„Es gibt keinen Vertrag“
Der Masken-Skandal könnte den Mitwirkenden des Südtiroler Sanitätsbetriebs vor allem finanziell wehtun. Die Staatsanwaltschaft am Rechnungshof verlangt von Florian Zerzer. Enrico Wegher, Marc Kaufmann, Patrick Franzoni, Pierpaolo Bertoli, Marianne Siller und Renato Martinolli die gemeinsame Rückzahlung von 6.709.053,23 Euro.
von Thomas Vikoler
Den über tausendseitigen Abschlussbericht der Carabinieri-Sondereinheit NAS in Trient unter ihrem damaligen Kommandanten Davide Perasso hat auch in der Staatsanwaltschaft am Rechnungshof aufmerksam gelesen.
Der Bericht führte am Ende zu einer arg abgespeckten Anklage der Staatsanwaltschaft am Landesgericht gegen Ex-Sanitätsgeneraldirektor Florian Zerzer, Oberalp-Geschäftsführer Christoph Engl und Vize-Covid-Einsatzleiter Patrick Franzoni. Das Verfahren hängt derzeit in der Vorverhandlung, wo über die Zulassung von Nebenklägern gestritten wird.
Vermögensrechtlich ist der Bericht zum sogenannten Masken-Skandal am Beginn der Corona-Pandemie eine etwas andere Angelegenheit. Für sie ist Alessia Di Gregorio zuständig, die Leiterin der Staatsanwaltschaft am Rechnungshof. Ihre Aufgabe ist es herausfinden, ob öffentliche Bedienstete der Behörde, für die sie arbeiten, einen Schaden zugefügt haben oder nicht.
Ihre Antwort zur ersten, von Oberalp vermittelten Lieferung von Schutzausrüstung ist eindeutig: Zerzer & Co. sind für die gesamte Zahlung an Oberalp – genau 6.709.053,23 Euro – verantwortlich und müssen den Betrag aus der eigenen Tasche zurückzahlen. Gemeint sind neben Zerzer auch Enrico Wegher, Marc Kaufmann, Patrick Franzoni, Pierpaolo Bertoli, Marianne Siller und Renato Martinolli
Ihre Namen stehen in einer Einladung zur Stellungnahme Di Gregorios, die der TAGESZEITUNG vorliegt. Die Betroffenen werden darin aufgefordert, zur Vorhaltung Stellung zu nehmen, was einige von ihnen auch getan haben. Ex-Sanitätsgeneral Zerzer begab sich etwa zu einer Einvernahme durch Di Gregorio.
In Kürze werden die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft am Rechnungshof abgeschlossen, es ist davon auszugehen, dass Di Gregorio sämtliche Vorhaltungen in ihrer Anklage übernehmen wird. Es kommt also zu einer Verhandlung vor der Rechtssprechenden Sektion des Rechnungshofs.
Die Anwälte der Betroffenen argumentieren, dass die aus China gelieferte Schutzausrüstung sehr wohl in den Spitälern, jedenfalls für einige Wochen, eingesetzt worden sei und trotz der technischen Mängel vor Ansteckungen mit dem Corona-Virus geschützt habe. Hier verweisen sie auf das Beispiel Lombardei, wo anstelle von Schutzanzügen Müllsäcke verwendet wurden. Dass die Ware nach Bekanntwerden des Skandals zu einem Großteil nicht mehr verwendet werden konnte, könne Zerzer & Co. nicht angelastet werden.
Die Staatsanwaltschaft am Rechnungshof sieht es anders: „In erster Linie wird in Bezug auf die erste Lieferung von Persönlicher Schutzausrüstung durch die Oberalp AG darauf hingewiesen, dass dem Sanitätsbetrieb und seiner Führungsebene sofort bekannt gewesen war, dass keine der erforderlichen CE-Zertifikate vorhanden waren – weshalb es notwendig gewesen wäre, vor der Verteilung der Ausrüstung ab dem 24. März 2020 die Validierung durch das INAIL abzuwarten – und dass die für die Klassifizierung der Ausrüstungen und die Bewertung ihrer Qualität erforderlichen technischen Unterlagen fehlten“, heißt es in der Vorhaltung.
Und weiter: „Aufgrund dieser Erkenntnis hätte die Führungsebene des Sanitätsbetriebs den Ankauf nicht tätigen dürfen oder aber bei Vertragsabschluss die erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen ergreifen müssen, um die Interessen der öffentlichen Körperschaft und die Gesundheit der Patienten und des Personals zu schützen, indem sie Klauseln festlegte,um sich vor eventuellen negativen Entwicklungen in dieser Angelegenheit zu schützen“.
Beanstandet wird von der Staatsanwaltschaft auch, dass der von der NAS gefundene Vertrag vom 17. März 2020, welche der Sanitätsbetrieb Oberalp vorgelegt hatte, nicht von beiden Seiten unterzeichnet worden ist. Er sei als bloßer Entwurf zu betrachten, da Oberalp später noch Vorschläge für Vertragsänderungen übermittelt habe.
