Du befindest dich hier: Home » Gesellschaft » „Jedes Opfer ist eines zu viel“

„Jedes Opfer ist eines zu viel“

Foto: 123RF

Im Frühsommer gibt es laut einer kanadischen Studie die meisten Suizide. Wie man die Anzeichen richtig deutet.

von Lukas Verdross

Die Monate Juni und Juli weisen die jeweils höchste Suizidrate auf. Das zeigt eine kürzlich erschienene kanadische Studie. Auch auf Südtirol trifft das zu, wie ASTAT Daten belegen. Deshalb warnt Psychiater und Südtiroler Koordinator der Europäischen Allianz gegen Depression Roger Pycha: „Gerade jetzt muss man besonderes genau hinschauen.“
Das fordert auch Richard Santifaller. Während der Oberschule erkrankte er an Depression und litt für mehrere Jahrzehnte dran. Vor einigen Jahren unternahm er selbst einen Suizidversuch. Regelmäßigkeiten gab es bei seinen depressiven Phasen nie: „Auf einmal bin ich in eine Depression gestürzt. Äußere Einflüsse hatten bei mir nie eine große Bedeutung.“

Anzeichen, dass eine Person suizidgefährdet ist, gibt es viele und sie können von Person zu Person variieren. Daher sei es oft schwierig, genau zu wissen, ob eine Person wirklich selbstmordgefährdet ist, meint Pycha. Die häufigsten Symptome sind laut dem Psychiater: Rückzug aus dem Sozialleben, Hoffnungslosigkeit, Verhaltensänderungen, geringe Selbstachtung und Beschäftigung mit dem Thema Tod und Sterben. Wenn diese Symptome bei Menschen in der eigenen Umgebung auftreten, soll man laut Pycha unbedingt handeln: „Wenn man bei einem Menschen solch ein Verhalten feststellt, dann soll man das auf jeden Fall ansprechen.“ Um bei diesem Gespräch zu helfen und danach auch richtig zu handeln, hat Pycha drei einfache Fragen und darauf basierte Handlungsempfehlungen entwickelt. (siehe Kasten unten)

Auch für Santifaller ist es dringend notwendig, Personen mit solchen Symptomen darauf anzusprechen. „Ein einfaches Wachrütteln kann oft schon viel verändern“, erklärt Santifaller, „Wenn man suizidal ist, dann kommt es zu einer totalen Verengung der Wahrnehmung. Man kann das Licht am Ende des Tunnels nicht mehr sehen.“

In den letzten Jahrzehnten wurden in Südtirol aber schon große Fortschritte in Sachen Suizidprävention gemacht. Während 1990 die jährliche Suizidrate noch bei 20,1 Selbstmorden pro 100.000 Menschen lag, liegt sie heute nur mehr bei 8,9 pro 100.000 Einwohnern. Das soll mehrere Gründe haben, erläutert Pycha: Einerseits die vielfältigen Hilfsangebote, die es in Südtirol heute gibt. Darunter die Telefonseelsorge der Caritas das Telefono Amico und seit April auch das neu geschaffene Psychologische Krisentelefon. Das Krisentelefon ist dabei rund um die Uhr erreichbar und mit ausgebildeten Psychologen besetzt, die in Notfällen weiterhelfen können. Auch eine erhöhte Gesprächsbereitschaft der Bevölkerung, die immer besser ausgebauten psychiatrischen und psychologischen Dienste in Südtirol und die bessere Ausbildung des Personals, sollen zu der Senkung beigetragen haben.

Trotzdem liegt die Suizidrate in Südtirol immer noch deutlich über dem italienischen Durchschnitt und hochgerechnet stirbt jede Woche ein Südtiroler an Suizid. „Jedes Opfer ist eines zu viel“, merkt Pycha an.
In der deutschsprachigen Bevölkerung Südtirols kommen Suizidfälle dabei deutlich häufiger vor als bei den Italienischsprachigen. Für Pycha liegt das vor allem daran, dass die Italiener deutlich offener mit dem Thema umgehen. Auch Santifaller wünscht sich einen offeneren Umgang mit dem Thema Depression und Suizid: „Wenn man sich Sorgen macht, dann soll man sich einfach trauen auch direkt auf einen Menschen zuzugehen und mit ihm darüber zu reden. Das zeigt ihm auch, dass er einem nicht gleichgültig ist.“

Für die Zukunft wünscht sich Santifaller, dass der Fokus der Gesellschaft weg von Wohlstand geht und stattdessen das Wohlbefinden im Fokus steht. Das hat ihm aus der Depression und seinen Selbstmordgedanken geholfen: „Ich schaue sehr auf mich, auch wenn es mir gut geht. Ich meditiere viel, mache Achtsamkeitsübungen und treibe oft Sport.“

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentar abgeben

Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.

2024 ® © Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH/Srl Impressum | Privacy Policy | Netiquette & Nutzerbedingungen | AGB | Privacy-Einstellungen

Nach oben scrollen