Die neue Strategie
Die erste Vorverhandlung im Mordfall Celine Matzohl Frei: Richter Emilio Schönsberg lehnt den Antrag auf ein psychiatrisches Beweissicherungsverfahren ab, erlaubt den Sachverständigen der Verteidigung aber einen Besuch im Gefängnis.
von Thomas Vikoler
Er trägt ein weißes Hemd, mehrere Tattoos am Hals und blickt auf den Boden.
So betritt Omer Cim, 28, in Begleitung von mehreren Gefängniswärtern (wovon einer eine Maschinenpistole trägt) den Gerichtssaal B des Bozner Landesgerichts. Eine gute Stunde später verlässt es der gebürtige Türke wieder mit nassen Augen.
Er hätte auch verzichten können, an der ersten Vorverhandlung teilzunehmen. Doch dahinter steht eine deutlich erkennbare Strategie der Verteidigung.
Omer Cim wird vorgeworfen, am 12. August vergangenen Jahres seine Ex-Freundin Celine Matzhol Frei in Schlanders mit neun Messerstichen getötet zu haben. Drei Angehörige des Mordopfers sind an diesem Vormittag ebenfalls im Gerichtssaal, sie wollen sich als Nebenkläger an dem Strafverfahren beteiligen.
Wie berichtet, setzen Cims Verteidigerinnen Claudia Benedetti und Alessandra D’Ignazio in dieser frühen Phase des Verfahrens auf die Psycho-Schiene. Sie haben Zweifel, dass der 28-Jährige, der nach dem ihm vorgehaltenen Mord nach Österreich flüchten wollte, zum Tatzeitpunkt voll zurechnungsfähig war.
Anhaltspunkte dafür hätten sich bei Gesprächen ihres Mandanten mit Psychologen im Bozner Gefängnis gezeigt. Deshalb stellte die Verteidigung bereits vor der Vorverhandlung einen Antrag auf ein psychiatrisches Gutachten zur Klärung von Cims Schuldfähigkeit.
In der Verhandlung am Donnerstag änderten die Verteidigerinnen ihre Strategie. Sie beantragten, dass von ihnen ernannte psychiatrische Sachverständige dem Beschuldigten mehrere Besuche im Gefängnis abstatten dürfen, um unwiederholbare Erhebungen zur Zurechnungsfähigkeit vorzunehmen (u.a. Psycho-Tests).
Ein Ansinnen, das die Staatsanwaltschaft, vertreten von deren Leiter Axel Bisignano und Francesca Sassani, entschieden ablehnte. Es könne nicht sein, dass die Verteidigung im Alleingang Beweise zur Schuldfähigkeit sammelt, die im weiteren Verlauf des Verfahrens verwendet werden könnten. Die Anklage stellte daraufhin, wie angekündigt, einen Antrag zur Durchführung eines Beweissicherungsverfahrens mit der Ernennung eines Gerichtsgutachters.
Dies hält wiederum Richter Emilio Schönsberg für keine gute Idee. Er lehnte den Antrag der Anklage nach kurzer Beratung ab. Ein Beweissicherungsverfahren zur Klärung der Zurechnungsfähigkeit Cims sei eine Angelegenheit für ein Schwurgericht, nicht für eine Vorverhandlung, so seine Begründung. An einem Beweissicherungsverfahren können alle Verfahrensparteien, auch die Nebenkläger, mit eigenen Sachverständigen teilnehmen.
Die Verteidigerinnen Benedetti und D‘ Alessandro gaben aber nicht auf. Sie beantragten einen Besuch der von ihnen beauftragten psychiatrischen Sachverständigen im Gefängnis, um mit dem Beschuldigten zu sprechen. Dazu war die Rede von wiederholbaren Erhebungen zur Zurechnungsfähigkeit. Das bedeutet, dass die dabei gewonnen Erkenntnisse nicht als Beweismittel in einem Schwurgericht verwendet werden können.
Diesen Antrag nahm Richter Schönsberg – mit einem positiven Gutachten der Staatsanwälte – schließlich an. Die Sachverständigen der Verteidiger können sich mit Cim im Gefängnis unterhalten.
Die nächste Vorverhandlung ist für den 5. Juli angesetzt. Dort wird der Richter über den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Einleitung eines Hauptverfahrens entscheiden. Eine Formalität angesichts der eindeutigen Beweislage in diesem Mordfall.
Der Schwurgerichtsprozess mit einem neu bestellten Schöffensenat unter Vorsitz von Sektionspräsident Stefan Tappeiner wird voraussichtlich im Herbst losgehen. Dort wird das Thema psychiatrisches Gutachten erneut aufs Tapet gebracht. Es ist äußerst wahrscheinlich, dass ein solches zugelassen wird. Die Verteidigung hat nun immerhin die Möglichkeit, weitere Argumente dafür zu sammeln.
Im Falle eines Schuldspruchs zum Vorwurf der erschwerten vorsätzlichen Tötung (plus einiger Nebendelikte wie Widerstand gegen die Staatsgewalt, Körperverletzung und Drohung) muss Omer Cim mit einer lebenslänglichen Haftstrafe rechnen. Bei einer teilweisen Zurechnungsfähigkeit – auf die die Verteidigung hinarbeitet – hätte er Anspruch auf einen Haftreduzierung bis zu einem Drittel. Also eine Strafe von unter 20 Jahren Haft.
Ein Strafausmaß, das angesichts der zahlreichen Frauenmorde der vergangenen Jahre von einer breiteren Öffentlichkeit wohl schlecht aufgenommen würde.
Über Omer Cim, dem Tatverdächtigen, ist bisher kaum etwas bekannt. Er schwieg vor dem Haftrichter, hat zu reden begonnen und zeigt sich vor Gericht. Er hat Anrecht auf einen fairen Prozess.
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Kommentare (1)
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nobodyistperfect
Die Presse gibt diesen… immer noch eine Bühne, wie abscheulich.