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Zuviel Sahne, Zucker und Glasur

Walter Garber aka DJ Veloziped vor dem Ausstellungsplakat Nomadic Party in Venedig: Ob es Kunst ist, sollen andere beurteilen. (Foto: Walburga Gamper)

Walter Garber aka DJ Veloziped, Pionier und bester Kenner der lokalen Technoszene, über die „Nomadic Party“ bei der Biennale in Venedig und die Frage, ob DJing Kunst ist.

Tageszeitung: Herr Garber, Karl Marx wollte die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen zwingen. Ist es Ihnen bei der Biennale Venedig gelungen, wenigstens die zeitgenössische Kunst zum Tanzen zu bringen?

Walter Garber aka DJ Veloziped: Ja, das ist definitiv gelungen. Im schönen Hinterhof des Spazio Punch, einst eine Brauerei, herrschte eine ausgelassene Atmosphäre. Die internationale Künstlergruppe Nine Dragon Heads mit Mitgliedern aller Geschlechter, vornehmlich aus Korea, jedoch auch aus Chile, den USA, den Niederlanden, der Schweiz, Griechenland, Ungarn und vielen anderen Nationen, trugen zu dieser Lebendigkeit bei. Nach einer Abfolge mehrerer Performances fanden schließlich meine Turntables ihren Einsatz, und synkopierte Elektrobeats von Egyptian Lover, Aux88 und Dopplereffekt erfüllten den Raum. Sofort reagierten die Anwesenden – manche mehr, manche weniger – bewegten ihre Körper im Rhythmus, warfen ihre Arme in die Luft und schnitten verzückte Grimassen.

In die Lagunenstadt haben Sie für ihr DJ-Set Vinyl-Schallplatten mitgenommen. Weil Vinyl das einzig wahre DJ-Medium ist?

Zweifellos ist eine Kiste voller DJ-Schallplatten nicht die alleinige Wahrheit, doch trotz ihrer Sperrigkeit und des Gewichts, das besonders auf Reisen zur Belastung wird, erweist sie sich nach der Ankunft am Ziel als Entschädigung für all die Mühe und Strapazen. Das perfekte haptische Erlebnis beim Auflegen und Beatmatchen macht jede Anstrengung vergessen.

Tanz und Tanzen gewinnen im Ausstellungskontext immer stärker an Relevanz. Ist DJing für Sie Kunst, ist DJ Veloziped ein Künstler?

Eine Person, die sich als DJ betätigt, sei sie männlich, weiblich oder was auch immer und dabei allseits bekannte Lieder mit Hilfe des Synchronisationsknopfes nacheinander abspielt, kann kaum als Künstler bezeichnet werden. DJ Veloziped agiert hingegen anders. Ob es Kunst ist, sollen andere beurteilen.

Wie agiert er denn?

Er wählt nicht bloß „allseits bekannte Lieder“ aus, sondern unterliegt einem ständigen Selektionsprozess, der ihn dazu treibt, fortwährend neue Veröffentlichungen anzuhören. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung und seines geschulten „Ohres“ entscheidet er dann, ob ein Track geeignet ist, ob er Qualität besitzt. Es sei betont, dass ein Track nicht besser wird, je mehr Elemente er enthält; vielmehr kommt es auf die Ausgewogenheit und Balance zwischen den einzelnen Elementen an: dem Beat, der Hi-Hat, der Basslinie, dem Break. Weniger bedeutet oft mehr. Aus diesem Grund kann er mit vielen kommerziellen Tracks wenig anfangen, da diese oft überladen sind. Eine Überdosierung mit Sahne, Zucker oder Glasur macht eine Torte nicht besser, sondern eher ungenießbar. Zudem erfordert das Auflegen mit Vinyl eine gewisse technische Fähigkeit. Im Gegensatz dazu überlassen viele digitale DJs mittels des sogenannten Sync-Buttons der Maschine das Mixen und können sich dadurch voll und ganz auf die Pyrotechnik oder „große DJ-Gesten“ wie das Hochreißen der Arme oder das Formen von Herzen mit den Händen konzentrieren.

„Nomadic Party“ – da denkt man an ein nomadisierendes Partyvolk, das einfach abtanzen will. Ist es das oder ist es mehr?

