Der verbotene Hit
Ein Party-Knaller wird zur rassistischen Hymne: Nach dem Sylt-Eklat erreicht die Verbotsdebatte um Gigi D’Agostinos „L’Amour Toujours“ auch Südtirol.
von Christian Frank
Sylt sorgt wieder für Schlagzeilen. War es noch vor zwei Jahren eine Posse über Punks, welche mit dem Neun-Euro-Ticket die Insel der Reichen und Schönen belagerten, ist es jetzt die junge deutsche Oberschicht, welche dort fremdenfeindliche Parolen singt und Nazisalute schwingt. Ein Handyvideo sorgt nämlich für Furore: Mit weißen Polohemden, welche unter dunklen Gilets hervorragen, grölt die junge Noblesse Oblige Deutschlands auf einer Party in Sylt sichtlich beschwipst: „Ausländer raus, Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“. Die Kamera schwenkt, man sieht, nicht nur Veneziano-Gläser ragen empor, sondern auch der rechte Arm eines Feiernden zum Nazisalut, der linke imitiert mit den Fingern einen Hitlerbart. Das zweckentfremdete Lied, über welches die Parolen im schiefen Unisono gesungen werden, ist ein heute noch häufig gespielter Disco-Hit aus den Neunzigern namens „L’Amour Toujours“ von Gigi D’Agostino. Ein englischsprachiger, französisch betitelter und von einem Italiener produzierter Song, welcher von Liebe und dem Verlangen nach Zweisamkeit handelt.
Das Video schlug hohe Wellen, online wurden die Identitäten der abgebildeten Personen preisgegeben, einige von ihnen sollen dadurch ihren Arbeitsplatz verloren haben. Bundeskanzler Olaf Scholz verurteilte öffentlich die Inhalte des Videos, Agostino selbst distanzierte sich von jeglicher Konnotation und betonte den eigentlichen Sinn des Songs. Nun häufen sich die Berichte über ähnliche Vorfälle, ein genereller Nachahmereffekt scheint sich breit zu machen, unter anderem sollen Diskogäste in Kärnten ebenso den xenophoben Text über den Party-Hit skandiert haben. Als Konsequenz verschwindet der Song aus den Programmen populärer Radiosender wie dem Ö3 und den Playlisten von Diskotheken und Festen, wie beispielsweise die Leitung des Münchner Oktoberfestes unmissverständlich klarstellte.
„Das Lied wird nicht gespielt – weder im Zelt noch sonst irgendwo“, verkündete der Wiesn-Chef Clemens Baumgärtner.
Auch hierzulande werden die synthesizerlastigen Klänge des Agostino-Songs spärlicher. Im Club Max hat es sich damit nämlich ebenso ausgespielt.
„Ich habe allen DJs verboten, dieses Lied zu spielen“, erklärt Felix Taschler, der Betreiber von Club Max und Diskothekenvorsitzender.
Laut Taschler hat es zwar in seinem Club niemals dahingehende Probleme gegeben, der Schritt ist jedoch prophylaktischer Natur.
„Wir wollen damit einigen Kindsköpfen zuvorkommen, welche sich nach diesem ganzen Medienrummel um das Sylt-Video vielleicht einen Spaß daraus machen und nun erst recht diesen Text singen. Somit gehen wir nicht ein Minimum an Risiko ein“, so Taschler. Dass eine Gefahr von mehr als einigen „Kindsköpfen“ besteht, bezweifelt der Diskothekenbetreiber jedoch. Es bestehe das Risiko von angesporntem Nachäffen, nicht ideologischer Überzeugung.
„Ich denke, wir Südtiroler können uns nicht mit diesen Texten identifizieren, wir bespielen ein sehr gemischtes Publikum. Es ist bis dato in keiner Form, also weder von italienischsprachiger noch deutschsprachiger Seite, vorgekommen.“
Für wie lange das Lied im Club Max verboten bleibt, lässt Taschler offen, er sieht jedoch auch keinen großen Verlust darin.
„Der Song wird bei uns hauptsächlich auf unseren 90er- oder 2000er-Partys gespielt. Bei unserem regulären Diskobetrieb hat das Lied schon relativ ausgedient. In einem Jahr erinnert sich keiner mehr an diesen Sylt-Vorfall, aber für die nähere Zukunft bleibt das Lied außen vor“, gibt Taschler zu verstehen.
Während die österreichischen Hitradiokollegen vom Ö3 den Song nach Angaben der ZIB gestrichen haben, kann der Südtirol 1 Programmdirektor Heiner Feuer, diesen Schritt nicht ganz nachvollziehen: „Ich nehme vorweg, dass wir diesen speziellen Agostino-Song ohnehin nicht in unserem Programm haben.“
Selbst wenn dies jedoch der Fall wäre, sehe Feuer keinen Anlass für eine Streichung, da kein dahingehender Verdacht gegen den Künstler besteht und das Lied ohne sein Zutun zweckentfremdet wurde.
„Wenn die Sorge besteht, dass ein Lied bei jedem Abspielen zur Agitation und Radikalisierung der Bürger führt, wäre dieser Schritt denkbar, jedoch sehe ich diese Gefahr nicht gegeben“, so Feuer und fügt hinzu, dass er das Verbot auf Festveranstaltungen hingegen nachvollziehen kann.
Mit Vorbehalten gegenüber den Reaktionen auf den Eklat und der Umgang mit dem Sylt-Video ist Feuer nicht allein.
Der Talkshow-Moderator Markus Lanz kritisierte in einer TV-Debatte die geschwungene Nazikeule und die mediale Lawine, welche durch das Video vom Zaun brach.
„Das sind keine Nazis! Das sind Rassisten, oder Leute mit rassistischen Vorurteilen“, findet der gebürtige Südtiroler und bemängelt auch, wie groß der Vorfall getreten wird.
In diesem Sinne pflichtet ihm auch der umstrittene Südtiroler Landtagsabgeordnete Jürgen Wirth Anderlan bei. Kürzlich veröffentlichte er auf den sozialen Medien ein Video vor einer Meerkulisse, in welchem er zu den Klängen von „L’Amour Toujours“ behauptet, auf seiner „Lieblingsinsel Sylt“ zu sein.
„Hat dieses Land keine anderen Probleme? Ich heiße diese Aussagen weder gut, noch nehme ich sie ernst. Aber wo waren die ganzen ‚mutigen‘ Stimmen bei all den Vergewaltigungen, Messerstechereien und Morden? Nirgends! Weil dafür der Gratismut nicht ausreicht“, echauffiert sich Anderlan, welcher auf Nachfrage der TAGESZEITUNG nicht bestätigen wollte, ob er sich tatsächlich auf Sylt befindet.
Kommentare (44)
Lesen Sie die Netiquette und die Nutzerbedingungen
Du musst dich EINLOGGEN um die Kommentare zu lesen.