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„Der Krug ist voll“

Die Autobahn-Brücken von Innsbruck bis Bozen sind sanierungsbedürftig, findet Transitforum-Chef Fritz Gurgiser. Wie das die Transportlobby zum Umdenken zwingen soll.

von Christan Frank

Er ist eine Nemesis der Spediteure und ein Urgestein im Transitkampf. Fritz Gurgiser engagiert sich seit mehreren Jahrzehnten für tragbare Zustände auf den Transitrouten, um für einen angemessenen Luft- und Lärmschutz zu sorgen. Autobahnstraßen wie die A13 kennt er wie seine Westentasche. 1994 gründete er das Transitforum Austria, welches immer wieder durch Straßenblockaden und Protestaktionen auf sich aufmerksam machte. Der ehemalige Tiroler Landtagsabgeordnete ist ein Routinier, der sich keines Wortes zu schüchtern ist.

„Ich ging einst den Keschtenweg oberhalb von Klausen entlang, da haut dich der von der Autobahn schallende Lärm beinahe um. Ein Krawall, der dich schwindlig macht.“

Gurgiser versteht die politischen Dynamiken und Geschicke, bleibt in einem von Ideologien beheizten Disput pragmatisch. Von den Klimaklebern hält er nichts, und auch dem kürzlich stattgefundenen Radfahrprotest auf der Autobahn kann er herzlich wenig abgewinnen.

„Wir haben immer darauf geachtet, die Leute abzuholen. Ein Protest muss von den Menschen getragen werden. Das gelingt diesen Initiativen nicht. Entweder sprechen sie nur eine bestimmte Sparte an oder erzürnen die Allgemeinheit“, so Gurgiser.

Mit seinen beinahe 76 Jahren kämpft er noch immer stets an der vordersten Front des Transitkampfes: Blockabfertigungen, Nachtfahrverbote, Lärmschutzwände. Gurgisers Kampf bedient sich dem gesamten Repertoire an Transitmaßnahmen. Seine Maxime: Das Wohlergehen jener, welche im Einflussbereich der vielbefahrenen Transitrouten leben.

„Zwischen 2001 und 2021 konnten wir die Schadstoffe um 90 Prozent reduzieren“, postuliert Gurgiser stolz. Dieser Kreuzzug beansprucht den Umfang eines Lebenswerkes, weshalb Gurgiser auch seines dem Transitkampf widmet. Das zeigen auch exemplarisch die von der ASFINAG kürzlich zugesicherten Finanzmittel von 40 Millionen Euro für insgesamt 22 Lärmschutzprojekte, welche Gurgiser unter anderem betreut.

„Wir haben 15 Jahre darauf hingearbeitet und zahlreiche politisch gesetzte Rahmenbedingungen dafür aufgebrochen“, so der Tiroler.

Für die kommenden Jahre sieht er einen großen Umbruch und zahlreiche Veränderungen im Transitgeschehen kommen, welche auch die umkämpfte Linie der großen Spediteure in die Knie zwingen sollen und ein Umdenken erzwingen.

„Wenn wir es nüchtern betrachten, müssen wir akzeptieren, dass die Straßen und Brücken von Innsbruck bis Bozen allesamt in den nächsten zehn Jahren zu sanieren sind“, prophezeit Gurgiser und skizziert die Bedeutung dessen für den Warenverkehr.

„Da heißt es, es wird Einschränkungen geben. Egal, ob wir auf die Lueg- oder die Europabrücke oder auf Südtiroler Seite auf die ewig anhaltenden Baustellen auf dem Brenner blicken. Der Transitverkehr wird dann nicht mehr wie gewohnt verkehren können.“

Die Grube dafür haben sich die Spediteure selbst gegraben, proklamiert Gurgiser, da ihm zufolge nachweislich der LKW-Verkehr für 95 Prozent der Schäden an der Straßeninfrastruktur zu verantworten ist.

