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„Keiner quatscht mich an“

Jannik Sinner (Foto: FB/Sinner)

Obwohl der Zeitrahmen enger war als bei seinem Papst-Interview, hat „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo mit Jannik Sinner ein wohltuend tiefschürfendes Gespräch geführt.

von Artur Oberhofer

Nicht einmal für den „König“ der „Zeit“, Giovanni di Lorenzo, machte das Management von Jannik Sinner eine Ausnahme.

Der Zeitrahmen für das Interview mit Jannik Sinner am Rande des Turniers in Halle: 20 Minuten. „Wie soll das gehen?“, fragte sich Giovanni di Lorenzo, „für das Gespräch mit dem Papst war wesentlich mehr Zeit vorgesehen.“

Das Management blieb hart. Dennoch ging das Interview, das der Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“ mit der frischgebackenen Nummer 1 im Welttennis führte, am Ende in die Verlängerung. Und das ist gut so. Denn das Interview mit Jannik Sinner ist lesenswert. Weil es sich wohltuend abhebt vom üblichen (und oberflächlichen) Frage-Antwort-Ping-Pong zwischen überdrehten Sportreportern und genervten Superstars.

Giovanni di Lorenzo fällt „von der ersten Minute an“ Jannik Sinners „große Zugewandtheit und Freundlichkeit“ auf. Auf Fragen lässt sich der Tennisstar ein, manchmal hatder Interviewer das Gefühl, als suche Sinner nach der Sprache, die am besten zu seiner Antwort passt: Deutsch, „seine etwas aus der Übung geratene Muttersprache, Italienisch oder Englisch“. Am Ende reden Sinner und di Lorenzo 35 Minuten.

Eingangs konfrontiert Giovanni di Lorenzo den Südtiroler mit einem Sager der früheren Tennisspielerin Andrea Petkovic: Eine Fähigkeit der Besten bestehe im Vermögen, in den Momenten des größten Drucks die eigenen Denkmuster auf das Nötigste zu reduzieren, kein überflüssiger Gedanke: Ball sehen, Ball schlagen. Instinkt. Atem.

Sinners lapidare Antwort: „Stimmt.“

Jeder Tennisspieler, egal ob die Nr. 1 oder der Anfänger, habe Druck, erzählt der 22-Jährige: „Am meisten Druck hatte ich am Anfang meiner Karriere. Ich komme aus einer normalen Familie, wir hatten nie viel Geld, und ich wollte so schnell wie möglich mein eigenes Geld verdienen. Danach war ich viel entspannter.“

Manchmal müsse man mit Instinkt spielen. Und wenn man einen Fehler macht, müsse man bereit sein, den Fehler zu verstehen.

Sinner zitiert Roger Federer: „Du kannst den perfekten Schlag machen, der in den Top Ten Shots of the Year landet. Aber am Ende ist das auch nur ein Punkt.“

Jannik Sinner gesteht im „Zeit“-Interview, dass er nach Niederlagen nicht schlafen könne. Der schwierigste Moment in seiner noch jungen Karriere sei die Viertelfinal-Niederlage bei den US Open 2022 gegen Carlos Alcaraz gewesen. „Da hatte ich Matchpoint“, erzählt Sinner, „habe dann verloren, und er hat den Grand Slam gewonnen, das war sehr schwierig für mich.“

Giovanni di Lorenzo spricht in der Folge Sinners Achtelfinal-Match bei den French Open gegen Corentin Moutet an, wo der Sextner nach 19 Minuten mit 0:5 in Rückstand gelegen hat. Mental sei er anfangs nicht bereit gewesen zu spielen. „Es kann mal passieren, dass mein ein bisschen in den Wolken ist“, erklärt Sinner, der das Match dann auch tatsächlich drehen konnte.

Screen „Die Zeit“

Mit 13 hat Jannik Sinner Südtirol verlassen und ist in das Trainingscamp von Riccardo Piatti gezogen. „Hatten Sie nicht Angst?“, fragt Giovanni di Lorenzo. Sinners Antwort wird später zum Titel des großen Interviews: „Ich hatte bis jetzt noch nie Angst.“

Frage di Lorenzo: Ob er als Teenager im Camp von Piatti wusste, dass er die Kraft hat, das durchzustehen?

Sinners Antwort:

„Ich wollte das durchstehen (…). Ich war einer, der immer unter Heimweh gelitten hat – und meine Eltern wussten das. Und dann fahren sie mich runter nach Bordighera, da war ich dreizehneinhalb (Sinner zog bei der Familie eines kroatischen Trainers ein, Anm. d. R.). Die hatten einen Sohn, eine Tochter und einen Hund (…). Der Blick von meiner Mama beim Abschied war ein bisschen, nicht ängstlich, aber zweifelnd. Meine Eltern starteten dann wieder, und nach einer Stunde rief ich sie an und sagte: Bei mir passt es hier, es ist alles okay (…). Es war für sie auch nicht leicht.“

Wenn er traurig gewesen sei, habe er sehr viel Zeit mit dem Hund verbracht, berichtet Sinner. „Ich liebe Hunde, auch Katzen, wir haben eine Katze zu Hause, ich bin so ein Tierliebhaber.“

Der Sohn und die Tochter des kroatischen Trainers seien jünger gewesen als er, er habe sich ein bisschen wie der größere Bruder gefühlt. Mit ihnen ist Sinner bis heute in Kontakt.

