Der Pilot-Streitfall
Südtirols Gemeinden müssen für Grundstücke, die sie für den geförderten Wohnbau enteignen, lediglich eine Registergebühr von 200 Euro zahlen. Ein Pilot-Streitfall der Gemeinde Lajen, der im römischen Parlament entschieden wurde.
von Thomas Vikoler
Auch kleine Gemeinden wie Lajen haben ein Recht auf Rechtssicherheit, auch wenn der Prozessgegner die mächtige Agentur der Einnahmen („Agenzia delle Entrate) ist. Und auch wenn sie dafür bis zum Kassationsgerichtshof gehen musste.
Im Jahre 2019 hatte die Bozner Filiale des staatlichen Steueramtes der Gemeinde eine Zahlungsaufforderung über 51.368,76 Euro an Hypothekar- und Katastersteuer zukommen lassen.
Das entspricht neun Prozent von 570.764 Euro, dem Wert eines zuvor von der Gemeinde am 26. Oktober 2019 für den geförderten Wohnbau enteigneten Grundstücks.
Die Gemeinde war der Meinung, dass lediglich der Fixbetrag von 200 Euro Registergebühr geschuldet war. Das Steueramt beharrte dagegen auf seiner Einschätzung, dass im konkreten Fall kein Anspruch auf einen vergünstigten Tarif bestand.
Es kam zu einem Rechtsstreit vor der Steuergerichtsbarkeit, den die Gemeinde Lajen nun – trotz zweier abweisender Urteile in der ersten und zweiten Instanz – auf der ganzen Linie gewinnt.
Die römische Kassation hat festgelegt, dass die Verwaltung für die Enteignung bzw. Übernahme des Grundstücks lediglich 200 Euro Registergebühr zahlen muss. Anstatt die genannten 51.368,76 Euro.
In dem Rechtsstreit ging es vor allem eine Frage: Ist eine Enteignung zugunsten des geförderten Wohnbaus fiskalisch mit einer Enteignung für den sozialen Wohnbau gleichzustellen oder nicht?
Sowohl die Steuerkommission I. Grades in Bozen als auch jene II. Grades kamen zum Schluss, dass die Steuerbegünstigung allein für Grundstücke gilt, die für den sozialen Wohnbau enteignet werden. Gesetzliche Grundlage hierfür ist ein Gesetz aus dem Jahre 1971.
Der Rechtsstreit zwischen der Gemeinde Lajen und der Agentur der Einnahmen wurde letztlich nicht vor Gericht, sondern im römischen Parlament entschieden. Mit Absatz 730 des Haushaltsgesetzes für das Jahr 2022, beschlossen am 30. Dezember 2021, wurde eine auf Südtirol bezogene authentische Interpretation zur Steuernorm aus den 1970ger Jahren eingefügt. Mit Sicherheit auf Initiative eines Südtiroler Parlamentariers.
Dort heißt es wörtlich, dass für Eigentumsübertragungen für Grundstücke, die für den geförderten Wohnbau gemäß der entsprechenden Landesgesetze bestimmt sind, das gleiche Steuerregime gilt wie für Grundstücke für den Volkswohnbau.
Diese Auslegung im Finanzgesetz 2022 wurde von der Kassation rückwirkend auf den von der Gemeinde Lajen angestrengten Streitfall vor der Steuergerichtsbarkeit angewandt. Der dazugehörige lateinische Fachausdruck lautet „jus superveniens“, wenn also eine Rechtsnorm, zu welcher der Rechtsstreit geführt wird, nicht mehr gilt bzw. überwunden wurde. Auch aus diesem Grund muss die Gemeinde Lajen ihre Verfahrensspesen selbst tragen.
Auf jedem Fall handelte es sich hier um einen Pilot-Fall, an dem sich nun alle anderen Südtiroler Gemeinden orientieren können. Für Enteignungen zugunsten des geförderten Wohnbaus (und nicht mehr allein bei Enteignungen für den sozialen Wohnbau) können sie mit einer Registergebühr von 200 Euro kalkulieren.
Ähnliche Artikel
Kommentare (1)
Lesen Sie die Netiquette und die Nutzerbedingungen
Kommentar abgeben
Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.
andreas
Hervorragender Artikel, wo die Situation nachvollziehbar erklärt wird, um nicht immer nur den Kofler zu kritisieren. 🙂