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„Gefährliche Botschaften“

Die Grande Dame der Südtiroler Volkstumspolitik, Eva Klotz, befürchtet, dass die Aussagen von Jürgen Wirth Anderlan zur Radikalisierung der Jugend beitragen könnten – und sie wirft der SVP Heuchelei vor.

TAGESZEITUNG: Frau Klotz, würden Sie noch im Landtag sitzen, hätten Sie an der Protestaktion „Rote Linie“ gegen Jürgen Wirth Anderlan und dessen Wiener Banditen- und Steinbruch-Rede teilgenommen?

Eva Klotz: Für mich stellt sich diese Frage nicht, ich teile die Meinung von Sven Knoll, dass die Argumente, die die SVP vorgebracht hat, nicht schlüssig und nicht stimmig, sondern eine Heuchelei und deswegen nicht glaubwürdig sind.

Die STF hat an der Aktion nicht teilgenommen, dafür aber gegen die SVP und gegen deren Koalition mit Giorgia Melonis Fratelli gewettert. Den Grünen haben Knoll & Co. vorgeworfen, sie hätten sich nie gegen die faschistischen Denkmäler in Südtirol gestellt … also sei auch ihr Anti-Anderlan-Protest nicht glaubwürdig …

Das kann ich mitunterschreiben. Ich erinnere mich an die vielen Gesetzesentwürfe in Sachen Ortsnamengebung und faschistische Relikte, die wir eingebracht haben und bei denen die Grünen nie mitgestimmt haben. Ich verstehe bis heute nicht, warum gebildete Leute nicht gegen diese kulturpolitischen Verbrechen aufgestanden sind. Die Ortsnamen sind eines der größten Verbrechen, es ist eine Urkundenfälschung von größter Tragweite.

Kann man die Toponomastik-Diskussion und den Fall JWA auf eine Ebene stellen?

Eines ist sicher: Man wollte mit dem Fall JWA bzw. mit der Protestaktion vor dem Landtag von der problematischen Koalition der SVP mit Meloni ablenken. Und, wie gesagt, für mich ist die Position der Grünen in Sachen Toponomastik und faschistische Relikte unerklärlich.

Eva Klotz

Aber wie stehen Sie zu den von Jürgen Wirth Anderlan in Wien getätigten Aussagen?

Zunächst muss ich vorausschicken, dass ich nicht verstehe, wie die Zuhörer der Rede von Wirth Anderlan so ausflippen konnten. Das waren ja nicht Leute, die in einem Wirtshaus sitzen …

 … das war ein FPÖ-Symposium …

Eben. Ich kann nicht verstehen, wie die Gäste im Saal wegen der Wirth-Anderlan-Aussagen so klatschen und lachen konnten. Etwas anderes sind die konkreten Aussagen des Wirth Anderlan. Wenn er sagt, dass die Politiker allesamt korrupte Banditen und die Regierungen kriminelle Vereinigungen sind, dann muss er Belege bringen. Er muss Fakten auf den Tisch legen und Anzeige erstatten. Wenn er diese Fakten nicht vorlegt, dann darf er solche Sachen nicht sagen.

Also?

Pauschalisierend zu sagen, alle Politiker seien korrupt, das kann man ihm nicht durchgehen lassen. Diese Aussagen halte ich für schwerwiegend.

Was meinen Sie mit: Das könne man ihm nicht durchgehen lassen?

Wirth Anderlan muss darauf hingewiesen werden, dass das nicht in Ordnung ist. Denn wenn diese Botschaften, die er aussendet, weitergetragen werden, wo endet das dann? Aussagen wie diese könnten jüngere Leute, die ihr ganzes Leben vor sich haben, ermuntern, Sachen zu tun, mit denen sie in große Schwierigkeiten kommen.

Sie sagen, JWA stiftet junge Menschen direkt oder indirekt zu ungesetzlichem Verhalten und zur Gewalt an?

Ja, weil sie dann meinen: Wenn ein Landtagsabgeordneter etwas sagt, dann ist alles erlaubt. Diesbezüglich hat Wirth Anderlan auch für mich ganz klar eine rote Linie überschritten. 

Jürgen Wirth Anderlan überschreitet die rote Linie (Fotos: TZ/Matthias Kofler)

Sie befürchten also, dass mit solchen Botschaften ein Klima der Spannung geschaffen wird, das gefährlich werden könnte?

Diese Gefahr würde ich sehen, ja. Das macht mir Angst.

Sagen Sie das jetzt auch unter dem Eindruck der Gewaltattacken auf plakatierende Politiker in Deutschland?

