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Das Damoklesschwert

Foto: Südtiroler Sanitätsbetrieb/ Ivo Corrà

Obwohl zig Millionen Euro in die Krankenhausinformatik gepulvert wurden, befindet sich der Südtiroler Sanitätsbetrieb noch immer in der digitalen Steinzeit. Jetzt begehren die Ärzte auf.

von Artur Oberhofer

Iwan Simioni stellt den Verantwortlichen im Sanitätsbetrieb und im Gesundheitsbetrieb die Rute ins Fenster. „Wir werden sehr wachsam sein und beim ersten Fall, bei dem ein Patient zum Schaden kommt, sofort Anzeige erstatten.“ Ein solcher Schadensfall, so der Sprecher der Gewerkschaft der Krankenhausärzte (BSK/VSK), sei „unter den derzeitigen Umständen vorprogrammiert“, also nur mehr eine Frage der Zeit.

Es geht in dieser brisanten Geschichte um die Digitalisierung im Sanitätsbetrieb. Und um einen Dauer-Patienten namens NGH, an dem zwei Gesellschaften – die SAIM (Südtirol Medizin und Informatik) und die private Trentiner Firma GPI – seit Jahren verzweifelt herumdoktern und ihn, den Dauerpatienten, einfach nicht zum Laufen bringen.

NGH – diese drei Buchstaben stehen für „New Generation His“. Es ist dies ein neues Krankenhausinformationssystem, das den Krankenhausärzten in Bozen und in Meran den letzten Nerv raubt und für das sich inzwischen auch der Rechnungshof interessiert.

Doch der Reihe nach.

Im Südtiroler Sanitätsbetrieb, der in seiner Gesamtheit so groß bzw. klein ist, wie ein Sprengel in München oder Mailand, befindet man sich noch immer in der digitalen Steinzeit. In den Sanitätsbezirken arbeitet man – unglaublich, aber wahr – mit verschiedenen Systemen.

Im Jahr 2015 wurde die SAIM, eine öffentlich-private Partnerschaft (PPP), mit der Entwicklung und Implementierung eines einheitlichen Krankenhausinformationssystem beauftragt.

Die SAIM ihrerseits hat den Auftrag an ihren privaten Gesellschafter GPI aus Trient weitergegeben. Diese Firma namens GPI werkelt nunmehr seit Jahren– und mehr schlecht als recht – am neuen Südtiroler Krankenhausinformationssystem. Mit Ende dieses Jahres läuft der (vom ehemaligen Generaldirektor Florian Zerzer bereits um zwei Jahre verlängerte und um die Telemedizin erweiterte) Vertrag mit der SAIM aus.

Bis dahin sollte das System laufen. „Davon aber“, sagt Ärztegewerkschafter Iwano Simioni, „sind wir aber noch meilenweit entfernt.“

Fakt ist: Das neue NGH, das bislang nur in den Sanitätsbezirken Bozen und Meran implementiert worden ist, bringt die Mediziner zur Weißglut. „Die Kollegen berichten, dass NGH überhaupt nicht funktioniert, das System ist langsam, klicklastig, unübersichtlich und stürzt dauernd ab“, berichtet Iwano Simioni.

Iwano Simioni

Der TAGESZEITUNG liegt eine Mängelliste vor, die Meraner Ärzte erstellt haben.

Darin heißt es:

Ein Kollege hat gesagt, nachdem die Fenster extrem langsam aufgehen, hat er die Zeit gestoppt: 6 Minuten bis zum Öffnen eines Fensters.

Eine Kollegin hat gesagt, sie konnte den Brief nicht abschließen und in der Folge die Krankschreibung nicht ausstellen mit entsprechendem Unmut der Patienten und ohne Möglichkeit, jemanden zu erreichen, der Hilfestellung anbietet. Das sei kein bedauerlicher Einzelfall gewesen, sondern komme regelhaft vor.

