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„Das war kein Problembär“

Foto: Naturmuseum/istock

Nach dem Bärenangriff bei Dro, fordern Politiker ein Ende des Life-Ursus-Projektes. Andrea Stoffella, einer der Väter des Projektes, verteidigt die Wiederansiedlung, gibt aber Fehler zu.

Tageszeitung: Herr Stoffella, Landeshauptmann Arno Kompatscher hat gesagt, dass das Projekt Life Ursus außer Kontrolle geraten ist und die Verantwortlichen eine Entscheidung treffen müssen. Stimmen Sie dem zu?

Alberto Stoffella: Das Wichtigste ist, zu definieren, wie viel Natur man noch zulassen möchte. Bisher waren wir diesbezüglich sehr vorsichtig.  Ein Bärenangriff wirkt immer wie eine Tragödie, aber das ist eigentlich nicht so. Die Natur ist immer gefährlich.

Man muss also damit rechnen, dass Menschen verletzt werden, wenn man mehr Natur zulässt?

Ja, das ist ganz natürlich. Wenn nichts passiert, fällt das auch niemanden auf, aber grundsätzlich verhält es sich mit einem Tier nicht anders als bei anderen Unfällen wie Steinschlägen oder Lawinenabgängen in der Natur. Natur ist nicht gleichzusetzen mit einem englischen Garten, in dem alles abgezäunt ist und in dem man einfach durchspazieren kann.

Das Ziel des Projektes war es 40 bis 60 Bären im Brenta-Gebiet anzusiedeln. Jetzt sollen es im Trentino über 100 sein, die sich auch außerhalb davon aufhalten. Ist das nicht ein klares Zeichen dafür, dass das Ziel überschritten wurde?

Das stimmt so nicht. Das Ziel von 40 bis 60 Bären wurde definiert, weil das die Minimalanzahl ist, damit eine Population überleben kann. Es braucht also mindestens so viele Bären, damit es genügend genetischen Austausch gibt. Selbst 100 Tiere können in jedem Moment wieder zusammenschrumpfen. Speziell unter den Tieren im Trentino gibt es viel Inzucht. Erfahrungen in anderen Ländern wie Österreich haben gezeigt, dass eine solche Anzahl innerhalb von drei Jahren wieder auf null sinken kann. In der Slowakei gibt es auf einem viel kleineren Gebiet eine dreimal so hohe Population. Das wird in der Diskussion einfach verdreht.

Trotzdem hat es in den letzten Jahren gleich mehrere gefährliche Angriffe, mit Andrea Papi sogar einen Toten durch einen Bärenangriff gegeben…

Natürlich kann eine Bärenpopulation zu einer Gefahr werden, um dem vorzubeugen braucht es eine vernünftige Steuerung. Man braucht kompetente Leute vor Ort – im Gebiet, nicht im Büro wohlgemerkt. Es gibt viele Menschen, die sich in der Theorie als Bärenexperten bezeichnen, in der Praxis gibt es aber immer weniger.

Eine kontrollierte Population ist also nur möglich, wenn man viele Experten vor Ort hat?

Ja, genau. Ein Bär ist keine heilige Kuh in Indien. Wenn es notwendig ist, muss man ihn entnehmen, wie es auch bei anderen Wildtieren der Fall ist. Man kann Angriffe aber nie ausschließen, wenn es Bären in einem Gebiet gibt. Nur praktische Kompetenz schützt vor Angriffen.

Sie schließen also Abschüsse von Problembären nicht kategorisch aus?

Nein, aber man muss definieren, wann es sich um einen Problembären handelt. Ein Muttertier mit seinem Jungen, bei dem seit langer Zeit bekannt ist, dass es sich im Gebiet aufhält, ist kein Problembär. Jedes Muttertier schützt seine Jungen. Es braucht also eine genaue Beobachtung und im Notfall eine Sperrung bestimmter Wege. Es ist für Muttertiere üblich, sich an menschliche Gebiete anzunähern, um sich vor männlichen Tieren zu schützen. Sie fühlen sich dort sicher. Deshalb ist ein Tier nicht gleich gefährlich. Es braucht in diesen Situationen kompetente Leute, die die Gefahr einschätzen können.

Würden Sie die Situation in Dro als gefährlich einschätzen?

Ich kenne die Situation vor Ort nicht. Aber wenn es wirklich ein Muttertier mit einem Jungen war und es in Vergangenheit Versuche gab, den Bär zu verscheuchen, kann es sein, dass das Tier noch gestresster war.

Zu den Angriffen kam es auf Wanderwegen, die von Menschen oft aufgesucht werden. Wie kann man die Menschen dann davor schützen?

Wenn man weiß, dass sich im Gebiet ein weibliches Tier mit einem Jungen aufhält, muss man diese Wege für eine bestimmte Zeit sperren. Das ist auf der ganzen Welt so üblich. Ähnlich ist es auch bei einer Straße mit Felssturz- oder Lawinengefahr. Wenn man mit der Natur leben will, muss man mit Konsequenzen leben. Ansonsten muss man alle Bären töten, dann ist das die Lösung.

Sie haben das Projekt Life Ursus gegründet und mitbegleitet. Befürchten Sie, dass es nun vor dem Ende steht?

Nach dem Tod von Andrea Papi gab es eine regelrechte Terrorjagd. Es gab hauptsächlich unter den Bären Opfer. Ein solches Projekt kann nur mit der Zeit reifen. Es braucht einen kulturellen Wandel, der mehrere Jahre dauert. Natürlich ist der Tod von Andrea Papi fatal, aber es war ein Unfall, den es überall in der Natur geben kann.

Gibt es beim Life-Ursus-Projekt eine Grenze? Wann ist diese erreicht?

Eine Grenze ist schwer festzulegen. Die Population lässt sich nicht auf ein Gebiet beschränken. Im Normalfall vermehren sich die Bären von alleine, das braucht eine bestimmte Zeit. Gleichzeitig werden jedes Jahr Bären durch Autounfälle oder Wilderei getötet. Zurzeit handelt es sich jedenfalls nicht um eine Mega-Population. Solange es Platz gibt, werden sich die Tiere verbreiten, die Population im Trentino ist aber nicht besonders stark, weil es viel Inzucht gibt. Im Wesentlichen stammen alle von zwei Bären ab. Irgendwann werden genetische Probleme auftreten. Ich rechne jedenfalls nicht mit einer Explosion der Population. Dafür spricht auch, dass ich Menschen kenne, die zwar im Gebiet leben, aber noch nie einen Bären gesehen haben.

Sie glauben, dass sich das Problem also von alleine lösen wird?

Es gibt bereits jetzt Probleme mit der Politik, die einen Abschuss fordert auf der anderen Seite sind Wildtiere stärker als man meint. Es ist daher schwierig, einzuschätzen, wie sich das Projekt künftig entwickelt.

Interview: Markus Rufin

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