Die Erpressung
Brav sein, oder Geld weg! Wie die Landespolitiker in seltener Eintracht jedwede Kritik und politische Dialektik in den Online-Foren der Südtiroler Medien unterbinden wollen.
von Artur Oberhofer
Man kann darüber streiten, wo das intellektuelle Niveau höher ist: in Südtirols Redaktionsstuben oder im Südtiroler Landtag, wo 35 Damen und Herren in erster Linie mit sich selbst beschäftigt sind und daher schwer die Zeit finden, sich um die tatsächlichen Probleme der Menschen im Lande zu kümmern.
Warum diese Prämisse?
Um das Niveau, um die Diskussionskultur – genau darum geht es in dieser Geschichte.
Auch dank der Online-Medien sind die Landespolitiker zu gläsernen Abgeordneten geworden, das heißt: Die Bürger sehen viel rascher, viel tiefer und viel öfter hinter die Kulissen der Paläste der Macht.
Dass die BürgerInnen im digitalen Zeitalter zudem noch die Möglichkeit haben, die Arbeit der PolitikerInnen in den verschiedenen Online-Foren und Nachrichtenportalen zu kommentieren, ist für viele PolitikerInnen ein echtes Problem.
Bereits seit Jahren versucht die politische Kaste in Südtirol in seltener und parteienübergreifender Eintracht die Hoheit über die digitalen Stammtische, die Online-Foren zu erlangen.
Dabei operiert man nach dem fiesen Erpressungsprinzip: Wer zahlt, schafft an.
Jene Online-Medien, die in ihren Foren nicht die Meinungspolizisten spielen und eben auch (harte) Kritik an der Kaste zulassen, sollen künftig keine Förderbeiträge vom Land mehr erhalten.
Die Dünnhäutigkeit bzw. Harmoniebedürftigkeit der LandespolitikerInnen ist inzwischen
schon so akut, dass man BürgerInnen nicht nur das Schreiben (von Kommentaren), sondern sogar das Lesen (derselben) verbieten will.
Es riecht nach Orban im Lande.
Tatsächlich will das Land Südtirol künftig nur mehr jene Online-Medien mit Landesgeldern „fördern“, die ihre Meinungs-Foren so aufbauen, dass nur mehr registrierte BenutzerInnen die Kommentare unter den Meldungen lesen können.
Richtig gelesen! Nicht nur die Kommentar-SchreiberInnen müssen sich registrieren, was gut und richtig ist, sondern auch jene, die die Kommentare lesen wollen.
Putin lässt grüßen.
Das Kalkül der PolitikerInnen ist klar: Man will das Problem der wenig schmeichelhaften Kommentare lösen, indem man die Foren in Darkrooms verwandelt, zu denen nur mehr die SchreiberInnen selbst Zugang haben.
Man will also den Protest, die Kritik, den Unmut in eine Dunkelkammer verbannen, ganz nach dem Motto: Sperrt die Eiertreter in eine Blase, wo sie unter sich sind – und sich gegenseitig mit Schmutz bewerfen können.
Das Vorgehen der Landespolitik ist gesellschaftspolitisch gefährlich. Ein Akt der Feigheit. Denn man würgt ein Zeitgeist-Phänomen – jenes der kollektiven Schreibwut, mit dem alle Medien, auch die sogenannten Qualitätsmedien zu kämpfen haben – einfach ab, ohne das Problem an der Wurzel anzugehen.
Viel gescheiter, als die lokalen Medienhäuser zu erpressen, wäre, wenn sich Kompatscher & Co. einmal fragen würden: Warum ist die Politikverdrossenheit so manifest? Warum sind die Menschen von Zukunfts- und anderen Ängsten getrieben? Warum ist die Bürgerwut so latent? Warum sind PolitikerInnen (und wir JournalistInnen als deren tapfere und wackere Handlanger) so verhasst?
Den Menschen faktisch das Lesen von Online-Kommentaren zu untersagen, ist nicht nur demokratiepolitisch bedenklich, sondern ein Akt der Verzweiflung.
Der nächste Schritt in dieser Logik wäre, die Leserbrief-Seiten von Tageszeitungen zu vakuumieren und mit einem „Fragen Sie Ihren Arzt und Apotheker“-Warnhinweis zu versehen.
Oder man streicht Gastbetrieben, an deren Stammtischen Neider, Nörgler und Politikverdrossene über Politiker herziehen, einfach den Beitrag für die Solaranlage auf dem Dach.
