Wo ist die rote Linie?
Arno Kompatscher und Harald Stauder erklären, warum trotz erneuter Vorwürfe gegen den Regierungspartner Fratelli d’Italia die Koalition trotzdem weitergeführt wird.
von Lukas Verdross
Die Koalition von SVP und Fratelli d’Italia (FdI) war von Anfang an sehr kontrovers. Schnell nach Bekanntmachung der Möglichkeit einer solchen Koalition kam es, meist organisiert von der Protestbewegung No Excuses, zu großen Protesten von Teilen der Südtiroler Bevölkerung. Man will nicht von „Faschisten“ regiert werden, so das Anliegen der Protestierenden. Kompatscher sprach damals aber von einer „historischen Chance autonome Kompetenzen zurückzuerlangen.“ Und versprach gleichzeitig, dass man eine klare rote Linie ziehen und die Zusammenarbeit beenden würde, sobald diese Linie überschritten wird.
Nach den schockierenden Enthüllungen des Portals „Fanpage“ über die Gioventù Nazionale, die Jugendorganisation der FdI, am 13. Juni, fordern Zeno Oberkofler (Die Grünen) und No Excuses jetzt Konsequenzen. In den mit versteckter Kamera aufgezeichneten Videos skandieren die Jugendlichen „Sieg Heil“ und „Duce“, heben die Arme zum römischen Gruß und leihen sich gegenseitig das Hitlerbuch „Mein Kampf“. Philipp Achammer verurteilte die Vorkommnisse damals und versprach: „Ich warte noch drauf, wie sich unsere Koalitionspartner dazu äußern. Solche Vorfälle dürfen auf keinen Fall innerhalb einer Partei geduldet und müssen entschieden verurteilt werden. Das ist nicht nur eine relevante Frage für uns, als Partner in der Regierung, sondern für die gesamte Demokratie.“
Vor einer Woche, am 26. Juni, wurden weitere Videos und Enthüllungen von „Fanpage“ veröffentlicht. „Die Juden sind eine Rasse die ich verachte“, war nur eines der menschenverachtenden Zitate die heimlich aufgezeichnet wurden. Auch waren mehrere Personen mit engem Kontakt zu FdI Abgeordneten, Teil der Enthüllung. Darunter Elisa Segnini, Chefsekretärin der Abgeordneten Ylenja Lucaselli. „Ich habe nie aufgehört, rassistisch oder faschistisch zu sein“, sagt sie.
Für den SVP-Obmann Harald Stauder gibt es trotzdem keinen Grund die Koalition anzuzweifeln: „Für die SVP ist es sehr wichtig, dass Regierungschefin und FdI-Vorsitzende Giorgia Meloni sich klar distanziert hat. Die Aussagen und Aktionen von einigen Dummköpfen in Rom sind kein Anlass, die sehr erfolgreiche Landesregierung in Frage zu stellen.“
Der Südtiroler FdI-Landesrat Marco Galateo hat Stauders Aussagen im Landtag bestätigt: „Die Regierungschefin Meloni hat sich bereits distanziert. Wer rassistische, antisemitische und nostalgische Gefühle (zum Faschismus, Anm. d. Red.) hegt, ist hier falsch.“
Der letzte Satz ist dabei ein Zitat der Premierministerin Giorga Meloni. Auch wies Galateo schon vor zwei Wochen, als die ersten Videos veröffentlicht wurden, auf den strikten Verhaltenskodex der FdI hin. Einer der wichtigsten Punkte darin, der Respekt der Demokratie und der Menschenrechte.
Mit den tatsächlichen Aktionen der Brüder Italiens passt das aber nicht unbedingt zusammen. Auf der einen Seite soll es keinen Platz in der Partei für Faschismus-Nostalgie geben, doch die Enthüllungen des Internet-Portals, in dem auch Chatverläufe der Jugendorganisation veröffentlicht wurden, sprechen eine andere Sprache.
„Ich habe einen schwulen Lateinlehrer, der mit einem Mann lebt. Ekelhaft, wechsel die Schule“, findet sich beispielsweise in den Chats wieder.
Gegenüber der TAGESZEITUNG äußert sich Landeshauptmann Arno Kompatscher: „Meine Regierung hält konsequent die rote Linie gegen Demokratiefeindlichkeit, Diskriminierung und Totalitarismus. Ich achte genau darauf, dass sich die Landesregierung in ihrer Politik, ihrem Handeln und ihrer Positionierung strikt daran hält.“ Gleichzeitig kritisiert Kompatscher die Opposition: „Es ist verwunderlich, dass Personen, die von mir die konsequente Einhaltung der roten Linie fordern, für Anträge von Jürgen Wirth Anderlan stimmen.“ Mit ziemlicher Sicherheit eine Anspielung auf Aktionen wie dem Verbrennen der Regenbogenfahne, mit denen JWA selbst gegen die Grundwerte der Landesregierung verstoßen hat.
Stauder definiert die rote Linie auf Nachfrage wie folgt: „Wir haben Grundwerte in unseren Koalitionsverhandlungen festgelegt. Wenn diese verletzt werden, dann stellen wir die Zusammenarbeit in Frage.“ Auf Nachfrage, warum Sprüche wie „Ich hasse Juden“, diese Grundwerte nicht verletzen antwortet Stauder: „Die Verantwortlichen haben das klar verurteilt und Konsequenzen angekündigt. Das ist nicht die Meinung der Partei, sondern einzelner Mitglieder.“
Konsequenzen von Seiten der Fratelli d’Italia gab es tatsächlich. So ist Elisa Segnini mittlerweile aus der Partei ausgetreten und die Führungsregie hat bereits Ausschlüsse und Suspendierungen von einigen Mitgliedern der Jugendorganisation aus der Partei angekündigt.
Duce-Rufe, Hitlergrüße oder ähnliche Aktionen sind aus der Südtiroler Gioventú Nazionale keine bekannt. Marco Galateo sagte dazu: „Bei uns sind alle vernünftig.“ Ob das tatsächlich der Fall ist, lässt sich nicht überprüfen. Es gibt aber zahlreiche Stimmen von ehemaligen Gioventú Nazionale Mitgliedern, die laut Fanpage von einer „totalen Verschlossenheit“ und „tiefen Abwesenheit von politischer Kultur“ der Jugendorganisation sprechen. Das Gegenteil davon, für das die SVP laut Kompatscher steht.
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