Der letzte Akt?
Am 12. September trifft die Kassation die möglicherweise endgültige Entscheidung im Mordfall Laura Perselli/Peter Neumair. Chancen für ihren Sohn Benno Neumair auf Aufhebung des zweitinstanzlichen Schuldspruchs bestehen durchaus.
von Thomas Vikoler
Der Tag der vielleicht definitiven Entscheidung zu einem der spektakulärsten Mordfälle der letzten Jahrzehnte naht: Die Kassation hat nun den Verhandlungstermin zur Kassationsbeschwerde von Benno Neumairs Verteidiger Angelo Polo und Flavio Moccia gegen das Urteil des Bozner Oberlandesgerichts vom 30. Oktober 2023 bekanntgegeben.
Es ist der 12. September, als gleich nach der Sommerpause an den italienischen Gerichten, die inoffiziell zumeist über den August hinausreicht. Benno Neumair, inzwischen 34, wartet derweil in U-Haft im Gefängnis von Montorio Veronese auf die Verhandlung, an der er nicht teilnehmen darf. In einem Kassationsverfahren geht es laut Gesetz allein um rechtstechnische Fragen bzw. etwaige Begründungsmängel im vorangegangenen Urteil.
Mit diesem war die von einem Schwurgericht des Bozner Landesgericht verhängte lebenslängliche Haftstrafe (genauer: jeweils lebenslänglich für die Morde an die Eltern Laura Perselli und Peter Neumair) bestätigt worden.
Das Urteil sprichwörtlich aufzureißen und einen zweiten Berufungsprozess zu erzwingen, ist kein leichtes Unterfangen für die die Verteidigung, liegt aber durchaus im Bereich des Möglichen. Die Befürchtung von Polo und Moccia ist allerdings die, dass die Kassation das Urteil des OLG lediglich zu Nebenaspekten (etwa die Frage, ob es sich bei der „Entsorgung“ der getöteten Eltern in der Etsch um eine Leichenbeseitigung oder eine -zerstörung handelt) aufhebt und einen zweiten Berufungsprozess am Landesgericht Trient anordnet.
Zentrales Thema der über hundertseitigen Kassationsbeschwerde der Verteidigung ist die Frage der Zurechnungsfähigkeit von Benno Neumair am Nachmittag des 4. Jänner 2021. In einem zeitlichen Abstand von einer dreiviertel Stunde erdrosselte der Mathematik-Aushilfelehrer seine beiden Eltern mit einem Kletterseil. Die Verteidigung beharrt auf der Einschätzung ihrer Sachverständigen, dass Neumair bei beiden Morden zumindest teilweise unzurechnungsfähig, in seiner Willens- und Einsichtsfähigkeit also eingeschränkt war. Die Gerichtsgutachter waren zum Schluss gelangt, dass Neumair beim ersten Mord (den an seinem Vater) diese Voraussetzung, auch wegen eines erlebten psychotischen Schubs, erfüllte, beim zweiten hingegen zurechnungsfähig war. Das Schwurgericht setzte sich über das Gutachten hinweg und entschied auf volle Schuldfähigkeit bei beiden Morden – und eine Planung des zweiten.
Im Kassationsverfahren wird das bekannte Urteil zum Mordfall Raso eine entscheidende Rolle spielen, zumal dort das Höchstgericht eine teilweise Zurechnungsfähigkeit des Täters mit Persönlichkeitsstörung, bei dem zudem kein psychotischer Schub festgestellt worden war, anerkannt hatte. Angesichts der Tatsache, dass es keine gesetzliche Regelung dafür gibt, ab welcher Intensität eine Persönlichkeitsstörung die Willens- und Einsichtsfähigkeit beeinträchtigt, obliegt die Festlegung der Rechtssprechung. Für Polo und Moccia müsste sich die zuständige Kammer der Kassation am 12. September am Fall Raso orientieren und das OLG-Urteil deshalb aufheben.
Benno Neumair mit seinen Verteidigerin Angelo Polo und Flavio Moccia am Landesgericht: Zweimal lebenslänglich
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