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Die Nackten im Schloss

Die Bozner Künstlerin Cornelia Lochmann stellt auf  Schloss Kastelbell aus. Weil ein Bild Nackte in eindeutigen Posen zeigt, sollte es nicht gezeigt werden.

von Heidy Kessler

Édouard-Henri Avril (1848 – 1928) war ein Meister der erotischen Illustration und ging unter dem nur wenig verhüllendem Pseudonym Paul Avril recht deftig zur Sache. Halsbrecherische Arrangements kopulierender Angehöriger der französischen Oberschicht waren seine Spezialität.

Paul Avril illustrierte die galante Literatur seiner Zeit und war damit sehr erfolgreich. Er beeindruckte vor allem durch die naturwissenschaftliche Genauigkeit, mit der er seine Objekte betrachtete und darstellte.

Avril spielt – wenn auch nur indirekt – eine große Rolle in der Frühjahrsausstellung derzeit auf Schloss Kastelbell. Die Ausstellung ist der aus Bozen gebürtigen und in Berlin lebenden Künstlerin Cornelia Lochmann gewidmet. Das zentrale Werk im nicht zufällig letzten und intimsten Raum der Ausstellung zeigt Lochmanns Interpretation einiger Motive Avrils.

Künstlerin Cornelia Lochmann

Wie bei Avril sind Paare in eindeutigen Posen zu sehen, freilich hier nicht aus dem Blickwinkel eines Mannes im 19. Jahrhundert, sondern einer 39-jährigen Frau im 21. Jahrhundert.

Das erzeugt Reibung und Spannung, verstärkt noch durch die künstlerische Entscheidung Lochmanns, ihr Bild zum Teil einer Installation mit Lichteffekten und Klangwolken zu machen. Erschütterungen, die die Zuschauer selbst durch Schritte auf dem Holzboden erzeugen, lösen Licht- und Leuchteffekte aus.

Das Auftragswerk trägt wie die Ausstellung den Titel „from the cradle to the grave“ – „von der Wiege bis ins Grab“ und wurde eigens für Schloss Kastelbell konzipiert und geschaffen.

Lochmann-Bild mit Nackten

Umso erstaunlicher ist es, dass die Besucher das Werk nur durch eine halbdurchsichtige Gardine sehen können, durch einen Store, dem Symbol kleinbürgerlicher Doppelmoral und falscher Scham schlechthin. Zeigen und verhüllen gleichzeitig: für diesen Kunstgriff entschied sich Lochmann selbst, um ihr Werk für die Ausstellung zu retten gegen den Widerstand des Obmanns des Kuratorium Schloss Kastelbell Gerold Tappeiner.

Tappeiner befürchtete nach eigenen Aussagen, dass die orgiastischen Szenen das Zuschauerinteresse zu sehr auf sich ziehen und von den anderen Werken ablenken könnten.

Der honorige Obmann des Kuratoriums wollte dem Vinschgau weibliche „Pornokunst“ sozusagen ersparen. Das Ergebnis ist eine schamhafte Verhüllung, die für Wohlmeinende als eine Art Kunstwerk durchgehen könnte. Weniger Wohlmeinende können in der Kunst hinterm Vorhang wohl nur erzwungene (Selbst)-Zensur sehen, die deutlich macht, dass Südtirol eben doch tiefe Provinz ist und keine Weltstadt mit Bergen, als die es sich selbst gerne sehen möchte.

 

Erstaunlich ist auch, dass diese besondere Form der Prüderie weitgehend unbemerkt blieb.

Blut, Schweiß und Tränen sind auch die Motive in den anderen Werken Lochmanns, die in der Ausstellung zu sehen sind. Ob in „Vorhang auf für Madame Bovary“, in „Renaissance-Dyptychon“ in „embrace yourself“ oder im Zyklus „Blut“, „Schweiß“, „Tränen“ es sind vor allem die intensiven Farben, die die einzigartig existenzialistische Spannung in Lochmanns Bildern erzeugen.

Anklänge an die großen Meister Caspar David Friedrich und Edward Munch lassen eine Linie von der deutschen Romantik über den Expressionismus bis hin zu Lochmann ziehen, Krapplack dunkel und preußisch Blau sind nicht zufällig ihre Lieblingsfarben.

Wie nun die zum großen Gestus neigende Lochmann auf den peniblen Illustrator Avril kam?

Es ist eigentlich ganz einfach, erklärt Lochmann. Das Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit liege wie ein Schatten auf der Existenz des Menschen. Entkommen könne der Mensch der traurigen Gewissheit nur in den wenigen entgrenzenden Momenten der sexuellen Vereinigung. Dies wollte sie über den Umweg Édouard-Henri Avril darstellen.

So weit so gut und sogar ein wenig banal. Das Skandalum ist eigentlich nur der weiße Schleier, der sich auf das Werk der Boznerin legen musste.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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