Ja, auch. Daher sage ich ganz klar: Wenn dem Wirth Anderlan von der Öffentlichkeit nicht aufgezeigt wird, dass er zu weit gegangen ist, dann kann es wirklich sein, dass ein Junger sagt: So, jetzt schreite ich zur Tat.

Also tragen Sie diesen Teil der Aktion „Rote Linie“ mit?

Ja, Wirth Anderlan muss an die Rechtsstaatlichkeit erinnert werden. Junge Menschen, die weniger nachdenken, könnten sonst meinen: Wenn ein Landtagsabgeordneter so weit gehen und sagen kann, dass Handschellen nicht mehr ausreichen, sondern die Politiker allesamt in den Steinbruch gehören, dann können auch sie so oder noch schärfer argumentieren. Ich habe diese Befürchtung, weil ich dieses Phänomen selbst erlebt habe …

Nämlich?

Zu mir ist einmal ein Mann, um die 35 Jahre alt, mit einer schönen Vase und Blumen ins Büro gekommen und hat gesagt: „Frau Klotz, ich muss Ihnen danken, Sie haben mich vor einer ganz großen Dummheit bewahrt.“ Ich habe auf all meinen Versammlungen, in all meinen Vorträgen stets gebetsmühlenartig gesagt: Nie Gewalt anwenden, Gewalt ist niemals gerechtfertigt, außer in einer Notwehrsituation. Und dieser Mann, der zu mir ins Büro gekommen ist, hat gesagt, dass genau diese meine Aussagen ihn vor einer großen Dummheit bewahrt hätten. Daher sage ich: Jeder Politiker hat eine Verantwortung. Er ist verantwortlich für das, was er sagt. Und er muss abwägen, wie weit er gehen darf.

Ist sich JWA dieser Verantwortung nicht bewusst?

Ich weiß es nicht, ich kenne ihn zu wenig. Ich habe ihn in seiner Zeit als Landeskommandant zwei Mal gesehen, aber bestimmt nicht fünf Worte mit ihm gewechselt.

Sehen Sie JWA als Neonazi?

Leute aus meiner Umgebung, die auch bei den Schützen sind und ihn besser kennen, sagen mir: Nazi ist er keiner. Aber er denkt offenbar nicht nach, was er sagt. Vielleicht hat er auch zu wenig Geschichte gelernt.

Aber Wirth Anderlans Nähe zu Herbert Kickl oder Martin Sellner …

Da muss man, glaube ich, aufpassen. Dieses In-eine-bestimmte-Ecke-gedrängt-Werden habe ich selbst erlebt. Ich habe unzählige Vorträge über die Selbstbestimmung gehalten, auch in Italien. Vielleicht war ich ein bisschen naiv, aber ich habe mich im vorab kaum erkundigt, vor wem ich rede. Auch mir wurde vorgeworfen, ich würde Vorträge bei Burschenschaften oder vor Rechtsextremen halten. Ich habe dies immer als Kritik von kleinkarierten Geistern empfunden …

Warum?

Weil es nicht entscheidend ist, wo ich einen Vortrag halte, sondern was ich sage. Mit einem Herrn Sellner hätte ich mich aber nicht treffen wollen. Wenn ich einen Vortrag halte, dann ist nicht entscheidend, wer im Publikum sitzt, sondern das, was ich sage. Alles andere ist Gesinnungsterror. Wenn jemand im Publikum sitzt, der rechtsextrem ist, dann heißt das noch nicht, dass ich diese Gesinnung teile …

Nehmen wir das Einwanderer-Thema: Worin unterscheidet sich der Populismus der STF von jener der Liste JWA?

Da gibt es einen ganz großen Unterschied: die Fakten. Es ist nun einmal eine Tatsache, dass es in unserem Land fast jeden zweiten Tag zu einer Messerstecherei kommt, an der Ausländer beteiligt sind. Diese Fakten müssen angesprochen werden. Wir tun in dem Sinne nichts anderes als der jetzige Quästor, Paolo Sartori, der aktiv wird, während andere lieber wegschauen.

Also reden auch Sie und die STF der Remigration das Wort?

Da hat Sven Knoll eine gute Analyse gemacht. Wenn mit Remigration das gemeint ist, was der Herr Sellner meint, dann ist das gefährlich und erinnert und reicht an die Nazizeit heran, wo Leute mit bestimmten Wurzeln verjagt wurden. Etwas anderes ist die Remigration, die auch der Quästor betreibt. Und zwar in dem Sinne: Wer sich illegal in einem Land aufhält bzw. dort kriminell wird, wird abgeschoben.

Zurück zur Causa JWA. Es gibt die, die sagen, dass die SVP im Fall JWA so hyperventiliert, weil sie wegen ihrer Koalition mit den Fratelli d’Italia ein schlechtes Gewissen hat. Was glauben Sie?

