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Polsterschlacht mit dem Schlossgespenst

Anna Fink, Ingrid Lechner, Mirko Costa, Kathrin Hirber und Horst Hermann: Das alte Europa ist nur mehr ein Disneyland mit Geisterbahn. (Foto: Karlheinz Sollbauer)

Torsten Schilling inszeniert für die Schlossfestspiele Dorf Tirol Oscar Wildes Gruselgeschichte „Das Gespenst von Canterville“.

 

Er schaut aus wie eine Promenadenmischung aus Albert Einstein, Keith Richards, Räuber Hotzenplotz und adeliger Vogelscheuche. Und er kann einem richtig leid tun. Seit 900 Jahren residiert Sir Simon Cantervilles Geschlecht auf Schloss auf Canterville oder was davon übrig ist. Doch jetzt droht die ultimative historische Schmach. Neureiche Amerikaner,  „kulturlose Wilde der neuen Welt, die vor nichts keine Ehrfurcht kennen“ und alles im alten Europa aufkaufen, was für Geld zu haben ist, haben sich das ehrenhafte Schloss unter den ruchlosen kapitalistischen Nagel gerissen. Man muss kein Snob sein, um Sir Simon Recht zu geben: das ist ganz und gar nicht die feine englische Art.

Seit 300 Jahren poltert dieser Sir Simon als Untoter auf dem Schloss seiner Ahnen herumund eigentlich ist er des Herumgeisterns todmüde – am liebsten würde er sich einfach in den Sarg legen und endlich ganz tot sein. Geht leider nicht, weil er seine Frau Lady Eleanore Canterville umgebracht hat und zur Strafe nach dem Tod keine Ruhe finden kann. Ein blutiger Fleck auf dem Fußboden erinnert an den Mord, was den neuen Hausherren Mr. Otis zu der lakonischen Bemerkung verleitet: „Tja, raue Sitten ha’m die Briten.“ Seine Tochter Virginia protestiert lautstark: Dad! Das sind keine Sitten, das ist ein Femizid!“

Oscar Wildes Erzählung „Das Gespenst von Canterville“ ist eine alte Geschichte, und eine nach wie vor rasend beliebte, die immer wieder auf den Spielplänen der Theater auftaucht. Torsten Schilling hat sie für die heurigen Schlossfestspiele Dorf Tirol auf der Vorburg von Schloss Tirol inszeniert – einen besseren Ort könnte es für die Gruselstory kaum geben.

Im Kern geht es um einen Culture Clash zwischen alter und neuer Welt in Wildes 19. Jahrhundert, doch Ähnlichkeiten mit lebenden oder realen Personen sind alles andere als rein zufällig. Schillings Bühnenfassung basiert auf der Dramatisierung von Susanne Felicitas Wolf, an der er einige Aktualisierungen vorgenommen hat.  Mr. Otis ist kein Botschafter mehr, sondern ein schwer neureicher Unternehmer, der sein Geld mit allen möglichen und unmöglichen Sprays gemacht hat: „Lupenreine Chemie, gänzlich frei von biologischen Wirkstoffen. Ich habe mit diesem Patentmittel ein Vermögen gemacht. Entfernt Flecken in zero seconds.“ Die Figuren des Bruders und Eleanors sind gestrichen, dafür gibt es die sehr komödiantische Rolle des italienischen Kochs Enrico. Waren bei Wilde die Amis noch halbwegs wohlerzogene Puritaner, so ist das alte Europa für sie jetzt nur mehr ein weiteres Disneyland mit Geisterbahn. „Mrs. Ümney, ich bitte Sie, es gibt keine Gespenster! These are inventions Ihrer depressiven Dichter und lassen sich durch das schauderhafte britische Wetter erklären“, belehrt er die „Housekeeperin“.