Der Arbeitsaufwand ist extrem (…). Noch kein Krankenhaus, das NGH vollständig nutzt, sogar Schlanders hat zeitweilig wieder die Notbremse ziehen müssen.“

Krass war die Situation vor drei Wochen in Meran: Aufgrund eines Programmfehlers ist NGH in der Ersten Hilfe des Meraner Spitals zusammengebrochen. „Die Ärzte wussten nicht mehr, wo die Patienten sind“, schildert ein Meraner Mediziner, der seinen Namen nicht nennen möchte („… weil die, die NGH kritisieren, immer als Querulanten und als Gegner einer Vernetzung der Sanitätsbezirke hingestellt werden“).

Ärzte-Gewerkschafter Iwano Simioni nimmt sich dagegen kein Blatt vor den Mund und stellt sich vor seine unzufriedenen und verzweifelten Kollegen.

Simioni sagt:

„Ich selbst fürchte mich vor der Einführung von NGH, weil mir das System die Zeit rauben wird, die ich eigentlich für die Patienten brauchn. Die sechs Minuten, die ich verliere, um ein Fenster im Programm zu öffnen, sind verlorene Minuten für den Patienten. Das Programm sollte ja helfen, die Wartezeiten zu reduzieren, aber Meraner Kollegen berichten mir, dass sie aufgrund Dysfunktionen des Systems ein Drittel weniger Visiten machen können. Mehr noch: Es gibt Ärzte, die drucken ihre Arztbriefe nicht in der Sprache des Patienten aus, weil das Übersetzungsprogramm zum Schämen ist. Wenn die Kollegen Techniker der Firma GPI rufen, so sind diese überfordert bzw. nicht kompetent, die Probleme zu lösen. Um sich abzusichern, haben Kollegen eine Dienstanweisung erbeten, die hat man ihnen verweigert. Kurzum: Alle, die mit NGH arbeiten, sind unzufrieden, weil das Programm in keinster Weise den Erwartungen der Ärzte entspricht.“

In Iwano Simionis Bezirk, dem Pustertal, und im Eisacktal arbeitet man derzeit noch mit dem IKIS-Informationssystem. Mit diesem System, bestätigt Simioni, sei man „sehr gut gefahren“. Weil das IKIS aber allen Mitarbeitern im Sanitätsbetrieb die Möglichkeit gibt, die Gesundheitsdaten eines Patienten einzusehen, gibt es Probleme mit der Privacy. Daher sollen auch die restlichen Sanitätsbezirks so rasch wie möglich auf NGH umstellen.

Die Ärzte in Bozen und Meran hoffen jetzt, dass der neue Gesundheits-Landesrat Hubert Messner den Betrieb aus der digitalen Steinzeit herausführt. Landesrat Messner selbst sprach zuletzt in Zusammenhang mit den NGH-Troubles von „Kinderkrankheiten“ und kündigte an, dass man den Druck auf die Firma GPI erhöhen werde.

Übrigens: Auch in der Lombardei und im Veneto, wo ebenfalls das System NGH eingekauft wurde, gibt es massive Probleme.

Über die Hintergründe, warum die Digitalisierung der Südtiroler Sanität trotz der Millionen-Investitionen seitens des Landes nicht funktioniert, wird derweil wild spekuliert. Es zirkulieren Gerüchte zu angeblich massiven Interessenskonflikten zwischen ehemaligen Sanitäts-Managern und den Firmen, die seit Jahren an der Digitalisierung des Sanitätsbetriebes herumwerkeln.

Auch Paul Köllensperger vom Team K sind die haarsträubenden Missstände rund um das Krankenhausinformationssystem NGH zu Ohren gekommen. „Die Mängelliste ist lang“, bestätigt der Oppositionspolitiker.

Es gibt aber noch ein Problem, und zwar ein haariges: Die SAIM GmbH beschäftigt derzeit – wie Gesundheits-Landesrat Hubert Messner in einer Anfragebeantwortung bestätigt – nur mehr einen festangestellten Mitarbeiter.

Laut dem Gesetzesdekret Nr. 175 aus dem Jahr 2016 haben aber öffentliche Gesellschaften, die mehr Verwaltungsräte haben als Beschäftigte, keine Existenzberechtigung mehr. Die SAIM hat Fixangestellten – und drei Verwaltungsräte (Präsident, Vizepräsidentin und eine Verwaltungsrätin.

