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Antrischis Toul

St.Johann: Die antrische Dirn schenkt der Bäuerin einem Wollknäuel, deren Faden niemals fertig wird, wenn sie nicht nach dem Ende fragt.

Mit Ausnahme der Fanesalm ist kaum ein Tal so von Mythen und Sagen umwittert wie das Ahrntal. Seit Menschengedenken erzählt man sich dort die Sage der antrischen Leute, die in den sogenannten antrischen Löchern leben und nach Gold und Edelsteinen suchen. Der Geschichtsverein Ahrntal hat sie erforscht, der Künstler Lois Steger hat eine Wanderkarte durch das „antrische Toul“ erstellt.

(sh) Das Ahrntal ist eine Sagenlandschaft. Hinter jedem bizarren Stein und in jedem Loch hausen Fabelwesen, Naturgeister und andere mythische Wesen. Dass so viele Sagen und Legenden bewahrt und weitergegeben wurden, hat zweifellos mit der relativ langen Abgeschlossenheit des Tales zu tun – zum Glück muss man sagen.

„Antrisch“ nennen die Ahrntaler selbst ihr Toul – weil es dort „antrisch“, d.h. nicht ganz geheuer, etwas unheimlich, gespenstisch zugeht. Der Flurname „Antrisches Loch“ bezeichnet zumeist ein Felsloch, wo die „Antischen“ („die Verborgenen“) hausen. Oft wird es sich dabei um Knappenlöcher handeln, da der Bergbau im Ahrntal bereits in prähistorischer Zeit eine wichtige Rolle gespielt hat.

2019 starteten die Bildungsausschüsse der Gemeinden Ahrntal und Prettau zusammen mit Vereinen und dem Geschichtsverein Ahrntal eine Kulturreihe unter dem Titel „Antrischis Toul“, um die Sagen in erster Linie für die Einheimischen lebendig zu halten. Der Luttacher Künstler Lois Steger hat eine Wanderkarte durch die „antrischen“ Orte und ihre Legenden gestaltet. Steger dazu: „Alle Zeichnungen beziehen sich auf die Sagen, Legenden und Erzählungen der unmittelbaren Umgebung. Es sind also Geschichten, Gedanken, die Schicht für Schicht überlagert, verwoben und ineinander fließen. So ergibt sich ein Liniengeflecht mit räumlichen Schattenbereichen, die erst beim näheren Betrachten entschlüsselt werden. Oft sind rätselhafte Kippbilder, Fragmente von Mensch und Tier oder anderen Wesen eingebaut, die nicht auf den ersten Blick erfassbar sind. Die konkreten, teils plastischen Bleistiftzeichnungen, unterschiedlicher Intensität, sind nicht immer lesbar, weil verdichtete Szenen ohne Korrekturen mit dem Radiergummi belassen sind. Leicht farbige Passagen betonen die Szenerie aus grauer Vorzeit .“

Prettau: Der fromme Pater bannt das „Wöllewickile“

Weißenbach

 Das enge Mitterbachtal mit seinen kargen, steil abfallenden Hängen und Gräben ist mit mächtigen Felsblöcken durchsetzt und wird als Drachengerippe interpretiert. Hier soll einst ein Drachen gewütet haben. Kühe sind immer wieder abgestürzt, wenn sie die Hüter aus dem Auge verloren haben. Die Betrachter befinden sich inmitten der Kristallhöhle, die sich vom Mitterbach bis zum Trattenbach erstreckt haben soll, die sogenannte Goldader. Wirbeln, Rippen und Steine stehen im alpinen Mythos in Verbindung mit dem Tod.

Luttach

 Riesige Kristalle ragen über den Köpfen der Hüterbuben, die sich und das Vieh vor den Blitzen, Donnergroll und heftigem Gewitter in Schutz bringen. Ein apokalyptisches Ereignis, das auch heutzutage vermehrt auftritt. In der düsteren Gewitterwolken kann vielleicht der Donnergott ausfindig gemacht werden. Oder Petrus, der vom Himmelstor aus das Geschehen beobachtet… Da die funkelnden, riesigen Kristalle unerreichbar sind, nehmen die Buben am nächsten Tag eine Leiter mit um sie abzuschlagen. Leider finden sie die Höhle in der Felswand nicht mehr.

