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Die Grenze des Sagbaren

Jürgen Wirth Anderlan bei einer Demo vor dem Landtag im Oktober 2021

„Größte Freiheitsberaubung in Nichtkriegszeiten“, „Brandstifter in der Regierung“ und „Schlimmer als Stalin“: Wie die Corona-Debatte im Landtag völlig aus dem Ruder gelaufen ist.

von Matthias Kofler

Andreas Colli hat dick aufgetragen: „Grundrechte, die zu Privilegien erklärt wurden, Menschen, die wie Vieh weggesperrt wurden und ein Green Pass als Maßnahme, wie sie nicht einmal Stalin in der Sowjetunion kannte.“ Mit diesen Worten fasste der JWA-Vertreter im Landtag die Corona-Zeit in Südtirol zusammen. Anlass war ein Beschlussantrag des Team K, der eine Kommission unabhängiger Experten zur Untersuchung der Pandemie vorsah.

Dass Colli mit seiner verbalen Entgleisung die stalinistische Schreckensherrschaft mit den „Säuberungen“, den Gulags und den mehr als 20 Millionen Toten verharmloste, schien die anwesenden Abgeordneten nicht zu stören oder zu interessieren, denn es gab keine Distanzierung oder Zurechtweisung, auch nicht von Landtagspräsident Arnold Schuler.

„Es war die Hölle los“, beschreibt Brigitte Foppa die hitzige Debatte im Plenarsaal, in der sich nicht nur der JWA-Mandatar, sondern auch Vize-Landeshauptmann Marco Galateo in der Wortwahl völlig vergriffen hat. Der „Fratello“ bezeichnete die Pandemie als „größte Freiheitsberaubung in einer Nichtkriegszeit“, was der Grüne Zeno Oberkofler nicht unkommentiert lassen wollte: „Das ist inakzeptabel.“ Der Jungpolitiker erinnerte an die Einschränkung der Rechte in Italien von 1922 bis 1939, als der Krieg noch nicht begonnen hatte, aber die faschistische Diktatur in Kraft war.

Galateo starte mit seinem „Rechtfertigungsversuch“ einen Gegenangriff: Er habe lediglich zum Ausdruck bringen wollen, dass es während der Pandemie einen großen Freiheitsentzug gegeben habe – er habe aber nicht den Faschismus verteidigt. Außerdem lasse er sich nicht von einem Grünen, der gegen eine demokratisch legitimierte Landesregierung auf die Straße gegangen sei, über Demokratie belehren. Auch in den Reihen der SVP schüttelte man über den Galateo-Auftritt den Kopf. „Das ist ein Stumpfsinn“, befand ein Landesrat. Philipp Achammer distanzierte sich von den Aussagen seines Kollegen, die dieser „als Abgeordneter und nicht als Mitglied der Landesregierung“ getätigt habe. Galateo habe die Rote-Linie-Aktion vor dem Landtag „ins Lächerliche gezogen“. In einem demokratischen Diskurs dürfe man nicht alles sagen, sondern müsse sich immer im demokratischen Spektrum bewegen, so Achammer.

Arnold Schuler

Wie nicht anders zu erwarten, nutzten die No-Vax-Vertreter die Gelegenheit, ihre Sicht über die „Corona-Verbrechen“ darzulegen. Jürgen Wirth Anderlan kritisierte Franz Ploner und Co. mit dem Hinweis, dass der Antrag zur Vergangenheitsbewältigung von „Mitmachern, Schweigern und Spätaufgewachten“ komme. Der Landesregierung die Aufarbeitung zu überlassen, sei so, als ob man die „Suche nach der Brandursache in die Hände der Brandstifter lege“, befand Andreas Colli.

Präsident Schuler hatte alle Hände voll zu tun, um die aufgebrachten Abgeordneten zu besänftigen und im Hohen Haus für Ruhe und Ordnung zu sorgen. „Es ist nicht einfach“, sagt der SVP-Politiker. Corona sei ein „sehr emotionales“ Thema und der Stachel sitze noch tief. Deshalb würden bei einigen Kollegen „die Nerven blankliegen“, und diesen habe er auch das Wort entziehen müssen. Schuler weiß, dass auch andere Parlamente dieses Problem haben. Er appelliert an seine Kollegen, „mit Maß und Vernunft“ zu debattieren und sich an die Spielregeln zu halten. Wenn nicht, werde er härtere Maßnahmen ergreifen müssen, kündigt der Präsident an. Für Brigitte Foppa macht es sich Schuler zu einfach: „Die Worte von Colli sind unsäglich.“

Für Landeshauptmann Arno Kompatscher sind Worteldungen à la JWA „nicht einmal kommentierbar“. „Wir sollten Leuten seines Schlags nicht zu viel Plattform geben. Seine Verdrehungen und abstrusen Vorstellungen gilt es zu bekämpfen. Ihm selbst sollte man nicht zu viel Bedeutung geben bzw. ihn besser ignorieren.“ Wenn aber deplatzierte Stalin- und Faschismus-Vergleiche gezogen werden, sollte der Landtagspräsident eingreifen, findet der LH.