Die Zusammenarbeit mit Riccardo Piatti habe er beendet, obwohl dieser ihn unter die Top Ten der Welt geführt hat. Er habe neue Inputs gebraucht, erzählt Sinner dem „Zeit“-Chefredakteur, er sei ein ehrlicher Mensch, er sei nicht einer, der rechts und links, sondern geradeaus gehe … deshalb habe er auch diese Entscheidung, die sehr schwierig gewesen sei, getroffen.

Jannik Sinner (Foto: FB/Sinner)

Giovanni di Lorenzo konfrontiert Jannik Sinner auch mit der in den sozialen Medien immer wieder kolportierten These der Steuerflucht. Man müsse sich das so vorstellen, antwortet Sinner: Monte-Carlo sei nur eine halbe Stunde von Bordighera entfernt. Er sei mit 18 „gleich rübergezogen“, weil dort alle Top-Spieler trainierten. Medwedew. Dimitrow. Djokovic. Der Tennisclub dort sei perfekt, drei Gyms, viele Plätze. „Wenn ich etwas brauche, kann ich normal auf der Straße gehen, und keiner quatscht mich an.“

Natürlich wisse er, dass der Steuersatz sehr niedrig ist. Aber selbst wenn er der gleich wie in Italien wäre, würde er trotzdem nach Monte-Carlo gehen. Monte-Carlo sei eben ein bisschen anders. „Man hat Ruhe von den Menschen“, so Sinner.

„Zeit“-Chef Giovanni di Lorenzo fragt Jannik Sinner auch nach einem Vorbild – außerhalb des Sports.

Sinners schöne Antwort:

„Mein größtes Idol war immer mein Papa. Weil er früh aufgestanden ist, 07.30 Uhr ist er von zu Hause los, manchmal kam er erst um 20.00, 21.00 Uhr zurück von der Arbeit – er kam immer mit einem Lächeln zurück. Vielleicht hatte er auch einen sehr schwierigen Tag hinter sich, an dem gar nichts gegangen ist. Aber er kam immer mit einem Lächeln, er hat mir immer Freude gebracht, das war das Schöne.“

Ob er das Lächeln, das Freudebringen von seinem Papa geerbt habe, fragt di Lorenzo nach. „Ich glaube schon“, antwortet Sinner, „aber er macht es besser als ich.“

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (7)

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  • pingoballino1955

    Super Kompliment für Beide Jannik Sinner und Giovanni di Lorenzo.Beide Choriphäen in ihrem Wirken! C H A P EA U !!!

  • olle3xgscheid

    Alles Gute in Wimbledon Jannik ,

  • winny

    Abgesehen von seinen menschlichen Fähigkeiten, muß man anerkennen, dass er ein begnadeter Kommunikator ist.

  • sellwoll

    „müsse man bereit sein, den Fehler zu verstehen“

    Ganz anderes Level, als die Bereitschaft Fehler zu machen.

  • andreas1234567

    Hallo zum Abend,

    wo war das Interview denn jetzt „wohltuend tiefschürfend“?

    Er wohnt in Monte Carlo, aber keineswegs wegen der Steuervorteile.Nein, niemals!
    Er liebt Tiere und hat auch seinen Mentor und seine Familie, den er aber gefeuert hat weil er einen „neuen Input brauchte“
    Und Mami und Papi sind sie Besten.

    Ach ja, und wenn er verliert ist er traurig, wer hätte das vermutet vor diesem Interview.

    Die Zeit ist zu einem linksradikalem Schwachsinnsblatt verkommen, so schaut das aus. Gnadenlos dem rotgrünen Regierungsunsinn mit Jubelartikeln verpflichtet und als Farbsprenkel obendrauf solche Nullinhaltsinterviews und es war ein Nullinhaltsinterview.

    Gruss aus D

    Ich bin so unfassbar berührt und mitgenommen von diesem sensationellem Interview..

    • pingoballino1955

      Andreas 1234,euer “ BOBELE“ ist längst Geschichte abgesehen davon dass er der Dümmste Tennisspieler in Deutschlabd ist und war,sogar im Knast war der Trottel! Bist du uns neidisch über Jannik du Aaaaaaaa.

  • dn

    … den Fehler zu verstehen … Da sollten sich unsere Politiker mal coachen lassen.

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