Quasi ein jüdisches Bekenner-Konzert
Das „Jewish Chamber Orchestra Munich“ eröffnete am Samstag die 44. Gustav Mahler-Musikwochen in Toblach mit Werken von Felix Mendelssohn-Bartholdy, Liedern von Fanny Hensel-Mendelssohn und Mahlers Symphonie Nr. 4.
Von Hubert Stuppner
„Über Musik zu sprechen“, schreibt George Steiner in seinem Buch ‚The Poetry of Thought‘, heißt eine Illusion nähren. Musik ist nonverbal und als solche ungeeignet, mit dem Intellekt durchschaut zu werden. Musik wirkt unmittelbar auf die Nerven, die Psyche, sie wird im Bauch wahrgenommen und in Gehirnregionen verarbeitet, wo Sprache und Logik keinen Zugang haben. Musik hat auch nichts mit Mathematik zu tun, einer anderen Form von Schönheit im exakten Sinne. Musik will erfahren und erfühlt sein, denn eine Melodie, ein Klang, eine Symphonie besteht nicht aus Worten“.
Auf ein Festival wie den „Mahlerwochen“, die auch einen hermeneutischen Anspruch haben, trifft diese Definition nur bedingt zu. Denn das Programm, das der künstlerische Leiter Josef Lanz der diesjährigen Mahlerwochen an den Beginn des Festivals gestellt hat, war „Metamusik“, Musik mit einem spezifisch außermusikalischen Gehalt.
Das Konzert handelte von der geglückten Beheimatung des aufgeklärten Judentums in der deutschen und habsburgischen Kultur des 19. Jahrhunderts. Es führte einerseits die perfekt vollzogene Inklusion der genialen jüdischen Dynastie der Mendelssohns in dem vorwiegend protestantischen Land der „Dichter und Denker“ vor und wies andererseits mit einer Klezmer-betonten kammermusikalischen Fassung von Mahlers Vierter Symphonie auf die Reste des nicht assimilierten ungezähmten jüdischen Erbes der Mahlerschen Symphonik im katholischen Vielvölkerstaat der Habsburger hin, wo das Misstrauen gegen die Aufklärung es den Juden nicht leicht machte, sich vollständig zu integrieren.
Daniel Grossman, verstand seinen Auftritt mit dem „Jewish Chamber Orchestra Munich“ und der bekannten israelischen Sängerin Chen Reiss als Solistin, quasi als ein jüdisches Bekenner-Konzert, indem er auch verbal, in Anlehnung an Leonard Bernsteins Mahler-Verständnis, auf das spezifisch Jüdische in Mendelssohns und Mahlers Musik hinwies und in der Interpretation hervorkehrte
Es war musikhistorisch ein Konzert über zwei nicht übereinstimmende, zeitlich und geographisch unterschiedliche Paradigmen von Assimilierung des Judentum durch Aufklärung, Toleranz und Liberalität. Dass es in beiden Fällen die Musik war, die gepaart mit Dichtkunst und Philosophie bei gleichzeitiger Aufgabe religiöser Vorbehalte das Wunder der fruchtbaren Koexistenz vollbrachte, interessiert nicht nur die Kunst, sondern die Zivilisation als Ganzes. Dies meinte wohl auch der Landeshauptmann, der in seiner schlichten Begrüßung just auf diesen Aspekt hinwies, als er von der „Rolle der Kultur inmitten einer aufkommenden Barbarei“ sprach.
Der Großvater von Felix Mendelssohn-Bartholdy, der Vater der Assimilierungs-Philosophie, Moses Mendelssohn, las nach dem Talmud die Enzyklopädisten, Locke und Leibniz, verkehrte im Berliner „Gelehrten Kaffeehaus“ mit Lessing und überwand, selbst ein „Nathan der Weise“, jede Form von Fanatismus und religiöser Schwärmerei. Er ließ vier von seinen sechs Kindern taufen, unter ihnen Abraham Mendelssohn-Bartholdy, den Vater von Fanny Hensel und Felix Mendelssohn-Bartholdy, der die seinen ebenfalls taufen ließ.
Werkwahl und Interpretation waren so angelegt, dass der Hörer unschwer den unterschiedlichen Bildungsweg der Mendelssohns im protestantischen Preußischen Staat und jenen von Gustav Mahler im katholischen Habsburgischen Vielvölkerstaat erkennen konnte. Im ersten Teil des Konzerts die vollkommene Anpassung der Mendelssohns, die sich in der Deutschen Kultur so gründlich beheimaten, dass ihre Nachfahren während der nationalsozialistischen Rassenhysterie gar nicht wussten, dass sie jüdischen Ursprungs waren. Den beiden Werken von Fanny und Felix Mendelssohn konnte die jüdisch-betonte Interpretation allerdings wenig anhaben: Es war authentische klassische Musik ohne eine einzige Note, die nicht der Tradition von Bach bis Beethoven entsprochen hätte.
Nicht so bei Mahlers Vierter, in der Grossman das schamlose Schöne bei Mahler zu allerlei Launen und Lustigkeiten verdinglichte und die Puppen tanzen ließ: rasche Zeitmaße, urplötzliche Beschleunigungen und lange Fermaten, ein Adagio „Verweile doch, du bist so schön“, das Scherzo zum doppelbödigen Scherz verbogen und im Stil „Der Teufel tanzt es mit mir“ aufgeführt. Eine „Als ob-Symphonie“ nach Adornos Formulierung. Von wegen: „Kein Getümmel hört man nicht im Himmel!“, wie’s im Text steht. Im Grossman-Himmel der „Vierten“ tönten Pauken und Trompeten, es heulten Flöte und Oboen, brüllte die Hörner und starker Wind blies durch die Notenblätter. Man wurde an die skurrile Poesie der Bilder des jüdischen Malers Marc Chagall erinnert: jene aus dem jüdischen Schtettls Witebsk, wo der Maler die Liebenden eng umschlungen über den Dächern schweben lässt, weil auf dieser leidgeprüften Erde kein Sein mehr ist.
Mit den Liedern von Fanny Hensel, der Schwester von Felix, berührte das Programm auch eine Gender-Problematik. Fanny stand ihrem Bruder, was Talent betraf, in nichts nach. Mit 13 Jahren spielte sie dem Vater zum Geburtstag bereits alle 24 Präludien aus dem Wohltemperierten Klavier von Bach auswendig vor. Trotz dieser frühen Genieprobe verbot der Vater der 15- Jährigen den Musikberuf: „Die Musik wird für Felix vielleicht Beruf, während sie für dich stets nur Zierde, … Bildungsmittel, Grundbass Deines Seins und Tuns sein wird…. Ihm ist daher Ehrgeiz, Begierde, sich geltend zu machen in einer Angelegenheit, die ihm wichtig vorkommt, weil er sich dazu berufen fühlt…Beharre du in deiner Gesinnung und Betragen. Sie sind weiblich, und nur das Weibliche ziert und belohnt die Frauen.“
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