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„Das Herz wird nicht dement“

Rita und Günter

Im Alter von 53 Jahren erhielt Günter die Diagnose Alzheimer. Dass er trotz Krankheit noch viele schöne Jahre zu Hause erleben konnte, verdankt er seiner Frau.

Günter weiß nicht mehr, dass Rita seine Frau ist, auch seine Töchter erkennt er nicht mehr.

Vor nahezu neun Jahren, im Alter von nur 53 Jahren, erhielt Günter die Diagnose Alzheimer. Dass er trotz seiner Krankheit noch viele schöne Jahre in den eigenen vier Wänden erleben konnte, verdankt er vor allem seiner Frau, die stets aufopfernd an seiner Seite war. Seit einiger Zeit ist Günter nun in einem Heim untergebracht, aber Rita besucht ihren Mann jeden Tag und verbringt Zeit mit ihm.

Veränderungen der Persönlichkeit

„Dass ausgerechnet mein Mann Alzheimer bekam, betrachte ich als Schicksal“, so Rita. „Er hatte eigentlich alles in seinem Leben getan, was man tun sollte, um nicht zu erkranken.“

Günter war ein intelligenter und vielseitig interessierter Mann. Als Chef-Elektriker bei einer Firma für Fruchtverarbeitung und Computer-Fachmann bildete er sich ständig weiter. Er pflegte viele soziale Kontakte und hatte einen großen Freundeskreis. Günter lebte immer gesund und war sehr sportlich. Radfahren, Bergsteigen, Tennisspielen, Paragleiten und Tauchen – es gab kaum einen Sport, den er nicht ausübte. Seine Leidenschaft für Reisen und Fotografie führte ihn in ferne Länder wie Ägypten, auf die Malediven oder nach Sansibar.

„Mir fiel zunächst eine große Persönlichkeitsveränderung auf. Günter zog sich immer mehr von unserer Familie zurück. Er wurde schnell zornig, war nervös und unkonzentriert. Unsere beiden Töchter und ich hatten das Gefühl, dass er uns nicht mehr zuhörte. Außerdem begann er Dinge zu vergessen.“

Rita arbeitete als Altenpflegerin im Seniorenwohnheim Lorenzerhof in Lana. Demenz war ihr Spezialgebiet und doch bemerkte sie nicht, dass ihr eigener Mann Symptome davon zeigte. „Ich habe seine Veränderungen auf anderes geschoben. Ich dachte, er habe eine Depression oder ein Burnout, weil er zu viel arbeitete und Stress hatte. Manchmal, wenn Günter wieder etwas vergessen hatte, kam mir vor, als ob eine eiserne Hand an mein Herz griff, aber ich verdrängte es wieder. Günter hat sich abgeschottet, ist seine Wege gegangen und ich dachte, wir als Familie bedeuteten ihm nichts mehr.“

Im Sommer 2015 flog Rita mit den Töchtern nach Griechenland. Es war der erste Urlaub, bei dem Günter nicht mitkam, aus Angst, dass alles herauskommen könnte, wie Rita heute weiß. Während des Urlaubs hatte ihr Mann nie geschrieben oder einen Anruf entgegengenommen, es war so, als ob er mit seinem Handy nicht mehr umgehen konnte.

„Wir hatten vereinbart, dass uns Günter am Tag unserer Rückkehr von der Busstation abholen würde, und ich hatte ihm das Datum im Kalender notiert. Als er dann ganz aufgeregt einen Tag zu früh mitten in der Nacht anrief, um mich zu fragen, wo wir denn seien, wurde mir bewusst, dass es in letzter Zeit sehr viele derartige Vorfälle gegeben hatte. Ich fühlte nur noch die Angst, dass etwas Schlimmes auf uns zukommen würde“, erinnert sich Rita.

Nichts ist mehr, wie es war

In der Arbeit war es für Günter noch schwieriger, sein Defizit zu verstecken, erste Anzeichen seiner Erkrankung machten sich schon zwei bis drei Jahre vor der Diagnose Alzheimer bemerkbar. Immer wieder passierten Günter gravierende Fehler.

Er, der die Maschine zum Flaschenabfüllen selbst programmiert hatte, konnte diese am Schluss nicht einmal mehr bedienen.