Kerstin Kahl hat für die in Wildes Erzählung weitgehend in Innenräumen spielende Geschichte einen zweistöckigen Gerüstbau errichtet, in den man wie in ein Puppenhaus mit mehreren Kammern hineinschauen kann. Mystery-Grusel und Versatzstücke des Unheimlichen gibt es da zuhauf – kaum tritt die amerikanische Familie auf den Plan, hat man den Eindruck, dass sie sich in eine Oper verirren und nicht mehr hinausfinden. „Damned! Hier ist wirklich noch alles sehr naturally. Maulwurf, Maulwurf,…“ sagt Mrs. Otis, als sie über den Rasen stolpert. „No problem darling, das lass ich demnächst asphaltieren“ beruhigt sie ihr Gatte.

Schilling hat eine ganze Menge köstlicher Regieeinfälle in seine leichte und fröhliche  Inszenierung gesteckt, ohne die dem Stoff innewohnende Melancholie zu opfern. Die kulturellen Gräben zwischen alter und neuer Welt deckt er allein schon mit den Sprachfärbungen auf. Die Neuankömmlinge parlieren im breitesten Texanisch daher, vom Leibesumfang sind alle eher auf der fetten Seite angesiedelt, doch den englischen Kochkünsten von Mrs. Umney
trauen sie nicht über den Weg: „Wenn sie so kocht wie sie aussieht, bekomme ich wieder ein Magengeschwür!“ Doch auch die Pastadiät von Koch Enrico scheint nicht wirklich zu klappen: „Icke bin die wunderbarste Kocke von die Welte. Von die Ursprunk, ick stamme von Calabria, aber dann ick abe gemackt die Wanderausrung nach die america und seit demm, koche ick per la Familia Otis.“ Kein Wunder, dass ihm das Gurken-Sandwich von Mrs. Umney nicht schmeckt: „Mamma mia, hat eine Gesmack von tote Katz!“

Schilling erzählt die Story mit sichtbarer Freude, grell und slapstickreich. Den Blutfleck erzeugt er mit Licht, wenn Mr. Otis ihn einfach wegsprayt, kippt Sir Simon in einen Wutanfall: „Das hat in viereinhalb Jahrhunderten noch niemand gewagt!!! Fleckentferner!?! Eine sprühende Geheimwaffe. Diese Kojoten! Das ist ein unverzeihlicher Bruch des ritterlichen Earl-Grey-Turniergesetzes von anno 913 sowie der Zoll-Sanktion von Wimbledon. Das schreit nach Vergeltung!“

Ohne Musik (von Simon Gamper, live gespielt von Alexander Messner, Daniel Pupp und Mattia Kaltenhauser)geht das bei Schilling logisch nicht ab. Andrea Kerner steuert die phantasievollen Kostüme bei, dem Ensemble schaut man einfach gern zu, sogar sehr gerne, weil allen Gelegenheit gegeben wird, ihre Charaktere zu formen. Konrad Hochgruber spielt ein ebenso cholerisches wie tieftrauriges Schlossgespenst, Horst Herrmann umzingelt als  Optimismus-Hardliner Mr. Hiram B. Otis, an seiner Seite eine schrill toupierte Ingrid Lechner wie ein kolossales Pappkulissenwerk in der Rolle der Mrs. Lucretia Otis. Sehr gut (auch stimmlich) Anna Fink als Tochter Virginia Otis, Kathrin Hirber brilliert als Haushälterin Mrs. Umney, und Mirko Costa salzt als Koch Enrico Banti humoristisch nach. Die Zwillinge Peter und Paul Otis werden von Georg Hainz und Fabian Mutschlechner dargestellt, die sich mit dem Gespenst eine Polsterschlacht a la Max und Moritz liefern.

Das Happy End konnte Regisseur Torsten Schilling bei der Premiere wegen Regen leider nur mehr ankündigen. Schade, aber eine Gelegenheit, noch einmal hinzugehen. (Heinrich Schwazer)

Weitere Aufführungen unter schlossfestspiele.events

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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