Die „Nomadic Party“ auf Giudecca bot nicht nur faszinierende Installationen, sondern auch überraschende und mitunter rätselhafte Performances. Diese Performances wurden zu einem regelrechten Happening, und dank der künstlerischen Eingriffe von DJ Veloziped verwandelte sich die Veranstaltung in eine lebhafte soziale Interaktion, in eine echte Party.

Interview: Heinrich Schwazer

 

Nomadisches Umweltkunstprojekt

Die Künstlergruppe Nine Dragon Heads präsentiert auf der Biennale von Venedig im Spazio Punch auf der Insel Giudecca ein experimentelles Kunstprojekt. Teil der „Nomadic Party“ sind auch der Laner Künstler Hannes Egger und der Meraner Walter Garber aka DJ Veloziped.

„Nomadic Party“ ist ein interdisziplinäres, ortsspezifisches und kontextbezogenes Umweltkunstprojekt, das von der internationalen Künstlergruppe Nine Dragon Heads ins Leben gerufen und organisiert wurde. Dieses Jahr stellen die Nine Dragon Heads während der Biennale von Venedig in der ehemaligen Bierfabrik Spazio Punch auf der Insel Giudecca aus. Mit dabei ist auch Hannes Egger, der bereits öfters bei Projekten der internationalen Künstlergruppe beteiligt war. Er hat eine neue Installation geschaffen, die unter dem Slogan „Do you wanna dance with me?“ zum Hinein- und Durchtanzen der Ausstellungsfläche einlädt. Den Song, den er dabei verwendet, hat ihm der belgische Künstler Harry Heirmans „geschenkt“.

Zur Eröffnung mit Konferenzen und Performances war auch Walter Garber aka DJ Veloziped Teil der Nine Dragon Heads und präsentierte im Hinterhof des Spazio Punch ein elektrisierendes Vinyl-DJ-Set, das zum Tanzen animierte.(siehe Interview)  In der Ausstellung ist auch ein neues Werk des in Südtirol nicht unbekannten Niederländers – er stellte bei der Manifesta 8 in der Alumix aus – Harold de Bree zu sehen, diesmal beschäftigt er sich mit den ersten Atomtests der US-Amerikaner.

Hannes Egger und seine Installation Do You Wanna Dance With Me (Foto: Enrique Munoz Garcia)

Das Prinzip der Nomadic Party ist der motivierende Impuls für eine alternative Vision und die experimentelle Art der künstlerischen Aktivität, die Nine Dragon Heads verkörpert. Konzeptionell wurde die Ausstellung Nomadic Party in einem fortlaufenden Labormodus erarbeitet, in dem die einzelnen Kunstwerke Post-Studio-, Experimental- oder situativen und performativen Charakter haben. Die Erfahrungen und Materialien, die bei den zahlreichen Symposien und Aktivitäten des letzten Jahres der Nine Dragon Heads in der venezianischen Lagune sowohl direkt als auch indirekt gesammelt wurden, bilden die inhaltliche Basis der Nomadic Party. Die teilnehmenden Künstler*innen zielen nicht darauf ab, einen Schlussstrich zu ziehen oder alle Fragen zu beantworten, sondern suchen nach der Schaffung eines Raums, in dem die experimentelle Kunstpraxis zu einer künstlerischen Botschaft führt.

Nomadic Party kann auch als Modus Operandi innerhalb einer künstlerischen Methodik verstanden werden, eine Art, sich dem Verstehen durch einen flexiblen, bereits existierenden Rahmen zu nähern, der auch die Besonderheiten einer sich ständig verändernden Situation berücksichtigt. Durch spontane Akte der Dekonstruktion oder Entwicklung operiert die Kunst in ihrer besten Form auch jenseits konventioneller Haltungen und versucht, etablierte Muster der Betrachtung der Welt um uns herum zu überwinden. Zu allen Zeiten wurde Kunst bei Nine Dragon Heads nicht nur als Verkörperung professioneller Fähigkeiten, sondern auch als Reflexion über die manifestierte Umwelt durch eine bestimmte Weltsicht verstanden.

Die Ausstellung im Spazio Punch in Venedig läuft noch bis zum 24. November und ist täglich, außer Montag geöffnet.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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