Der Antrag des Team K zur Bewältigung des „Corona-Traumas“ (O-Ton Franz Ploner) fand keine Mehrheit. Gesundheitslandesrat Hubert Messner lobte das gute Pandemie-Management seines Vorvorgängers Thomas Widmann. Man habe in der Pandemie Fehler gemacht, doch extreme Situationen erforderten mitunter extreme Entscheidungen. Messner betonte, dass die Einsetzung einer unabhängigen Fachkommission zur Erstellung einer sozialwissenschaftlichen Studie bereits auf den Weg gebracht worden sei.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (35)

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  • steve

    In der renomierten med. Fachzeitschrift The Lancet wurde kürzlich anlässlich 50 Jahren Impfprogramm der WHO Bilanz gezogen:

    Die wiss. fundierten Schätzungen ergaben, dass seit 1974 Impfungen für den Rückgang von 40% der Säuglingssterblichkeit verantwortlich sind. Für jeden der geschätzten verhinderten 154 Millionen Todesfälle ergaben sich durchschnittlich 66 zusätzliche Lebensjahre!

    Fakten statt Geschwurbel!

  • andreas69

    Für uns zu arbeiten, nicht um schwätzen, liebe Politiker, seid ihr gewählt worden. Corona ist passè. Wir wollen Lösungen für echte Probleme, von hier und jetzt! Ansonsten wieder ab nach Hause in den Schrebergarten.

  • brutus

    Leute die in einer freien Demokratie aufgewachsen sind, und den Stalinismus als Vergleich heranziehen, sind fern aller Realität!

  • erich

    Was will ein Schuler schon dagegenhalten, schließlich hat er in der Corona Zeit die Forstbehörde beauftragt, zu kontrollieren, dass in der Sperrzeit keine Wanderer und Bergläufer unterwegs waren.

  • gulli

    Südtiroler Komödiantenstadel,
    alles nur nicht arbeiten.

  • sukram

    Da sind ewig gestrige am Werk.

  • leser

    am besten gemacht hat es damals
    die stocker martha
    sie sagte am magnagoplatz vor der kamera
    gut dann sag ich halt nichts
    und sie hatte recht
    passiert ist dann auch nichts

  • asd

    No-Vax Vertretern ist das Leben von älteren oder schwächeren Menschen nichts wert. Sie selbst sind meistens noch bei bester Gesundheit und hatten nicht viel zu befürchten.

    Leitlan, auch ihr werdet älter und schwächer. Irgendwann werden die Globulibrüder feststellen, dass ihr Zeug bestenfalls einen Placeboeffekt hat. Was ja auch nicht schlecht ist;-)

    Dann werden sich einige von euch die moderne Medizin in Anspruch nehmen müssen.
    Oder sie werden vorzeitig sterben, wo wie das früher sehr oft der Fall war.

    Schauen wir mal, wann einige von euch regelmäßig im Krankenhaus anzutreffen sind. Die Zeit läuft.

  • ummagumma

    @asd, du schreibst den gleichen Schwachsinn wie die komplette versüffte links/grün Gang in allen Foren.

  • sunflower

    Es ist zu einfach gesagt: „Corona ist vorbei“. Ich kenne viele Unternehmer, die finanziell schwer an den Lockdowns zu knabbern hatten. Oder Familien mit suspendierten Angehörigen, ohne Einkommen lässt es sich nicht leicht über die Runden kommen. Da kommen Existenzängste auf! Gesunde Menschen vom Arbeitsplatz zu entlassen, weil sie einem neuartigen Impfstoff kritisch gegenüber standen…sowas ist keine Bagatelle!!!

    Aus diesen Gründen bekommen solche Parteien Zulauf. Genau wie in Deutschland die zweifelhafte Afd. Es ist die Unzufriedenheit des Volkes und somit ein hausgemachtes Problem.

    Wieso stimmen Politiker gegen eine neutrale Aufarbeitung? Es wird zugegeben, dass Fehler gemacht wurden. Trotzdem möchte man nicht genau schauen welche Fehler das waren und wie man zukünftig solche Fehler vermeiden kann. Bei einer Aufarbeitung soll es nicht darum gehen, wer Recht behält, oder wer Schuld trägt. Sondern, dass es beim nächsten Mal besser gemacht wird. Es sollte wohl im Sinn ALLER sein, dieses leidige Thema vom Tisch zu bekommen und das wird nur durch eine Aufarbeitung gehen.

    Immerhin räumt Messner ein eine unabhängige Fachkommission beauftrag zu haben. Ein Anfang!

    • placeboeffekt

      In jeder seriösen ( in Südtirol nicht anzutreffenden) Firma wird nach einem größeren Projekt ein Review durchgeführt und Bilanz gezogen.

      Diese Zeit nimmt man sich, um zu verstehen wo es Verbesserungsbedarf gibt.

      Natürlich ist dies für manche Fehlentscheider und Dampfschwurbler etwas peinlich, aber es obliegt dem möglichst objektiv zu arbeitenden Kreis hier sachlich und ohne Schuldigensuche zu agieren.

