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Der Notruf aus dem Klo

Warum eine Schiedsrichterin sich von einem Spitzenfunktionär des Südtiroler Fußballverbandes bedroht gefühlt – und sich im Klo eingesperrt hat.

von Artur Oberhofer

Den sympathischen Seitenhieb, der ihm auf der Zunge liegt, wagt Klaus Schuster doch nicht auszusprechen. Anstatt zu sagen, was er denkt – nämlich, dass Charly Wierer ein Esel sei –, erklärt der Präsident des Südtiroler Fußballverbandes Klaus Schuster: „Offiziell kann ich das Verhalten Charly Wierers nur verurteilen.“

Der Südtiroler Amateurfußball hat sein hausgemachtes Skandälchen. Für die einen ist es eine Posse. Für die anderen ein weiterer Beweis dafür, dass Fußball nach wie vor eine Männerdomäne ist.

Was ist geschehen?

Am 18. November vergangenen Jahres hätte in Terenten im Pustertal das Spiel der dortigen U15-Mannschaft gegen das Team der Gleichaltrigen des SSV Pichl-Gsies stattfinden sollen.

Mit der Leitung des Jugendspiels war die Toblacher Schiedsrichterin Alessandra Perilli beauftragt worden.

Die Schiedsrichterin entschied nach der Platzprüfung, dass das Spiel nicht ausgetragen werden könne, weil der Rasen gefroren sei und deswegen erhöhte Verletzungsgefahr für die Spieler bestehe. Sehr zum Leidwesen der Trainer und Betreuer der beiden Jugendmannschaften. Da die Gsieser zuvor bereits einmal nach Terenten gereist waren und wegen der Unbespielbarkeit des Platzes unverrichteter Dinge wieder abziehen mussten, wollten die Funktionäre der beiden Vereine das Match unbedingt durchziehen.

Die Funktionäre wiesen die Unparteiische darauf hin, dass der Platz nicht vereist sei, sondern dass lediglich eine Reifschicht auf dem Rasen liege.

Da sich die Schiedsrichterin partout nicht umstimmen ließ, holten sich die Vereinsfunktionäre Hilfe von oben. Sie riefen das (Pustertaler) Vorstandsmitglied des Südtiroler Fußballverbandes, Karl „Charly“ Wierer, aus Kiens herbei.

Wierer setzte sich ins Auto und düste nach Terenten. Über die weiteren Geschehnisse gehen die Schilderungen diametral auseinander. Tatsache ist, dass Schiedsrichterin Alessandra Perilli irgendwann in die Umkleidekabine gerannt ist, sich im Klo verbarrikadiert und vom stillen Örtchen aus die Notrufnummer 112 angewählt hat.

Gegenüber den Carabinieri (und später gegenüber der Sportsgerichtsbarkeit) erzählte die Schiedsrichterin, dass sie sich nach der Entscheidung, das Spiel aufgrund der prekären Platzverhältnisse nicht stattfinden zu lassen, in ihren Wagen gesetzt habe. Der Verbandsfunktionär Karl Wierer und die Betreuer des SSV Pichl-Gsies, Egon Hofmann, und des SV Terenten, Stefan Unterhuber, hätten sie an der Abfahrt gehindert und unter Drohgebärden und beleidigenden Aussagen dazu genötigt aus dem Auto auszusteigen, um einen neuen Lokalaugenschein durchzuführen. Obwohl sie die Männer mehrmals aufgefordert habe, ihr nicht zu nahe zu treten, hätten diese sie bedrängt und bedroht, so dass sie schlussendlich in die Umkleidekabine geflüchtet sei und sich im Klo eingesperrt habe.

Vom WC aus habe sie die 112 angewählt.

Vor der Sportgerichtsbarkeit ist der Fall inzwischen ausjudiziert worden. Karl Wierer, Egon Hofmann und Stefan Unterhuber haben im Rahmen eines Vergleichs einer Sperre von drei Monaten zugestimmt.

Von einem Schuldeingeständnis kann aber keine Rede sein. Karl „Charly“ Wierer sagt gegenüber der TAGESZEITUNG, die Sache sei „aufgebauscht“ worden.

Er habe einen Fehler gemacht, indem er nach Terenten gefahren sei. Er fühle sich aber nach wie vor im Recht. Das Spiel hätte ausgetragen werden können, sagt er. „Ich habe selbst mit der Ferse in den Rasen getreten, es entstand ein drei Zentimeter tiefes Loch, der Boden war also überhaupt nicht gefroren, es lag nur ein bisschen Reif drauf.“

Er habe die Schiedsrichterin weder bedroht noch beschimpft. „Mir ging es nur um die Buben, die sich bereits aufgewärmt hatten, und im Besonderen um die Gsieser, die im Falle einer Spielabsage zum zweiten Mal für die Katz nach Terenten gefahren wären“, wirbt Wierer um Verständnis. In der Tat hätten die beiden Mannschaften nach der „Flucht“ der Schiedsrichterin ein „gemütliches Freundschaftsspiel“ (so Wierer) ausgetragen, und niemand habe sich wehgetan.

Dem Vergleich mit der Sperre von drei Monaten habe er zugestimmt, weil er die Sache habe abschließen wollen. „Ich habe mich bei der Schiedsrichterin entschuldigt und dem Vergleich zugstimmt, weil ich Ruhe haben wollte.“

Karl Wierer und die beiden Dorfclub-Funktionäre haben der Mindeststrafe von drei Monaten auch deswegen zugestimmt, weil sie davon ausgegangen waren, dass eine Sperre über die Sommermonate kein großes Problem darstellen würde.

Für Charly Wierer könnte sich der Vergleich allerdings im Nachhinein als Bumerang erweisen. Der Grund: Weil die italienische Fußball-Nationalmannschaft bei der EM in Deutschland desaströs abgeschnitten hat, könnte Wierer jetzt sein prestigevolles Amt im Südtiroler Fußballverband verlieren.

Verbandspräsident Gabriele Gravina hat nämlich nach dem Scheitern der Azzurri in Deutschland die Neuwahlen an der Verbandsspitze auf den 4. November vorgezogen. Da die lokalen Verbände ihre Wahlen mindestens 40 Tage vor der nationalen Wahl abhalten müssen, könnte es sein, dass Karl Wierer nicht mehr als Kandidat zur Wahl antreten darf – weil seit 21. Juni für drei Monate gesperrt.

Klaus Schuster, der Verbandschef in Südtirol, bestätigt diesen Hintergrund und sagt: „Wir lassen das jetzt rechtlich klären.“

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