Die Armutsfalle

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Alleinerziehende sind überproportional von Armut betroffen – Südtirol ist da keine Ausnahme. Fast die Hälfte der Alleinerziehenden ist armutsgefährdet.
von Lisi Lang
„Alleinerziehende sind in Südtirol wie im restlichen Europa mittlerweile eine stabile Tendenz“, sagt die Soziologin Heidi Flarer. In Südtirol gibt es derzeit 9.000 Haushalte (Stand Jahresende 2023) in denen ein Erwachsener, in fast 90 Prozent sind es Frauen, mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern lebt. „Wir sprechen also von rund 15.000 Kindern und Jugendlichen, die mit einem alleinerziehenden Erwachsenen zusammenleben“, erklärt Heidi Flarer.
Die freischaffende Soziologin arbeitet anlässlich des 30-jährigen Bestehens der Südtiroler Plattform für Alleinerziehende an einem Bericht über die Situation der Alleinerziehenden in Südtirol, auch im Vergleich mit anderen europäischen Ländern. Zudem arbeitet Heidi Flarer derzeit an einem Fragebogen zu den wesentlichen Herausforderungen und größten Ressourcen, dessen Ergebnisse dann ebenfalls mit dem Bericht im Herbst vorgestellt werden sollen. „Ziel ist es die Daten zur Situation von Alleinerziehenden zu sammeln und deren Realität bekannter zu machen“, erklärt die Soziologin.
In den nordeuropäischen Ländern gibt es deutlich mehr alleinerziehende Haushalte, in Südtirol zeige sich diesbezüglich sicher noch ein traditionelleres Familiengeflecht, allerdings hat die doch stabile Tendenz in Südtirol die Soziologin überrascht – immerhin geht mittlerweile auch bei uns jede dritte Ehe im Laufe der Jahre in die Brüche und in 42 Prozent dieser Fälle sind auch minderjährige Kinder betroffen.
Die Datenlage zeigt laut Heidi Flarer aber auch ganz klar, dass Alleinerziehende in Europa überproportional von Armut betroffen sind. „Und Südtirol ist da trotz Transferleistungen und Unterstützungen leider keine Ausnahme“, sagt die Soziologin. Bei so ziemlich allen Indikatoren würden Alleinerziehende schlechter abschneiden als Haushalte mit zwei Erwachsenen. „Die Gründe dafür sind eigentlich recht klar, da diese Haushalte generell eine niedrigere Arbeitsintensität haben“, erklärt Heidi Flarer, „sie schaffen es seltener mehr als 20 Prozent ihres Arbeitspotentials im Laufe eines Jahres auszuschöpfen – und das führt dazu, dass sie eine schwerere materielle Deprivation erleben.“ Einfacher ausgedrückt: Für Alleinerziehende ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine noch größere Herausforderung als für Haushalte mit zwei Elternteilen, was schlussendlich dazu führt, dass sie weniger arbeiten können und deswegen auch weniger Einkommen zur Verfügung haben. „Alleinerziehende weisen in Südtirol das geringste Äquivalenzeinkommen auf“, erklärt Heidi Flarer.
Der Hauptpunkt ist und bleibt also ein ökonomischer: „Wenn sich ein Haushalt aufteilt, halbieren sich deswegen nicht die Kosten, sie werden vielmehr höher, weil plötzlich mit dem gleichen Einkommen zwei Wohnungen, zwei Heizungs- bzw. Stromrechnungen usw. bezahlt werden müssen“, erklärt Heidi Flarer. Und das führe einfach dazu, dass Alleinerziehende eher finanzielle Probleme haben.
Das wiederum wirkt sich auch auf andere Bereiche des Lebens auf: „Plötzlich ist der Urlaub nicht mehr drin, der Nachmittagskurs ist zu teuer, ebenfalls die bezahlte Kinderbetreuung, damit die Mutter wieder mehr arbeiten könnte – das sind Kreisläufe, die wirklich erschrecken“, sagt die Soziologin.
Die erste Analyse der freischaffenden Soziologin zeigt aber auch einen erfreulichen Aspekt: Die Akzeptanz und das Ansehen von Alleinerziehenden und anderen Familientypen steigt auch in Südtirol. Zudem zeigt die Analyse von verschiedenen europäischen Studien, dass die Rolle der Väter gestärkt werden muss, da diese enorm wichtig für die Entwicklung der Kinder ist. „Wenn der Vater präsent ist und weiterhin eine wichtige Rolle in der Familie spielt, dann verarbeiten Kinder eine Trennung wesentlich besser“, erklärt Heidi Flarer.
Fest steht: Auch wenn die Akzeptanz steigt, so ist die finanzielle Situation von Alleinerziehenden eine sehr schwierige. „Im Durchschnitt sind 17 Prozent der Haushalte von Armut betroffen, bei Haushalten mit nur einem Erwachsenen und mindestens einem minderjährigen Kind sind es 45 Prozent“, unterstreicht Heidi Flarer – und diese Zahlen dürfe man einfach nicht unbeachtet lassen.
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