Kurz nach dem Griechenlandurlaub seiner Familie, kam Günter unerwartet schon zu Mittag von der Arbeit zurück und sagte, dass er nun im Krankenstand sei.

Der Personalchef hätte ihn zum Arzt geschickt und gesagt, er solle erst wiederkommen, wenn er wisse, was ihm genau fehlte – Günter konnte nie wieder zu seiner Arbeitsstelle zurückkehren.

Günter wurde nun in der Abteilung für Neurologie im Krankenhaus Meran genau untersucht, unter anderem machte er einen sogenannten Mini-Mental-Test. „Als uns der mittlerweile pensionierte Primar Dr. Tezzon damals erklärte, dass es sicher kein Burn-Out und keine Depression, sondern eine degenerative Erkrankung sei, war mir, als ob mir jemand den Boden unter den Füßen wegzog“, erzählt Rita.

„Günter hingegen war einfach nur erleichtert, dass sein persönlicher Leidensweg endlich einen Namen hatte. Schon seit langem hatte er sich mir verschlossen und versucht, seine kognitiven Probleme so gut wie möglich vor allen zu verstecken und er hat sehr darunter gelitten.“

Ihr Mann verstand die Diagnose damals noch genau. Auf Ritas Frage, ob er wisse, was das für ihn bedeuten würde, antwortete er „Ja, ich werde euch bald nicht mehr kennen.“

Schon im September stand die Diagnose fest. „Alzheimer ist eine Ausschluss-Diagnose, wenn alle anderen möglichen Krankheiten und Ursachen ausgeschlossen werden können, ist es Alzheimer“, so die erfahrene Altenpflegerin Rita. „Theoretisch hätte auch ein Virus oder eine Vergiftung für die Symptome verantwortlich sein können. Dass die Krankheit so schnell erkannt worden war, war ein großes Glück, weil gleich alles getan werden konnte, damit sie langsamer fortschreitet.“

Alltag mit Alzheimer

Günter wurde nun im Krankenhaus Meran in einer Memory Klinik des Südtiroler Sanitätsbetriebes von der Fachärztin für Geriatrie Ingrid Ruffini betreut. „Frau Dr. Ruffini hat so eine feine Art und ist sehr einfühlsam, wir haben uns bei ihr immer gut aufgehoben gefühlt. Und Günter hat gleich Medikamente gekriegt, die ihm wirklich sehr geholfen haben.“

Eine wichtige Ansprechperson in der Memoryklinik war für das Ehepaar auch die Psychologin Barbara Klotz, die sie von psychologischer Seite her betreute. Inzwischen hatte Rita ihre Arbeit gekündigt, um sich voll und ganz der Betreuung ihres Mannes widmen zu können. Sie ist heute sehr froh darüber, denn so habe sie Günter noch viele schöne Lebensjahre ermöglichen können.

Lange noch konnte er mit einer Freizeitgruppe in Meran Tennisspielen. „Die Tennisgruppe hat Günter trotz seiner Erkrankung mit offenen Armen aufgenommen und war wie eine Familie für uns. Im ersten Jahr schaffte es mein Mann sogar noch, allein mit dem Bus hinzufahren. Eines Tages wurde die Busstation jedoch wegen einer Baustelle verlegt. Für Alzheimer-Patienten ist es sehr schlimm, wenn sie auf etwas Unerwartetes treffen. Günter verlor völlig die Orientierung und befand sich plötzlich zu Fuß auf der Schnellstraße Mebo.“

Nach diesem gefährlichen Erlebnis begleitete Rita ihren Mann nun immer zu den Tennisstunden, später musste sie ihm auch beim Ankleiden und Duschen helfen.

Rita hatte gelernt, sich mit der Krankheit ihres Mannes zu arrangieren und jeden Tag so zu nehmen, wie er kam. Bei einer guten Tagesverfassung konnte das Ehepaar auch viel gemeinsam lachen. „Unsere Freunde haben sich oft gewundert, dass wir so viel lachten. Von meiner Arbeit her wusste ich, dass Demenz-Kranke immer mitlachen, wenn man selbst lacht. Und es heißt ja, dass Lachen die beste Medizin ist“, schmunzelt Rita.

