre, fallen mir in Bezug auf den Gebirgs-Anbeter Mahler Nietzsches Zarathustra-Verse ein: „Als Zarathustra dreißig Jahr alt war, verließ er seine Heimat und den See seiner Heimat und ging in das Gebirge. Hier genoss er seines Geistes und seiner Einsamkeit und wurde dessen zehn Jahre nicht müde. Endlich aber verwandelte sich sein Herz, und eines Morgens stand er mit der Morgenröthe auf, trat vor die Sonne hin und sprach zu ihr also: ‚Du großes Gestirn! Was wäre dein Glück, wenn du nicht Die hättest, welchen du leuchtest!‘“
Für normale Sterbliche wäre ein solcher Vers, selbst in der Gründerzeit, die Spitze der Anmaßung, nicht für Mahler, der sich in ähnlicher Weise über allen anderen erhaben fühlte und mit dem Satz „Meine Zeit wird kommen!“ dies selbstsicher unterstrich. Ein gründerzeitliches Prometheus-Statement, das neben dem Werk seit eh und je Scharen von Exegeten, Phänomenologen und Pathologen des Seelenlebens auf den Plan rief, so auch heuer, wo sie in der „Mahlerwoche“ auf einem dreitägigen Wochenend-Konvent den Mahler‘schen Corpus obduzierten, um dann allerdings zu verstummen, als am Abend die gewaltige „Sechste“ im Mahlersaal erklang und eine andächtige Zuhörerschaft, wie in einer profanen Saturnalie, den lebendigen Leib der Symphonie „zu sich nahm“. Eine kraftvolle Interpretation durch das „Orchestra Sinfonica di Milano“ unter Michael Sanderling, die Mahler insofern gerecht wurde, als sie die an und für sich hohe Temperatur des Ausdrucks, die Mahler in sie einkomponiert hat, etwas abkühlte und damit das Publikum vor einem allzu aufgeregten „Mitgehen“ bewahrte.
Wenn nun Mahler in Toblach, an dem Ort, wo er seine letzten Sommer verbracht hat, mit jeder Wiederaufführung seiner inzwischen als „unsterblich“ gehandelten Werke nicht nur interpretiert, sondern geradezu zelebriert wird, dann sollte man nicht vergessen, dass man ihn, den Juden, zu seiner Zeit, sowohl im Deutschen Reich als auch in den Kronländern des habsburgischen Vielvölkerstaates, nicht nur nicht ehrte, sondern mied, beleidigte und totschwieg. Eine Aversion, die von Wien auf die entferntesten Provinzen ausstrahlte und auch die bevorzugten Ferienorte im „Heiligen Land Tirol“ erreichte.
Mahler kam bereits 1897 auf Sommerferien in das südliche Tirol, stieg im Juli eine Woche lang im Sonklarhof von Ridnaun ab und verbrachte den restlichen Sommer in Vahrn, das er so schön fand, dass ihm nur ein Werk einfiel („Wo die schönen Trompeten blasen“). Ferien, die er auch 1898 im selben Ort bis zur Ernennung zum Hofopern-Direktor genoss. Schließlich verbrachte er seine letzten vier Sommer im oberen Pustertal, die drei letzten im Trenkerhof von Altschluderbach.
Während die hiesigen 5 auflagenstärksten Zeitungen geflissentlich Ankunft und Abreise prominenter Gäste meldeten, sucht man vergebens eine Notiz über den prominenten Gast in Vahrn oder Toblach. Nur einmal, kurz vor der Uraufführung der Sechsten Symphonie am 27. Mai 1906 in Essen, findet sich in der nationalliberalen „Bozner Zeitung“ ein Artikel, in dem voller Spott und Häme zu lesen stand, dass man „aus Wien in Erfahrung bringen konnte, dass der Hofopern-Direktor Mahler sein neues Werk auf dem anstehenden Tonkünstlerfest in Essen dirigieren werde, „in dem ein Riesenhammer zum Einsatz kommt.“ Der Artikel schloss mit den Worten: „Bleibt zu hoffen, dass beim Einsatz dieses Hammers, der Saalbau nicht zum Einsturz kommt!“
Im Umkreis der „Bozner Zeitung“ gaben damals die bürgerlichen Deutschliberalen den Ton an: Beethoven und Wagner, „blaue Kornblume und der Kaiseradler“, diskret antiklerikal und alldeutsch. Die Musikästhetik auf der Linie der neudeutschen Münchner Schule, in der Hans Pfitzner, Max Reger, Max von Schillings und Ludwig Thuille den Ton angaben und Mahlers Musik als undeutsch ablehnten. Weit aggressiver war der antisemitische Ton des in Bozen beim Tyrolia-Verlag in der Museumstraße verlegten christlich-sozialen „Tirolers“, der vom regelmäßig in der Brixner Guggenberg-Klinik weilenden Wiener Bürgermeister Dr. Lueger, antisemitisch inspiriert, am 3. August 1907, als Mahler mit Alma in Schluderbach weilte, eine herbe Attacke gegen die jüdische Hotel-Klientel in Toblach lancierte: „In Neu-Toblach fast jeder zweite Mensch hier Jude! …Ein Volksbund ganz anderer Art täte im Hochpustertal not. Doch wo ist der Lueger des Hochpustertals? Würden die Hoteliers einmal einen Verlust riskieren durch die Erklärung: ‚Wir nehmen keine Juden!‘“
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass es ausgerechnet die Nachkommen dieser von den damaligen Medien gerügten Toblacher Hoteliers im Umkreis des Grand Hotels waren, die 1981 die Initiative ergriffen und die Toblacher „Mahlerwochen“ ins Leben riefen: erster Präsident der Hotelier Herbert Santer, Nachfahre der bereits zu Mahlers Zeit existierenden Pension Santer in Neu-Toblach. Diese Gründung, mit zwei der damals fortschrittlichsten Künstlerischen Leiter, Heinz Klaus Metzger und Ugo Duse, war- wenn auch unbewusst – ein hochkultureller Akt gegen Engstirnigkeit und Fremdenhass, vielleicht auch – in Bezug auf Mahler -eine Art Widerruf für die damalige antisemische Schmähung, so ähnlich wie jene berühmte von Thersichoros verfasste „Palinodie“, mit der dieser das Augenlicht wiedererlangte, das er nach einer Schmähung der Helena verloren hatte.
Der Hintergedanke dieses Exkurses gilt der Politik, damit sie die „Mahlerwoche“ als kulturrelevante Institution mitteleuropäischer Ausrichtung mit all den spirituellen, ethischen, literarischen und philosophischen Implikationen als zentrale Sommerveranstaltung in Toblach erhält und das Angebot mit Vorträgen und Gesprächen zu brennenden Fragen unserer Zeit im Sinne von Mahlers Symphonie-Anspruch, in ihr die ganze Welt zu spiegeln, ergänzt. Stichwort: ein südliches „Alpbach in Tirol“.
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Kommentare (1)
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heracleummantegazziani
Es ist immer wieder interessant, wenn das besorgniserregende und immer wieder unter den Teppich gekehrte ideologische Substrat der „Heimat“ angesprochen wird.