Mit anderen Worten:

Die SAIM könnte zu einem Fall für den Rechnungshof werden. Und im schlimmsten Fall muss die SAIM die 20 Millionen Euro, die sie von der öffentlichen Hand kassiert hat, zurückzahlen.

 

 

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (24)

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  • criticus

    Wenn dieser Artikel stimmt, dann frage ich mich, wie alles in der Welt kann man einen Herrn Zerzer, den damals Verantwortlichen, heute noch so viel Vertrauen schenken und ihn erneut zum Amtsdirektor mit einer hohe Bezahlung ernennen? Kann ja vorkommen, dass sich eine Person bei dieser Beförderung irrt, aber dass 10 weitere Landesräte dazu schweigen? Was läuft da ab?

    • steve

      Die Fehler wurden bereits vor Zerzer gemacht. Z.B. hat sich Schael für NGH entschieden und die Verträge unterzeichnet!

      • asterix

        Schäl wollte das Trientner System übernehmen. Er wurde aber politisch ausgebremst. Das trientner System läuft sehr gut, nan hätte nur die deutsche Sprache implementieren gemusst. Aber wir sind ha immer und überall die Besten. Ich kann mich noch genau an die Zahlen und Kosten erinnern. Mit dem trientner System hätten wir halt nur ein Zehntel der Kosten gehabt. Aber Zerzer wirds schon richten.

        • andreas

          Wenn die SAIM 20 Millionen zurückzahlen müsste, gehe ich mal davon aus, dass dies die Gesamtkosten des Systems sind.

          Dass das Trientner System nur 2 Millionen gekostet hätte und eine Übersetzung in Deutsch gereicht hätte, klingt jetzt etwas abenteuerlich. Sagt das der Köllensperger?

          • asterix

            Die Informatik Reformierung und Vereinheitlichung wurde damals auf ca. 70 Milliionen auf, ich meine, 5 Jahre veranschlagt. Es wurde sogar eine ehemalige Österreichische Politikerin als Koordinatorin angeworben. Mir fällt der Namen gerade nicht mehr ein. Das trientner System hätte gerade mal 6-7 Millionen gekostet. Aber wir sind ja sooooo viel schlauer.

    • pingoballino1955

      VETTERNWIRTSCHAFT A LA S V P

  • placeboeffekt

    Jeder Geschäftsführer oder Projektleiter, der sich mit solchen Mammutprogrammen rumschlagen muss, sollte das Buch „ the mythical man month“ von Fred Brooks durchlesen.
    Die große Erkenntnis daraus: je mehr sich ein Projekt verzögert, um so mehr Ressourcen, also Programmierer, steckt man hinein. Aber gerade dies verzögert es noch viel mehr, weil dadurch der Bedarf an Koordination- sprich Sitzungen- exponentiell ansteigt.

    Brooks’s law: adding manpower to a late software project makes it later.

  • gulli

    nun erklärt sich auch weshalb Zerzer zum Generaldirektor der Infranet AG ernennt werden soll…

  • asd

    Digital alles ok. Aber es soll einfach, schnell und leicht bedienbar sein.

    Gibt leider Programmierer die dafür einfach nicht geeignet sind. Sind eher Fehlereinbauer.

  • andreas

    Ein typisches Problem bei solchen Projekten.
    Wenn man sich für ein System entschieden hat, ist es schwierig, das Projekt abzubrechen und sich für ein anderes zu entscheiden.
    Im Vorfeld sich zu 100% sicher sein, dass das System läuft, klappt nicht mal bei SAP.

    Ein Problem scheint die SAIM zu sein. 3, welche einen Angestellten verwalten.
    Irgendwie habe ich beim Land aber immer mehr den Eindruck, dass die Priorität darin liegt, viele Verwalter, Direktoren und sonstige Führungskräfte zu installieren und diese großartig in der Pressse präsentieren, welche das kaum vorhandene Bodenpersonal verwalten sollen.