Wenn es so wäre, dann wäre das nicht klug. Aber was ich kürzlich von Harald Stauder gehört habe, da habe ich mir gedacht: Schau, schau!

Sie meinen?

Der SVP-Fraktionssprecher hat gesagt, dass sich die Fratelli d’Italia innerhalb des Verfassungsbogens bewegten. Da habe ich mir gedacht: Welchen Maßstab wendet Stauder an? In Deutschland und Österreich – und das sind die Länder, an denen wir uns orientieren – wäre ein Hitler-Gruß nie tragbar, im Italien der Giorgia Meloni ist der Saluto Romano aber hoffähig. Da hat Stauder wohl zu kurz gedacht. Unser moralisch-ethischer und geschichtlicher Bezug ist nicht Italien, sondern Österreich und Deutschland.

Martin Sellner (2. v. l.) mit Jürgen Wirth Anderlan

Sie waren ein politisches Leben lang im Südtiroler Landtag. Wenn Sie heute die Arbeiten im Hohen Haus verfolgen, was hat sich verändert?

Ich sehe das Verhalten des Jürgen Wirth Anderlan als Schaumschlägerei. Und wenn er selbst sagt, dass ihn der Landeshaushalt nicht interessiert, disqualifiziert er sich als Abgeordneter selbst. Er wurde ja nicht gewählt, um Sprüche zu klopfen. Und wenn er von Widerstand, Widerstandsfrühstück oder Freiheitskampf spricht: Ich habe noch nicht klar verstanden, wogegen er kämpft.

JWA bedient unter anderem seine No-Vax-Klientel …

Ja, gut, wenn Wirth Anderlan aufzeigt, was in der Corona-Zeit falsch gelaufen ist, kann man nicht alles, was er vorbringt, vom Tisch wischen. Seine Kritik gehört ernstgenommen. Aber wenn ein Landtagsabgeordneter sagt, dass er sich mit dem Haushalt nicht befasst, dann ist das mangelndes Verantwortungsbewusstsein seinem Mandat und seinen WählerInnen gegenüber. Spätestens wenn die ersten Gesetze und der erste Nachtragshaushalt behandelt werden, muss er begreifen, dass er als gewählter Abgeordneter Pflichten hat. Wirth Anderlan kann nicht nur Wahlkampf führen.

Interview: Artur Oberhofer

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (12)

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  • heracleummantegazziani

    Aber vom Reinwaschen ihres Ziehsohns Knoll kommt sie nicht weg, die gute Eva. Dabei ist zwar der Tonfall Knolls ein anderer als der von JWA, aber der inhaltliche Stil ist der gleiche: Überzeichnen der Realität und häufig auch blanke Lügen.

  • pingoballino1955

    Den Kopf kann Frau Klotz auch über sich selbst schütteln,schliesslich und endlich hat sie beim Politikerrentenskandal auch für die Abzocke votiert und abkassiert! Hat sie was zurückgezahlt?????

    • hermannh

      Bongo: na ja Dein Chef hat das selbe mit dem Corobabonus gemacht. Er hat dies bis heute nie bedauert und KEINE Konsequenzen daraus gezogen.

      Dein Atomenergiekölle ist gleich gefährlich wie ein Anderlahn: Ein Hetzer

  • summer1

    Nur gut, dass Frau Klotz nie Brandstifterin war und sich stets für Frieden zwischen den Sprachgruppen eingesetzt hat!
    Auf dieser pazifistischen Linie hat sie auch ihren Thronfolger aufgebaut.
    Eva, genieß deinen Lebensabend mit den Rentenmillionen und lass uns bitte in Frieden, den uns durch deine Politik gebracht hast!

  • sellwoll

    > wenn er selbst sagt, dass ihn der Landeshaushalt nicht interessiert, disqualifiziert er sich als Abgeordneter selbst. Er wurde ja nicht gewählt, um Sprüche zu klopfen.

    Ich denke schon, dass die die ihn gewählt haben deswegen in den Landtag haben wollten. Es geht den Wählern nicht darum etwas konstruktiv aufzubauen, sondern darum, dass jemand im Landtag sitzt der den Politikern in die Eier treten.

  • artimar

    Eine klare Distanzierung gegenüber JWA hätte man sich von Klotz auch gegenüber der gefährlichen Botschaft des rassistischen Wahlkampfplakats der STF erwartet. Das ist wohl genauso wenig nachvollziehbar, wie “ … gebildete Leute („Verdi – Alto Adige“) nicht gegen diese kulturpolitischen Verbrechen aufgestanden sind.“

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