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Ausnahmezustand

In EXHAUST/Ajax zelebriert der Künstler und Theatermacher Kris Verdonck die öffentliche Hinrichtung des Verbrennungsmotors. (Foto: Koen Broos)

„Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“ schrieb der Kronjurist des Dritten Reiches Carl Schmitt in seiner „Politischen Theologie“. Was aber passiert, wenn die Kunst den Ausnahmezustand postuliert. Die 24. Ausgabe des Festivals Transart riskiert einen Versuch.

Explosiv verspricht gleich der Eröffnungsabend am 12. September zu werden, denn Künstler Kris Verdonck scheut nicht vor einer großen theatralischen Geste zurück: In EXHAUST/Ajax zelebriert der bildende Künstler und Theatermacher die öffentliche Hinrichtung des Verbrennungsmotors. Ein LKW-Motor wird dabei so lange aufgedreht, bis er explodiert. Die Aktion folgt dem Schema einer mittelalterlichen Hinrichtung. Der Angeklagte, in diesem Fall ein Verbrennungsmotor, wird begleitet von einer Prozession durch die Stadt eskortiert. Nach Verlesung der Verbrechen, wie den gebrochenen Versprechen von endlosem Fortschritt und Wachstum, wird das Urteil vollstreckt: Das mythologische Opfer kehrt hier wieder als gewalttätiges Ritual zur Lösung von Konflikten. Der zweite Teil des Eröffnungsabends sieht ein Konzert der Band Shortparis im “Quartier Rombrücke” Bozen vor, die vielen als der beste existierende russische Live-Act gilt. Unter der Leitung des charismatischen Frontmanns Nikolay Komiagin hat sich die Band aus St. Petersburg einen Ruf für atemberaubende rituelle Performances und dunkle, elektronische Klanglandschaften aufgebaut. Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine hat sich die Ästhetik der Band ins Tiefmelancholische gewandelt.

In den darauffolgenden Tagen ist zweimal (am 13.9. in Bozen und am 14.9. in Bruneck, an beiden Orten im jeweiligen NOI Techpark) die renommierte Wiener Performance-Kompagnie Liquid Loft zu erleben, die sich hier mit der antiken Figur der Medea beschäftigt, genauer jene Medea, wie sie 1969 von der legendären Operndiva Maria Callas in Pier Paolo Pasolinis Film verkörpert wurde. Im zweiten Teil des Bozner Aufführungstermines ist zudem die Installation Femina von Riccardo Giovinetto zu erleben in deren Verlauf Schönheitsideale der italienischen Renaissance decodiert und neu arrangiert werden, in einem Prozess, der an Künstliche Intelligenz mahnt, ohne sie zu verwenden.

Gleich am ersten Festivalwochenende stehen verheißungsvolle Außentermine mit zeitgenössischer Musik auf dem Programm: Samstag am Vigiljoch geht das Kymatic Ensemble unter dem Titel Ascension auf Pilgerwanderung und am Sonntag bespielt das stets entdeckungsfreudige Format INAUDITO/UNERHÖRT mit Studio DAN und dem ensemble Chromoson das Hotel Icaro auf der Seiser Alm. Für tanzfreudige steht an diesem ersten Festivalwochenende gleich das unverzichtbare Transart Clubbing im Edison Park in der Bozener Industriezone im Terminkalender, erneut in Form des Advanced Clubbings, kuratiert von MUTEK Montreal.

Die Band Shortparis gilt vielen als der beste existierende russische Live-Act. (Foto: Victor Yuliev)

Zeitgenössische Musik steht auch im Fokus zweier großer Produktionen der zweiten Festivalwoche: Gustav Mahlers sinfonischer Liederzyklus Das Lied von der Erde entstand 1908 in Toblach, in einer Zeit, in der sich Mahler mit Nachdichtungen altchinesischer Lyrik beschäftigte. Der chinesische Komponist Ye Xiaogang komponierte seine eigene, chinesische Version des Lied von der Erde. Während Mahlers Werk seine Entstehung in einer Zeit schwerer persönlicher Schicksalsschläge spiegelt, wollte Ye, die Schönheit der chinesischen Poesie der Tang-Dynastie zum Klingen bringen, für das Konzert werden auch drei chinesische Shanxi Jiangzhou Perkussionisten mit eigenem Instrumentarium anreisen. Am 18. September ist dann im Walterhaus in Bozen eine Hommage an die experimentierfreudige Künstlerin Lucia Długoszewski zu erleben. Gemeinsam mit vier Tänzer:innen und 12 Musiker:innen des Klangforum Wien erfüllen die herausragenden Choreografinnen Weronika Pelczyńska und Elizabeth Ward die Möglichkeitsräume von Długoszewskis Musik mit neuer Vorstellungskraft für den zeitgenössischen Tanz.

