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Warnstufe Rot

Foto: lpa/Claudia Corrent

Jetzt ist der GAU eingetreten: Das neue Krankenhausinformationssystem NGH erweist sich als hochriskant. In zwei dokumentierten Fällen landeten die falschen Befunde in der Krankengeschichte.

von Artur Oberhofer

Iwano Simioni war, leider, ein guter Prophet. Anfang April dieses Jahres warnte der Sprecher der Gewerkschaft der Krankenhausärzte (BSK/VSK) im Gespräch mit der TAGESZEITUNG:

„Unter den derzeitigen Umständen ist ein Schadensfall vorprogrammiert.“

Nun ist zwar kein Schadensfall eingetreten (weil die betroffenen Patienten und/oder Ärzte glücklicherweise rechtzeitig eingeschritten sind). Aber im Südtiroler Sanitätsbetrieb gibt es jetzt zwei konkrete und dokumentierte Fälle von Patienten, bei denen die falschen Befund in die Krankengeschichte eingeflossen sind.

Die Fälle haben sich im Meraner Krankenhaus zugetragen.

Die Vorgeschichte ist bekannt: Obwohl in den vergangenen Jahren zig Millionen Euro in die Krankenhausinformatik gepulvert wurden, gibt es in Südtirol noch immer kein einheitliches System.

Im Jahr 2015 wurde die SAIM, eine öffentlich-private Partnerschaft (PPP), mit der Entwicklung und Implementierung eines einheitlichen Krankenhausinformationssystem beauftragt.

Die SAIM ihrerseits hat den Auftrag an ihren privaten Gesellschafter GPI aus Trient weitergegeben. Diese Firma namens GPI werkelt nunmehr seit Jahren – und mehr schlecht als recht – am neuen Südtiroler Krankenhausinformationssystem herum. Mit Ende dieses Jahres läuft der (vom ehemaligen Generaldirektor Florian Zerzer bereits um zwei Jahre verlängerte und um die Telemedizin erweiterte) Vertrag mit der SAIM aus.

Bis dahin sollte das System laufen. Davon aber ist manmeilenweit entfernt.

Bereits im April dieses Jahres hat die TAGESZEITUNG enthüllt, dass das neue NGH-System, das bislang nur in den Sanitätsbezirken Bozen und Meran implementiert worden ist, die Mediziner zur Weißglut bringt. „Die Kollegen berichten, dass NGH überhaupt nicht funktioniert, das System ist langsam, klicklastig, unübersichtlich und stürzt dauernd ab“, berichtete damals der Ärzte-Gewerkshafter Iwano Simioni.

In den Bezirken Eisacktal und Pustertal wird noch mit dem alten IKIS-System gearbeitet. Nachdem die Datenschutzlücken im IKIS-System behoben wurden, drängten die Primare und Ärzte gegenüber den Verantwortlichen der Südtiroler Sanität vehement darauf, das IKIS-System beizubehalten. Dies auch deswegen,weil die Nachrichten aus Bozen und Meran, wo bereits mit dem neuen NGH-System experimentiert wird, äußerst beunruhigend sind. Im Meraner Krankenhaus war es inden vergangenen Wochen zu mehreren Totalausfällen gekommen, die den Betrieb in der Notaufnahme stundenlang lahmlegten

Jetzt, mit den zwei dokumentierten Fremdbefund-Fällen, hat man allerdings die nächste Warnstufe erreicht. Die Warnstufe Rot.

Die Gewerkschaften verstärken nun den Druck auf die Verantwortlichen im Sanitätsbetrieb und auf den Landesrat. Hubert Messner hatte vor Wochen zwar eingeräumt, dass es „Probleme beim Support durch die Firma GPI“ gebe, allerdings schloss er eine Rückkehr zum IKIS-System aus. Messner sprach in Bezug auf die Troubles mit dem neuen System von Kinderkrankheiten.

LR Hubert Messner (Foto: lpa/Fabio Brucculeri)

Derweil sagen Ärzte und Primare: Das NGH-System selbst sei der schwierigste Patient. Die Verunsicherung unter den Primaren und Krankenhausärzten ist groß. Die jetzt aufgetauchten Fälle von Fremdbefunden seien schwerwiegend und besorgniserregend, sagt auch Iwano Simioni.

Und weiter:

„Wenn der Herr X den Befund des Herrn Y in seiner Krankengeschichte vorfindet, dann haben wir einmal ein Privacy-Problem. Wir haben aber vor allem ein Sicherheitsproblem, denn wenn ich mich als Arzt nicht mehr darauf verlassen kann, dass die Befunde, die sich in der digitalen Krankenakte befinden, auch die richtigen sind, dann besteht nicht nur das Risiko, dass der Patient mit der falschen Diagnose heimgeht. Es besteht auch das Risiko, dass der Arzt auf der Grundlage des falschen Befundes klinische Entscheidungen zum Schaden des Patienten trifft.

Die Gewerkschaft der Primare und jene der Krankenhausärzte beraten derzeit darüber, wie sie ihre Mitglieder für den Fall der Fälle schadlos halten und schützen können. Iwano Simioni erklärt das Warum: „Wenn ich als Arzt aufgrund eines falschen Befundes eine klinische Entscheidung treffe, wird es danach heißen: Herr Doktor, Sie sind inkompetent, denn ich glaube nicht, dass dann die Herren, die das Programm entwickeln, die Verantwortung übernehmen.“

Einerseits geht es den Ärzten also darum, sich persönlich abzusichern. Andererseits sieht der Ärzte-GewerkschafterIwano Simioni auch ein großes Risiko für die Patienten:„Wenn ich nachkontrollieren muss, ob der Patient, den ich operieren muss, schon der richtige ist, dann ist das problematisch.“ Auch müsse sich ein Arzt darauf verlassen können, dass die anagrafischen Daten des Patienten mit den Befunden überstimmen. „Es kann nicht sein, dass ein Patient mit einem Siphilus-Befund aus der Kardiologie kommt“, sagt krass und spitz der Gewerkschafter.

Mit dem NGH-System, auf das der Sanitätsbetrieb und der Landesrat schwören, seien diese Garantien und Sicherheiten nicht gegeben, stellt Iwano Simioni fest. Die Einführung des NGH-Systems sei eine politische Entscheidung gewesen. Und jetzt habe die Politik nicht den Mumm, den Menschen und den verschiedenen Akteuren im Sanitätsbetrieb die Wahrheit zu sagen: nämlich, dass man viel Geld in ein Informationssystem investiert hat, das viel schlechter funtkioniert als das alte. Iwano Simioni: „Die Sanitätsverantwortlichen haben über die Medien verkündet, dass IKIS schlecht sei, in Wahrheit ist das neue System noch schlechter.“

Iwano Simioni sähe den Ausweg darin, IKIS so lange laufen zu lassen, bis das neue System, das man den Ärzte unbedingt aufzwingen wolle, endlich funktioniert. Oder eben den gesamten Betrieb auf das alte System umzustellen. Iwano Simioni geht nämlich davon aus, dass die zwei in Meran mit Sreenshots dokumentierten Fälle mit den falsch zugeordneten Befunden nur die Spitze des Eisbergs sind. „Die Dunkelziffer ist wohl viel höher“, vermutet der Ärzte-Gewerkschafter.

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