Man wolle doch nur in der Online-Diskussion eine „Atmosphäre des Respekts und der Höflichkeit“ schaffen, sagte Landeshauptmann Arno Kompatscher am Dienstag nach der Regierungssitzung. Das sagt, erstens, ein ranghoher Vertreter einer Institution namens Landtag, die atmosphärisch oft mehr Kindergarten und Tollhaus als Hohes Haus ist. Eine Institution, die meist schlechter besucht ist als die Bar nebenan.
Und zweitens: Fühlt sich ein Politiker, eine Politikerin durch einen Kommentar beleidigt, kann er/sie jetzt schon jederzeit Anzeige erstatten.
Alle KommentatorInnen in den Online-Foren der hiesigen Medien sind regulär registriert, müssen sogar ihre Handy-Nummer angeben – und können jederzeit über ihre IP-Adresse ausfindig gemacht werden.
Die Online-Foren sind folglich keine – wie die Politik glauben machen will – rechtsfreien Räume.
Und auch wenn die verschiedenen Online-Foren vielfach, zugegeben, keine Biotope der angewandten Philosophie und der Feingeistigkeit sind, gibt das der Politik noch lange nicht das Recht, den Diskurs zwischen Volk und Volksvertretern unter Androhung von Sanktionen in Gestalt von Beitragskürzungen zu kappen – nur weil ein paar Wenige die Gastfreundschaft in Foren mit Narrenfreiheit verwechseln und meinen, sie müssten ständig hyperventilieren und aus der Hüfte schießen.
Die Politik tut so, als wären die Online-Foren der Südtiroler Medien schmuddelige Diskussionsbuden. Noch nie, Herr Kompatscher, die Foren von sogenannten Qualitäts- und Leitmedien im deutschen Sprachraum gesehen und gelesen?
Und, bitteschön, tun wir nicht so, als wäre Südtirol ein Land der „Spiegel“-Leser und der „Zeit“-Abonnenten.
Die Medien in Südtirol sind nicht schmuddeliger als die PolitikerInnen dieses Landes. Die lokalen Medien sind – wie die hiesigen PolitikerInnen – ein Spiegel der Gesellschaft. Und wenn die Politik glaubt, durch die Zensur in den Online-Foren und durch die Belohnung jener Medien, die wie ein Landespresseamt kuschen, die Qualität des Journalismus im Lande anheben zu können, befindet sie sich auf dem Holzweg.
Eine Regimepresse braucht Südtirol, brauchen die Menschen im Lande nicht.
Das wahre Kalkül hinter dieser gleichwohl schwulstigen wie heuchlerischen Rhetorik des Landeshauptmannes ist: Man will jede Form der Kritik an der Politik aus den Online-Foren verbannen. Der Skandal im Skandal ist, dass die Opposition dieses Spiel mitmacht. Aus Eigeninteresse.
Denn ein Paul Köllensperger will nicht, dass er stets an seinen 600-Euro-Blödsinn erinnert wird. Eine Ulli Mair, die bis vor wenigen Monaten selbst ein Maschinengewehr in Stöckelschuhen war, teilt lieber aus, kann aber nicht einstecken.
Und ein LH Kompatscher liest nicht gern, dass er beispielsweise in Sachen Nachhaltigkeit Wein trinkt und Wasser predigt. Und dass sein Platz in der Geschichte Südtirols möglicherweise kein sehr ruhmvoller sein werde.
Mehrheit und Opposition ziehen in Sachen Online-Foren ausnahmsweise an einem Strang. Dieser Solidareffekt ging vor wenigen Monaten so weit, dass es Ulli Mair gelungen ist, eine Überwachungskommission für den eigentlich so harmlosen Sender Bozen im Koalitionsprogramm festzuschreiben. Nur gab es damals einen Aufschrei – und die Politik ruderte still und leise zurück.
Landeshauptmann Arno Kompatscher wähnt sich auf der Seite der Vernunft.
Gegenüber der TAGESZEITUNG sagte er zu den neuen Kriterien für die Medienförderung:
„Wir möchten eine Medienförderung geben für Kritik, kritischen Austausch, Dialog und Debatte – und nicht für Derbheiten, gegenseitiges Niedermachen, Privatfehden und Verbreitung von Fake-News.“
Allerdings: Mit einer glatten Erpressung – Brav sein! Oder kein Geld! – erreicht er dieses Ziel sicher nicht.
Kommentare (69)
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