In unbekanntere Territorien und Kulturräume führen die dann folgenden Veranstaltungen: Metamorphismus lautet der Titel für das eintägige Performance-Programm am 21. September im Rahmen der Ausstellung Die Insubrische Linie beiKunst Meran, eine spekulative Verbildlichung der tektonischen Linie, die durch die Kollision der europäischen und afrikanischen Platte entstanden ist und die Stadt Meran kreuzt. Der Titel verweist auf geologische Studien, die belegen, dass auch Gesteine Wandlungen unterworfen sind. Die Performances von The School of Mutants, Betty Tchomanga und Alessandra Ferrini führen diesen Ansatz metaphorisch und performativ fort. Am 22. September verlagert sich das Festival geografisch Richtung Süden und thematisch in den hohen Norden und beschäftigt sich mit dem Schicksal des dezimierten, auf drei Staaten verteilten Volkes der Inuit. Von dessen Schicksal erzählt das Projekt Lo sciamano di ghiaccio (Der Eisschamane) mit den Mitteln des Theaters, des Kinos und der Musik: Originalmusik und Bilder wurden in Grönland aufgenommen, dazu ist der Gesang der in Dänemark lebenden Inuit Sängerin Karina Moeller zu hören.

Zurück zur bildenden Kunst und zurück nach Bozen führen Transart dann die Termine in der Stiftung Antonio Dalle Nogare, wo die japanische Performerin Akemi Takeya den Dadaismus als anti-bourgeoise Antikriegs-Gegenkunst ins 21. Jahrhundert holt und in Dialog mit der von ihr postulierten Kunstform des Lemonism setzt. Zwei Tage später präsentieren Transart und die Dalle Nogare Stiftung im Rahmen der Retrospektive «I just don’t like eggs!» Andrea Frasers Performance May I Help You? (1991/2024). Zum ersten Mal in Italien aufgeführt und in der Sammlung der Stiftung reaktiviert, präsentiert die Performance sechs verschiedene Positionen in Bezug auf kulturelle Objekte, die jeweils paradigmatisch für eine andere soziale Klasse stehen. Am 24. September steigt das Festival dann anlässlich des 10. Jubiläums des Dokumentationszentrums in die Fundamente des Bozener Siegesdenkmals hinab und reflektiert begleitet von der Stimme von Benito Mussolini über Struktur und Ordnung.

Mit einem großen Theaterprojekt in Kooperation mit den Vereinigten Bühnen Bozen beendet Transart dann sein Programm am 26. September (weitere Aufführungen am 28. und 29. September): Die 7 Tage von Mariahaim vom immersiven Theaterensemble Nesterval ist eine für die Vereinigten Bühnen Bozen und Transart Festival adaptierte Version des Stücks „Das Dorf“, das 2019 für den Nestroy-Preis nominiert wurde. Die an der Aufführung beteiligten Besucher:innen begeben sich auf die Suche nach der Magie des Sehnsuchtsorts Heimat und ergründen große Fragen nach Fremde, Gewalt, Liebe und Schuld.

Auch 2024 verfügt Transart über seine eigene Oase – die OASIE Transart. Hier ist laufen während der turbulenten Festivaltage alle Fäden zusammen, hier ist der Schauplatz der “Experiences”, die in diesem Jahr vom MUSEION Art Club kuratiert werden. Auch Tickets und Abonnements sind hier erhältlich, ebenso wie Informationen rund ums Programm.

KIDS CULTURE CLUB! Findet wie 2023 ebenfalls in der OASIE Transart statt. Im Mittelpunkt steht in diesem Jahr keine aufblasbare Skulptur, sondern die hölzerne FLAMINGA – eine begeh- und bekletterbare Struktur, die von der Innsbrucker Kunst- und Architekturschule bilding gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen im Rahmen eines Workshops gebaut wird. Die FLAMINGA ist während des gesamten Festivalzeitraums Schauplatz eines vielfältigen Programmes mit kostenlosen Kulturveranstaltungen für Kinder und Familien, das Offenheit und Verständnis für kulturelle Zusammenhänge fördern und den direkten Kontakt zu künstlerischer Praxis ermöglichen soll.

 

 

Das gesamte Programm auf transart.it

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (1)

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  • andreas1234567

    Hallo zum Kunstfreundeabend,

    eine unheimlich beliebte Veranstaltung.. Wahrscheinlich mit Millionen von Besuchern.Oder wenigstens Tausenden..Hunderten? Aber irgendwie reichen die Eintrittsgelder schon Monate vorher nicht, es wird eifrig um Spenden gebettelt, auch bei den Grosskapitalisten und Arbeitnehmerausbeutern, denen werden die Steuervorteile schmackhaft gemacht..

    https://transart.it/de/supporters

    Natürlich in herrlichstem Sternchendeppendeutsch verfasst..

    Dem Typen der in der Innenstadt von Bozen einen LKW-Motor zum Explodieren bringen will wird doch wohl hoffentlich die allfällige Strafe für diesen groben Unfug plus Zuschlag (Vorsatz) auferlegt?

    Wurde das AlpenFlair auch so massiv mit Steuergeldern gefördert oder hat sich das selbst getragen aufgrund von allgemeinem Interesse?

    Und sowas wie “ Der Titel verweist auf geologische Studien, die belegen, dass auch Gesteine Wandlungen unterworfen sind. Die Performances von The School of Mutants, Betty Tchomanga und Alessandra Ferrini führen diesen Ansatz metaphorisch und performativ fort.“ klingt mir doch arg nach „Hurz“ vom Hape Kerkeling..

    Vielleicht geh ich am 31.9 mal hin und schau mir das an..

    Auf Wiedersehen dann und dort

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