Durch und durch französisch
Scharfer Verstand, stilistischer Instinkt und Virtuosität: Der französische Klavierstar Lucas Debargue glänzt bei den Mahler-Wochen in Toblach mit Werken von Gabriel Fauré, Ludwig van Beethoven und Chopin.
Von Hubert Stuppner
Die französische Klassische Musik hat seit Jahrhunderten zwei Seelen in ihrer Brust: auf der einen Seite die Rückkehr zu den eigenen Wurzeln, zu Rameau und Couperin, auf der anderen der intellektuell genährte Anspruch auf Originalität und Modernität, die sich auf dem Höhepunkt der Entwicklung mit dem französischen Militär-Titel „Avantgarde“ schmückt.
Im Zentrum des Programms des unlängst in den internationalen Solistenhimmel aufgestiegenen Klavierstars Lucas Debargue, stand bei den diesjährigen Mahler-Wochen bezeichnenderweise ein Komponist – kritischer Zeitgenosse von Mahler – der die beiden konträren ästhetischen Strebungen in sich vereinte, wie keiner vor ihm: Gabriel Fauré, ein Traditionalist mit revolutionärer Gesinnung. Ein Komponist, der als Direktor des Pariser Konservatoriums von 1905 bis 1920 die Lehrpläne radikal in Richtung Modernismus aktualisierte und deshalb von der alten Garde verächtlich als „Robespierre“ beschimpft wurde .
Debargue baute um Fauré, dessen pianistisches Gesamtwerk er gerade erst aufgenommen hat, ein anregendes und klug durchdachtes Programm und verglich dessen Rolle als Erneuerer an der Schwelle zum 20. Jahrhundert mit den Großmeistern Chopin und Beethoven, die beide der Klaviermusik eine neue und revolutionäre Richtung gegeben hatten. Er ging sogar so weit, dass er im ersten und zweiten Teil des Abends zentrale Werke der drei Komponisten in derselben Tonart spielte, um herausstreichen, wie radikal verschieden und zukunftsweisend etwa Beethoven, Fauré und Chopin mit ein und derselben Tonart umgingen, etwa mit der Tonart in „E“ (Faure in den Präludien, Beethovens in der e-Moll-Sonate op. 90 und Chopins mit dem 4. Scherzo in E-Dur). Oder gleichermaßen im zweiten Teil des Abends mit der enigmatischen Tonart in „cis moll“, in der Faurés Variationen op. 73 stehen, Beethovens cis-moll- „Mondschein-Sonate“ und Chopins As-Dur-Ballade, die sich auf dem Höhepunkt in cis moll windet. Nicht zu vergessen, dass die Zentralität von Fauré in diesem Konzert auch auf dessen Rolle als Lehrer großer Erneuerer in der Geschichte der Moderne hinwies: auf Ravel und Enescu, die Faurés Vorzugsschüler waren.
Die 9 Präludien op.103, die Debargue am Beginn spielte – ein Ausschnitt aus seiner Gesamteinspielung der pianistischen Opera omnia von Fauré, , erinnern an Chopins 24 Präludien. Sie sind über den modernen Ansatz hinaus skurrile Kabinettstücke in Form von Nocturnes und Barcarolles, die sich als karikierende Pinselstriche zu erkennen geben, die Fauré als häufiger Gast im Pariser Salon der Viardots improvisierend von den verwelkten Figuren de Belle-Époque auftrug, die dort noch verkehrten: die alte Chopin Geliebte George Sand, Gustav Flaubert und Iwan Turgeniew. Es sind geistreiche Petitessen, in denen die spätromantische modulierende Harmonik und eine farbige, dicht wuchernde Diatonik die Proust’sche Welt „À la recherche du temps perdu“ karikiert. Synästhetisch das Pendant auch zu Henri Rousseau‘s gemalten dunkelgrünen Vegetationen, aus denen der gelbe Tiger oder dunkelrote Blumen hervorblicken. Eine Musik, die stark nach dem Parfum der Dekadenz der späten bereits modernistisch angehauchten Pariser Bourgeoisie riecht.
Debargues Interpretationen sind durch und durch französisch, nicht nur was die nationale Klavierschule angeht, die ein artikulations -und nuancenreiches Klavierspiel gegenüber perkussiver Kraftentfaltung lehrt, sondern vor allem was die einfallsreiche und betont individuelle Repertoirewahl betrifft.
In Debargues Spiel spürte man die Pascal’sche „Unruhe des Herzens“, vom Verstand und dem Gefühl gleichermaßen gespeist –„l’esprit et de finesse et esprit de geometrie“, den Augenschein des Ebenmaßes zwischen Ausdruck und genau berechneter Geschwindigkeit, zwischen Tempo und Kantabilität. Von Fauré hält Debargue so viel, dass er nicht nur seine 57 Solo-Werke für Klavier eingespielt hat, sondern für deren Realisierung bei seinem Klaviertechniker sogar einen eigenen Flügel in Auftrag gegeben hat, der Bässe und Höhen um eine Oktave erweitert.
Debargues pianistisches Können ist außer von einem scharfen Verstand und stilistischen Instinkt von einer Virtuosität geprägt, die bei optimaler physiologischen Klavierhaltung, mit einem weich aufliegenden und entspannt federnden Unterarm spielerisch eine reiche Skala an Anschlägen hervorbringt. Er legt seine große Hand über die Klaviatur, von wo aus die langen Finger wie Tentakeln im Piano die Tasten mehr streicheln als schlagen. Er liebt Chiaroscuro-Dynamiken. So wie er nur spärlich im Halbdunkel auf der Bühne agiert, so taucht er urplötzlich, im heftigsten Forte in den Schatten eines unwahrscheinlich leisen Tons ein. Umwerfend, wie er im stürmischen letzten Satz der Mondschein-Sonate plötzlich die Melodie verdunkelt und wie aus der Ferne einen Nachhall produziert.
Der Höhepunkt seiner Bravour; das Vierte Scherzo und die Dritte Ballade von Chopin. Die zwei Zugaben galten jedoch dem Spiritus Rector des Programms: Gabriel Fauré. Großer Erfolg, lang anhaltender Applaus.
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