Eine im Voraus absehbare Gegebenheit, findet Gurgiser: „Sie haben es geschafft, die Straßen durch ihre Überlastung frühzeitig zu ruinieren. Diese Brücken und Autobahnen, sowohl nördlich als auch südlich des Brenners, wurden in den 60ern und 70ern gebaut. Sie waren niemals für eine Frequenz von 2,5 Millionen LKWs angedacht.“

Doch was geschieht, wenn die Straßen bröckeln? Gurgiser führt Alternativen an, welche bis dato von der Transportlobby stets verschmäht wurden: „Die Speditionen und Logistiker wären besser beraten, wenn sie eine nachhaltige Alternative finden, wie den Zugverkehr. Die können ewig in Brüssel auf einen freien Warenverkehr plädieren, wenn sie die Straßen dafür völlig ruinieren.“

Eine Alternative, welche für Gurgiser absolut indiskutabel ist, ist das Ausweichen auf die Normalstraßen: „Diese Alternative existiert nicht.“

Gurgiser sieht die Notwendigkeit, in den nächsten zwei bis drei Jahren in den effizienten Ausbau des Schienentransportes zu investieren, doch bezweifelt sonderliche Weitsprünge im Vorfeld.

„Die Politik befasst sich mit dem Nachsorgebereich. Sie lässt alles steigen, bis es übergeht. Wenn es irgendwo brennt, warte sie, bis es abgebrannt ist, und dann schickt sie die Feuerwehr. Das ist legitim, so läuft das Spiel“, weiß Gurgiser.

Nun ist der Bogen, so Gurgiser, überspannt und es herrscht Handlungsbedarf: „Der Krug ist voll, man kann keinen Tropfen mehr hineinschütten, ohne dass er übergeht. Kaum kommt es zur kleinsten Behinderung, entsteht ein kilometerlanger Stau, das ist ja nicht normal.“

Gurgiser wünscht sich eine bessere Zusammenarbeit mit Italien, die Kommunikation gestaltet sich nämlich schlecht und spärlich. Ein starker Lobbyismus, so Gurgiser, hegt weiterhin großes Interesse am Straßenverkehr.

„Mir wäre es viel lieber, wenn man das Transitgeschehen gemeinsam mit Italien regeln könnte. Dass man bereits in Verona dossiert, Ausweichmöglichkeiten über die Schweiz oder den Zug vorweg veranlasst, wenn das Verkehrsaufkommen zu groß wird. Aber es war immer schon die Strategie der Italiener gewesen, dafür zu sorgen, dass die Bahn unverlässlich ist. Die Lobby im Transportwesen hat ein hohes Interesse daran, dass die Bahn nicht funktioniert“, so der Tiroler.

Aussichtslos sieht er die Lage keinesfalls, denn die Jahrzehnte haben Gurgiser geprägt und gelehrt: „Die Spediteure wissen genauso wie wir, wie es um die Situation bestellt ist, aber kosten jeden möglichen Moment aus. Damals bei der Regulierung der Schadstoffklassen haben sie laut protestiert, hatten aber eigentlich schon einen Fuhrpark dafür eingerichtet. Die Industrie kann viel mehr, als sie zugibt, aber macht es nur, wenn sie unter Druck gesetzt wird.“

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (6)

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  • hallihallo

    in südtirol diskutiert man aber lieber über den verkehr auf den pässen, wo zwei monate im jahr für ein paar stunden viele autos unterwegs sind.
    der verkehr auf der autobahn und in den ballungszentren interessiert hier niemanden.

    • beigre

      @hallihallo,
      das stimmt überhaupt nicht, dass „der verkehr auf der autobahn und in den ballungszentren hier niemanden interessiert“. Das mag vielleicht für deinesgleichen zutreffen, aber sicher nicht für Leute entlang der Autobahn und den Ballungs- und Fremdenverkehrszentren. Aber Leute wie „hallihallo“ versuchen solche Dinge ja möglichst immer unter den Teppich zu kehren oder zu verschweigen.

  • gurgiser

    Ich denke, dass es Zeit ist, die ewige „Dischgutiererei“ auch einmal zu beenden und sich klar zu werden, dass in TIROL, ob Ost-, Nord- oder Südtirol, längst (!!!) die Grenzen der Zumutbarkeit überschritten sind. Weil eine Minderheit meint, in begrenzten Tälern könne oder müsse alles grenzenlos wachsen, auch wenn es immer enger wird.
    Auch bei uns sind die Pässe Thema – aber nicht in „Dischgutierkreisen“, wo ewig nichts herauskommt, sondern in aktiven Bürgergruppen, die Druck machen.
    Fritz Gurgiser

    • beigre

      Lieber Fritz,
      auch bei uns gibt es aktive Bürgergruppen, die Druck machen – und nicht in nur in “ „Dischgutierkreisen“ verkehren. Beste Grüße nach Nordtirol
      Gregor Beikircher

  • vinschgermarille

    „Die Industrie kann viel mehr ,als sie zugibt, aber macht es nur ,wenn sie unter Druck gesetzt wird“. Genauso ist es.

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