Die Jenischen
Ein Dokumentarfilm nimmt mit zum „fahrenden Volk“ und taucht in dessen Welt ein. Und: „Die Giacomettis“ aus der Schweiz und Schimpfworte aus England.
von Renate Mumelter
Ruäch
Persönlich habe ich erst spät von der Existenz der Jenischen erfahren und zwar in den 1980ern durch den Tiroler Komponisten, Journalisten, Filmemacher und Schauspieler Bert Breit. Hierzulande wussten wir nur von sogenannten Zigeunern, Sinti oder Roma, und das verbunden mit all den üblichen Vorurteilen. Ah ja, und die Karrner gab es, ein nicht genauer definiertes fahrendes Volk. Bert Breit befasste sich in Radiofeatures und Filmen intensiv mit den Jenischen.
Dann war wieder Stille in der breiteren Öffentlichkeit, und jetzt gibt es „Ruäch – eine Reise ins jenische Europa“ einen Film von Andreas Müller, Simon Guy Fässler, Marcel Bärchtiger.
Sie reisen mit ihrem Camper und einer Kamera in die Welt der Jenischen zwischen Graubünden, Kärnten und Savoyen, eine Welt, die sich immer mehr auflöst, weil sich die Lebensform des Fahrens in unserer optimierten Gesellschaft schwer tut. Sprache und Lebensgrundsätze gibt es aber nach wie vor.
Der Film lässt teilhaben ohne groß zu erklären. Das wäre auch gar nicht so einfach, denn im Kino sitzen „Ruäch“. Das sind in der Sprache der Jenischen die Sesshaften, früher also die Bauern. Aber teilhaben ist eh schon viel, denn das Filmen bei den Jenischen war nicht selbstverständlich. Es gibt nach wie vor Misstrauen – gegenseitiges übrigens. Aus Sicht der Jenischen ist das Misstrauen durchaus nachvollziehbar, denn sie wurden und werden nicht nur beäugt sondern auch an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Das ging früher bis zur Kindswegnahme und Zwangssterilisierung.
Im Film geben die nicht mehr ganz so fahrenden Menschen jedenfalls Einblicke in ihr Leben, in ihre Kindheiten im Wagen nah an der Natur, in ihre Freude am Zusammenhalt, ihre Sprache und die Diskriminierung, die es auch gab und die mit ein Grund ist für den Jähzorn, der manchmal aufkommt, wie einer erzählt. Kommen Sie mit. www.jenisches-archiv.at
Die Giacomettis
Ebenfalls in der Schweiz spielt Susanna Fanzuns Dokumentarfilm „Die Giacomettis“, der deutlich macht, dass aus dieser Familie nicht nur der weltberühmte Bildhauer Alberto Giacometti kam sondern auch viele andere Begabte, allen voran Vater Giovanni, der als Impressionist der ersten Stunde von sich reden machte. Sehenswert.
Schimpfworte
Das Besondere an „Kleine schmutzige Briefe“ ist die Oscarpreisträgerin Olivia Colman in ihrer abgründigen, tragischen Biederkeit. Sie lebt als Edith Swan gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Vater, beide alt, beide bigott, der Vater aber auch noch ein Patriarch „wie es sich gehört“, in Littlehampton. Die britische Kleinstadt der 1920er Jahre gerät in Aufruhr, als immer mehr Leuten unflätig beschimpfende Briefe ins Haus flattern. Auch Edith bleibt davon nicht verschont und ist entsetzt wie ihre Eltern.
Die Jagd nach den Schuldigen geht sofort los und macht in Ediths Nachbarin Rose (Jessie Buckley) die Hauptverdächtige ausfindig. Rose ist jung, hübsch, erst hierhergezogen, sie ist lebensfroh und sie nimmt sich kein Blatt vor den Mund, sie bietet sich als Schuldige eindeutig an.
Dass es dann doch nicht ganz so einfach ist, stellt sich bald heraus, die überraschende Wende kommt und ist aus Sicht des Publikums natürlich gerecht. Genau das Richtige für einen amüsanten Abend, besser allerdings in der OmU-Fassung, weil da das Unflätige noch einmal drastischer wird. Ganz nebenbei wirft der Film, der auf einer wahren Begebenheit beruht, auch ein erhellendes Licht auf die Hassreden, die heutzutage nicht mehr via Post sondern via Internet-Post kommen.
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