 St.Johann

 Die antrische Dirn, die der Bäuerin einem Wollknäuel schenkt, deren Faden niemals fertig wird, wenn sie nicht nach dem Ende fragt. Zentrale und tragische Figur mit dem menschlichen Fehler stellt die Bäuerin dar, die wieder neuen Faden spinnt. Ziegen, Schafe und Steinböcke, wie sie an der Marmorwand eingraviert sind, knüpfen an an steinzeitliche Jagdszenen an. Selbst die starken, jagdtüchtigen Platterbauern können den Wölfen bis heute nicht Herr werden. Antrische Löcher, Kalk- und Wolfsgruben verdeutlichen die Erdverbundenheit der Menschen.

Steinhaus

 Schattenseitig im Tal verdichten sich sagenhafte Erzählungen rund um das Bärental, die grafisch zum Ausdruck kommen. Am Federweißkopf, wo einst Asbest abgebaut wurde, sind die verheerenden, tödlichen Folgen im Vogelgerippe und der zersetzen Lungenflügel (Anspielung an die Pandemiezeit) sichtbar. Statt in die Christmette zu gehen, schicken die Kartenspieler und Saufbolde den Hund dorthin. Versteinerte Bärentatzen beflügeln die Phantasie, den mysteriösen Tatzlwurm finden wir in den alpinen Mythen.

Luttach: Ein apokalyptisches Ereignis bedroht die Hüterbuben

St. Jakob

 Das teuflische Reicheckmandl hat in der Hollenze allerhand Schabernack getrieben. Ein Hut voll Gold, vom gleichnamigen „Wandl“, verwandelt sich beim Umkehren zu Laub. Ob von ihm die antrische Schrift in der Hollenzklamm eingemeißelt wurde, oder gar vom letzten luthrischen Knappen, bleibt eine Vermutung. Jedenfalls hat sich das Landschaftsbild durch die Lawinenschutzdämme bis Steineben unwiederbringlich verändert, sodass erst unterhalb vom Hörndlejoch steinzeitliche Spuren in Form von Schalensteinen den Weg ins Zillertal weisen.

St. Peter

Lois Steger

Einem länglichen Grabhügel gleicht der Bergrücken des Faden, oberhalb der Notfeldlacke, die mit Tränen der Riesin gefüllt ist. Denn sie beweinte den im Kampf unterlegenen, geliebten Riesen. Tatsächlich fand man bei der Erweiterung des Friedhofes einen überaus großen Knochen, der nur einen Riesen zugeordnet werden kann. Archaische Plätze mit riesigen Findlingen, antrische Löcher, Abris, unzählige Schalensteine im Gebiet rund um den Waldnersee und Hundskehljoch zeugen von der frühen Anwesenheit der Menschen. Ihre Seelen ruhen vielleicht noch im Moor der „Sealalocke“?

Prettau

 Entlang des Geländerückens zum Golatsch, wo senkrechte Löcher tief in den Berg führen und Antrische gleich unterhalb im Friedhof ruhen. Dort haben sich unheimliche Geistergeschichten zugetragen. Das „Wöllewickile „ hat über Jahrzehnte nachts die angeketteten Kühe derart erschreckt, dass sie öfters ausgebrochen und vom Stall geflohen sind. Verschwiegene Kinder, im Berg verborgen, der leibhaftige Teufel, der sich die sündigen Seelen sichern will, stehen im Wettstreit mit dem frommen Pater, der das „Wöllewickile“ bannen konnte. Mit Goethes Faust, vom alten Stegerbauer neu interpretiert, ist die kirchliche Weltanschauung ins Wanken geraten.

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