      Grundsätzlich sollte man sich bewusst sein, dass in so einer Lage es Dynamiken gibt, wo man weiß dass man kaum etwas darüber weiß, und andere Zusammenhänge, wo man nicht einmal weiß dass es sie gibt.

      There are things we know we don’t know, and there are things where we don’t know that we don’t know about.

    • netzexperte

      @sunflower gegen neutrale Aufarbeitung sind jene, die Angst vor Verlust des eigenen, weichen und vorgewärmten Sessels haben, anders ist es nicht zu erklären. Das ist insofern nachvollziehbar, als dass die meisten der Betreffenden keine wirklichen Optionen im Berufsleben haben, wo sie ähnliche Privilegien inkl. ein Gehalt in dieser Größenordnung verdienen. Neben den zitierten Herrausforderungen für viele Unternehmen gilt es in erster Linie aber den damaligen pauschalen Hausarrest für alle zu hinterfragen. Eine ärgere Freiheitseinschränkung wäre wohl nur die Überstellung in den Bozner Tschumpus gewesen. Und dann natürlich der Umstand, andere Meinungen gar nicht (mehr) zuzulassen, sondern (aus welchen Gründen auch immer) Andersdenkende zu diffamieren und zu beleidigen – was heute noch der Fall ist und v. a. auch in diesem Forum täglich passiert. Allein diese Punkte wären Grund genug, um das Ganze neutral aufzuarbeiten, um es in Zukunft einfach besser zu machen und dem Volk das Gefühl zu geben, die gewählten „Vertreter“ seien sowohl ausreichend kompetent als auch verantwortungsbewusst. Beides scheint nicht zuzutreffen, wobei das jetzt nicht die große Überraschung ist.

      • heracleummantegazziani

        Es ist genau das Gegenteil der Fall. EIne neutrale Aufarbeitung in der NUR Experten das Sagen haben ist genau von jenen gefürchtet, die seit Jahren „Aufarbeitung“ schreien. DIe Ergebnisse werden sie nämlich Lügen strafen und dann sind sie sämtliche Argmente los, die ihnen zum Landtagssessel verholfen haben und den genau diese Subjekte nicht verlieren wollen.
        Meinungen zu haben ist schon ok, dafür einzustehen auch. So lange bis sie von Fakten widerlegt worden sind, dann ist es dumm darauf zu beharren, wie es leider vielfach, auch im Landtag, passiert.

    • heracleummantegazziani

      Sie haben da etwas falsch verstanden. Man hat nicht gegen eine neutrale Aufarbeitung gestimmt, sondern gegen eine politisch gesteuerte, wie sie Holzeisen und JWA wollen
      Tatsächlilch wird die Aufarbeitung Experten außerhalb der Politik anvertraut, wenn Sie verstanden haben ws Messner sagte.

  • foerschtna

    Deftige Debatten in Parlamenten sind nun mal das Salz in der Demokratiesuppe. Ein Parlament oder Landtag sind schließlich ja kein Sitzkreis. Man braucht sich ja nur bestimmte Debatten im Kongress der Vorzeigedemokratie USA anzuschauen, da sind die Reden von Galateo oder Colli dagegen ja die reinsten Kindergeburtstagsreden. Solche Debatten wird auch die Demokratie bei uns aushalten müssen.

    • jorge

      Zwei Worte genügen: Grober Laggl.

    • artimar

      Richtig. Im politischen Wettbewerb, bei Debatten in einer Demokratie kann es mitunter auch hart zugehen. Es geht ja darum um beste Ideen/Lösungen für das Gemeinwohl zu finden und nicht um das gegenseitige Befetzen als Selbstzweck oder gar dazu aufzurufen, andere zu eliminieren.
      Es gibt Grenzen, auch Regeln, welche die Volksvertetungen selbst (auch für sich selbst bindend) beschlossen haben.

  • gerhard

    Mal ganz ehrlich?
    Wen wundert das?
    Da wählen Protestwähler einen einfachen, ungebildeten Skilehrer ohne jeglichen Manieren in den Landtag.
    Einen Menschen, der bereits vor seiner Wahl durch selten dämliche Äußerungen, peinlicher Wichtigtuerei und diversen primitiven Auftritten auf sich aufmerksam gemacht hat.
    Da wird ein politisch ungebildeter Flegel in ein wichtiges Amt gewählt und jetzt habt Ihr den Salat.

    Da müßt Ihr durch und hoffen, das bald wieder Wahlen sind.
    PS: Im Ausland schüttelt wirklich jeder über diesen Clown den Kopf, von daher besteht keine Gefahr, das dieses Flegel das Land blamiert.

  • gulli

    @gerhard
    laut Ihrer Beschreibung passt er perfekt zum Rest des Südtiroler Komödiantenstadel.,

    • gerhard

      Ich glaube nicht, lieber gulli, das Sie da richtig liegen.
      Ich kenne die Südtiroler als überaus starke, anständige, ehrbare und verlässliche Menschen.
      Dieser Clown dagegen ist eine Schande für Südtirol.

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