„Anstatt sich an andere Marktteilnehmer zu wenden oder die Annahme der Klauseln zu seinem eigenen Schutz zu verlangen, beschloss der Sanitätsbetrieb, obwohl er sich der aufgetretenen kritischen Aspekte bewusst war, die Zahlung von 6.003.450,00 Euro mit Mandat Nr. 0027591 vom 24. März 2020 (die Ware) und 705.603,23 Euro mit Mandat Nr. 0033027 vom 27. April 2020 (die Lieferung) zugunsten der Oberalp durchzuführen, obschon bereits klar war, dass es sich um eine nicht geeignete Ware handelt“, heißt es weiter in der Aufforderung zur Stellungnahme.
Es sei außerdem verabsäumt worden, die Möglichkeit des Rücktritts vom Vertrag im Fall der Nichterfüllung durch den Lieferanten, eine Haftungsklausel zulasten des Lieferanten für die quantitative und qualitative Nichtübereinstimmung zwischen dem gelieferten und dem bestellten Produkt sowie eine Rückgriffsklausel gegenüber dem Lieferanten für allfällige Schäden, die sich aus der Verwendung des Materials ergeben, vorzusehen.
Dabei habe es Alternativen zur Lieferung gegeben: Die Firma Asia Trading & Consulting Ltd machte dem Sanitätsbetrieb am 16. März 2020 ein Angebot für chirurgische Masken mit Bescheinigungen über bakterielle Filtrationstests, Konformitätszertifikate und einen US-Labortest. „Doch der Sanitätsbetrieb verlangte mit Nachdruck die Vorlage von Unterlagen, die die Qualität der Produkte und angemessene Zertifizierungen belegen sollten, und warf weitere kritische Fragen in Bezug auf die Zollabfertigung und die Preise auf“, schreibt die Staatsanwaltschaft am Rechnungshof.
Verwiesen wird auch auf ein Angebot des deutschen Unternehmens Ledonik vom 21. März 2020 an Zerzer.
„Seine gesamte Vorgehensweise ist durch Vorsatz gekennzeichnet, was auch durch alle Versuche bestätigt wird, die er unternahm, um Auswege für die Tatsache zu finden, dass die nicht aseptischen Anzüge unbrauchbar waren, mit dem offensichtlichen Zieldie Zahlung an die Oberalp AG zu legitimieren“, schreibt Di Gregorio.
Er habe außerdem fälschlich vorgegeben, die Lieferung aus China habe ein positives Gutachten der Universität Innsbruck erhalten. Zitiert wird auch eine Aussage Zerzers aus einer Video-Konferenz, wonach man auf jedem Fall vermeiden wolle, von Oberalp Schadensersatz zu fordern.
Gesamtschuldnerisch, also gemeinsam, für die 6,7 Millionen Euro aufkommen sollen auch Enrico Wegher in seiner Eigenschaft als Verwaltungsdirektor, der die Zahlung von 6.003.450 für die Schutzausrüstung genehmigte, aber auch Covid-Einsatzleiter Marc Kaufmann, der bescheinigte, dass die erste Lieferung den gesetzlichen Bestimmungen entspreche und – wie sein Vize Patrick Franzoni – ein positives Gutachten der Uni Innsbruck erhalten habe. Zur Position Franzonis wird in der Vorhaltung auf die ominöse Fahrt zur Zertifizierungsanstalt Dekra verwiesen. Er sei „auf betrügerische Weise eine „Freigabe“ für die Verwendung der gekauften Produkte zu erhalten, und zwar unter Geringschätzung der Unversehrtheit des Personals und der Patienten“, heißt es dazu.
Pierpaolo Bertoli, dem geschäftsführenden Sanitätsdirektor und Pflegedirektorin Marianne Siller wird vorgehalten, in einem Rundschreiben an das Sanitätspersonal vom 6. April 2020 erklärt zu haben, dass die Zertifizierungsunterlagen für die Schutzausrüstung von der Universitätsklinik Innsbruck positiv beurteilt worden seien. Renato Martinolli, Verfahrensverantwortlicher der Ausschreibung soll hingegen durch eine Bestätigung der nachträglichen Änderung der Vertragsbedingungen zum Schaden beigetragen haben.
Ein weiterer Posten aus der Vorhaltung betrifft die 31.711 Euro für die vom Sanitätsbetrieb zwecks „Aufhebung der Untauglichkeit der von Oberalp erworbenen Masken“ bei Dekra und einer Firma in Varese in Auftrag gegebenen Tests. Dafür müssen für die Staatsanwaltschaft am Rechnungshof Zerzer, Franzoni und Martinolli finanziell geradestehen.
Rechnung für Franzoni
Wegen seiner Abwesenheiten von Dienst soll der Vize-Covid-Einsatzleiter 30.722,59 Euro bezahlen.
Während die Staatsanwaltschaft am Rechnungshof den Verantwortlichen zum Masken-Deal mit Oberalp keinen Imageschaden zu Lasten des Sanitätsbetriebs vorhält, fällt dieser zum vermeintlichen Absenteismus von Vize-Covid-Einsatzleiter Patrick Franzoni um so heftiger aus. In der Vorhaltung beziffert die Staatsanwaltschaft diesen auf 30.000 Euro.
Franzoni hatte während des ersten Lockdowns mehrere Abwesenheiten vom Arbeitsplatz nicht gemeldet. Dadurch entstand – wie auch aus der Anklage gegen Franzoni im Strafverfahren am Landesgericht hervorgeht – dem Sanitätsbetrieb ein Vermögensschaden von 722,59 Euro. Diesen Betrag fordert der Rechnungshof von ihm zusätzlich zu den 30.000 Euro.
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