  • svea

    Wenn man sich die Digitalisierung in manchen Bereichen der öffentlichen Verwaltung in Südtirol ansieht, dann hat man zuweilen das Gefühl man hat es mit den Schildbürgern zu tun. Den beauftragten Firmen scheint es effektiv an Fachkompetenz zu fehlen und den Auftraggebern fehlt es an der notwendigen Sorgfaltspflicht, die im Umgang mit öffentlichen Geldern vorgesehen ist.
    Leider sind die Folgen dieser Versäumnisse besonders schwerwiegend, wenn es um die Gesundheit der Menschen geht. Wenn hochqualifiziertes Personal, wegen solcher Mängel, viel Zeit verliert dann ist das nicht nur eine ungeheure Geldverschwendung, sondern es bewirkt auch einen enormen Vertrauensverlust. Wenn man als Patient*in das Gefühl hat, dass der Arzt oder die Ärztin mehr Zeit mit dem Papierkram beschäftigt war als mit der eigentlichen Untersuchung, dann generiert man dadurch Zweifel, die oftmals dazu führen, dass weitere Untersuchungen gefordert werden.
    Will man „unnötige Untersuchungen“ wirklich vermeiden, dann ist das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient der Schlüssel dazu.

    Was den Datenschutz betrifft, erwartet man sich im Gesundheitsbereich natürlich einen sorgfältigen Umgang, da es sich um hochsensible Daten handelt. Ich habe jedoch meine Zweifel ob ein System, das im Alltag nicht wirklich funktioniert, dann aber im Stande sein soll meine Daten zuverlässig zu schützen bzw. sie zu vernichten, falls erforderlich.
    In einer Gesellschaft, in der der Voyeurismus zuweilen dazu führt, dass Rettungskräfte bei ihrer Arbeit behindert werden, weil man „das Geschehen“ unbedingt filmen muss, wird kein Gesetz und kein digitales System die Privacy hundertprozentig schützen können.
    Ich denke, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger sich eine gute medizinische Versorgung, unter Wahrung der eigenen privacy, wünscht, allerdings nicht so, dass sich die Medizin dem digitalen System unterzuordnen hat, sondern umgekehrt.

  • placeboeffekt

    Die Verantwortlichen hier können sich ein abschreckenderer Beispiel an das gescheiterte Projekt des nhs in Großbritannien nehmen:

    Ein aufgegebenes NHS-Patientendatensystem hat dort den Steuerzahler fast 10 Milliarden Pfund gekostet.

    Mehrere Minister und Beamte wurden für das Versagen des NHS-Projekts verantwortlich gemacht, das als das größte IT-Versagen aller Zeiten bezeichnet werden kann. Wobei jeder die Schuld jemanden anderen zuschob

    Der Sieg kennt viel Väter , die Niederlage ist ein Waisenkind.

  • nochasupergscheiter

    IKIS anscheinend von einer einzigen Person Programmiert, würde diese Person ausfindig machen und der 200000 zahlen also 1 Prozent (das PPP Projekt hat sicher noch viel mehr gekostet als öffentlich bekannt ist) und ich bin sicher, es würde wunderbar werden.. Und nie ein paar Monate dauern.. Am Pppippi Projekt haben sich sicher viele Vettern ihren alterssitz in Dubai verdient .

  • meintag

    Und dann wird man als Patient zur Kontrolle vom Vinschgau nach Bruneck geschickt um ein MRT zu machen weil die anderen KH auf der Strecke ausgebucht sind und die Privaten welche mit sabes eine Konvention haben Programme nutzen welche für die Öffentlichen nicht zugänglich sind. Eigentlich hätte ich sollen das WK einspannen. Somit wären Alles von den Öffis bezahlt worden.

  • hoi_du

    … technisch gesehen ist meines Erachtens, der Ansatz ein einheitliches System schaffen zu wollen der grundlegende Fehler bei diesem Projekt …

  • sepp

    Du südtiroler vetternwirtschaft du do gehören junge Leute ran leute wie zerzer und wie dei olle hossen gehören abserviert gscheider dei giehn af a Baustelle als Handlanger für einige war woll sell schun zuviel i glab a nett das der LB oanfoch dei posten vergeben wie er will ober i denk einige hoben einige leichen in keller dei wissen zuviel

  • pingoballino1955

    Hätte man damals das System KH Digital Trient übernommen: Null Problemo,lieber Steuergelder in Millionenhöhe rausballern,super Südtirol! Welche Idioten waren bei uns am Werk?????

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