„Günter liebte es auch, im Fernsehen Naturdokumentationen anzuschauen. Dabei wiederholte er immer wieder ‚Fein haben wir es‘.“ Die jüngere Tochter übte die Aufgaben für das Gedächtnistraining mit ihrem Vater. „Sie hat das wirklich super gemacht. Bei mir klappte das nicht so gut, denn er hatte ein zu großes Schamgefühl mir gegenüber.“ Rita ging auch viele Stunden mit ihrem Mann spazieren.

Ebenso schickte der Verein für Familien und Senioren von Lana freiwillige Personen, die mit ihm spazieren gingen oder Rita bat Freunde, etwas mit Günter zu unternehmen, um selbst in der Zwischenzeit wieder Energie tanken zu können.

Oft durchlebten sie auch schlechte Zeiten. Günter ging dann unruhig den Gang auf und nieder, wollte aber nicht hinausgehen und mit niemandem mitgehen. Manchmal kam es zu Problemen, weil er bestimmte Medikamente nicht vertrug.

Für Rita war es oft nicht einfach, sie wusste von ihrer Arbeit als Altenpflegerin her schon, was als nächstes auf sie zukommen würde. „Es wäre oft fein gewesen, einfach den Kopf in den Sand zu stecken, andererseits war meine berufliche Erfahrung natürlich auch eine große Hilfe.“

Die Pandemie – eine schwierige Zeit

Besonders die Zeit der Corona-Pandemie war schwierig. „Corona hat uns psychisch und physisch völlig aus der Bahn geworfen. Unsere soziale Kontakte brachen weg, wir waren auf uns allein gestellt und Günter wurde unruhiger und verhielt sich auch mir gegenüber zunehmend aggressiver. Als wir beide schließlich im Oktober 2022 an Corona erkrankten, war das für mich ein Wendepunkt. Bei Günter wurde die Krankheit durch Corona beschleunigt und ich verlor meine Kraft und Zuversicht. Ich musste einsehen, dass ich Günter nicht mehr zu Hause pflegen konnte.“

Kurz vor Weihnachten 2022 wurde Günter im Seniorenwohnheim Lorenzerhof in Lana im geschützten Wohnbereich für Menschen mit Demenz aufgenommen.

Er wird dort liebevoll betreut und Rita könnte sich keinen besseren Platz für ihn vorstellen.

Das Heim ist weitläufig und hat einen schönen großen Garten, besonders während der Pandemie war es Günter daheim zu eng geworden. Rita geht ihren Mann jeden Tag besuchen „Es gibt Menschen, die sich darüber wundern, weil er mich ja nicht mehr kennt“, sagt Rita. „Ich antworte dann immer, dass er mich mit dem Herzen noch kennt. Das Einzige, das demenzkranken Menschen noch bleibt, sind ihre Gefühle. Meine Zuwendung und Liebe spürt Günter immer noch und ich zitiere immer wieder gerne den Titel eines Buches: ‚Das Herz wird nicht dement!‘“

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (4)

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  • artimar

    Ein sehr beeindruckende Lebensgeschichte.

  • exodus

    Diese Lebenserfahrung ist meiner sehr ähnlich.
    Was die Gefühle betrifft, bin ich anderer Meinung. Demenz-Alzheimerkranke kennen keine Gefühle mehr und dies spätestens nach 5-7 Jahren in dieser Krankheit.

    Medizinen kann man vergessen, ich habe keine Besserung erlebt. Nebenbei sind diese Medizinen sehr teuer und der Profit liegt bei den Pharmakonzernen und den Apotheken, der Patient wird mit den Medikamenten nur benebelt.

    Bis jetzt gibt es für diese Krankheit keine medizinische Lösung oder Hilfe…

    • andreas

      Die Krankheit ist irreversibel und kein Medikament kann sie aufhalten, sondern nur verlangsamen, eine Verbesserung ist gar nicht möglich.
      Es stimmt also nicht, dass Medikamente nicht helfen.

      Die Medikamente, welche laut deiner Aussage „benebeln“, dienen dazu die Auswirkung der Krankheit in Griff zu bekomnen und sind teilweise durchaus notwendig.

      Du solltest vielleicht mal mit den Psyhiaterinnen in der Geriatrie sprechen, die erklären dir den Sinn und Unsinn der Medikamente.

  • exodus

    @andreas Haben Mediziner in der Familie, ich bleibe bei meiner Meinung, die durch die gemachte Erfahrung bestätigt wird.

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