Was erzählt das Jüdische Museum?
Wer sich über jüdische Geschichte in Südtirol informieren will, muss in das Jüdische Museum Meran gehen. Die Ausstellungsräume in der Meraner Synagoge sind neu gestaltet worden, um eine zeitgemäße Präsentation der Sammlung zu ermöglichen. Ein Gespräch mit dem Direktor des Museums Joachim Innerhofer und dem künstlerischen Gestalter Ulrich Egger.
Tageszeitung: Herr Innerhofer, wer sich über jüdische Geschichte in Südtirol informieren will, muss in das Jüdische Museum Meran gehen. Was erzählt es?
Joachim Innerhofer: Das jüdische Museum ist in drei Teile aufgeteilt. Es gibt einen Raum für Geschichte, einen Raum für Religion und einen Raum, der die Schoah darstellt. Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf der Schoah. Hier kann der Besucher sehen, was den Juden hier in Südtirol, vor allem aber in Meran während des Faschismus und ab 1943 von den Nazis angetan wurde. Es gibt Schriftstücke, die zeigen, wie die Faschisten festgestellt haben, wer „Volljude“, „Halbjude“ oder nur „Vierteljude“ war. Es gibt auch Belege, die darstellen, wer sich an der Verfolgung beteiligt hat: vom Arzt bis zum Kaufmann und vom Handwerker bis zum Hotelier und einfachen Bürger, sie alle haben Juden denunziert, geschlagen oder verhaftet. Und es gibt Beurkundungen, in denen Täter bis zuletzt jegliche Schuld von sich weisen, an der Barbarei beteiligt gewesen zu sein.
Was zeigen die Räume Geschichte und Religion?
Im Raum, in der die jüdische Religion dargestellt wird, können sich Besucher und Besucherinnen darüber informieren, welche Kultgegenstände es im Judentum gibt. Zum Beispiel wird eine Thorarolle (wahrscheinlich aus dem 15. Jahrhundert) ausgestellt. Auch die typischen Gebetskapseln (Tefillin) können besichtigt werden. Eine Heiratsurkunde ist ebenfalls zu sehen, wie auch ein für den Schabbat gedeckter Tisch.
Im Geschichtsraum kann man erkunden, seit wann es die Synagoge gibt, wer die ersten Juden in Meran waren, wer der erste Rabbiner war oder seit wann es hier jüdische Hotels und koschere Gaststätten gibt. Zu sehen sind Unterlagen und Fotografien von Persönlichkeiten, wie etwa den Rotschilds, dem ersten Präsidenten Israels Chaim Weizmann oder dem Schriftsteller und Nationaldichter Israels David Vogel, die vorübergehend in Meran lebten.
Das Museum gibt es seit 1998. Warum war eine Neugestaltung der Ausstellung notwendig?
Bereits seit einigen Jahren spielten Elisabetta Rossi, die Präsidentin der jüdischen Gemeinde, und der frühere Präsident Federico Steinhaus, mit dem Gedanken, das jüdische Museum neu zu gestalten. Die Präsentation war nicht mehr zeitgemäß. Teilweise bröckelte an den Vitrinen der Lack ab und an der Wand hinter den Vitrinen machte sich Feuchtigkeit breit, die bis in die Vitrinen vordrang. Wir befürchteten, dass die Dokumente Schaden nehmen würden. Vor zwei Jahren hatten wir einen Rohrbruch an einem Heizkörper. Das war uns eine Warnung. Federico Steinhaus und Elisabetta Rossi beschlossen, dass Steinhaus ein Konzept für einen Umbau erarbeiten solle. Als künstlerischen Leiter und Projektant beauftrage er den Meraner Künstler Ulrich Egger damit, aus einem renovierungsbedürftigen Ausstellungsraum ein der Zeit entsprechendes Museum zu machen.
Möglich war die Neugestaltung dank einer Förderung durch das Land und die Stadt Meran. Wie hoch waren die Kosten?
Die Neugestaltung des Museums verzögerte sich zunächst wegen der Frage der Finanzierung, da der Umbau eine höhere Finanzierung erforderte. Wir zogen mögliche Finanziers in Betracht und einigten uns, bei Landeshauptmann Arno Kompatscher um Unterstützung anzufragen. Bald schon erhielten wir eine Zusage. Die jüdische Gemeinde ist dankbar, dass wir einen Landeszuschuss von 170.000 Euro bekamen. Weitere Unterstützung sicherten die Stiftung Sparkasse und die Stadtgemeinde Meran zu.
Woher stammen die Objekte, welche sind die wertvollsten und wem gehören sie?
Die Dokumente, die wir zur Geschichte der Kultusgemeinde und zur Geschichte der Juden in Meran haben, stammen alle aus unserem Archiv. Leider wurde ein Großteil der Akten während der Nazizeit vernichtet. Auch alle Thorarollen wurden während der Nazizeit gestohlen. Nach dem Krieg kamen Personen mit Thorarollen in die Kultusgemeinde und meinten, dass sie die Rollen im Keller oder auf dem Dachboden gefunden hätten. Woher die stammen, wissen wir nicht. Einige der Parochet, also Wandbehänge, die vor dem Heiligen Schrank hängen und nun in den Vitrinen zu sehen sind, konnten glücklicherweise vor Diebstahl oder Vernichtung durch die Nazis gerettet werden. Wahrscheinlich wurden diese Parochet nichtjüdischen Personen zur Aufbewahrung gegeben. Einer dieser Wandbehänge stammt laut Dokumentation von einem Juden, der in Mauthausen ermordet wurde. Eine Wehrmachtsangehörige brachte den Vorhang nach Meran und deponierte ihn bei Bekannten. Sie kam nicht mehr zurück. Die Bekannten erkannten den jüdischen Kontext des Tuches und übergaben es den Vertretern der Kultusgemeinde. Ein Juwel unter den Ausstellungsstücken ist eine Mini-Thorarolle in der Größe einer Zigarettenpackung. Sie war ein Geschenk der Feministin Nahida Lazarus an ihren Ehemann, den Philosophen und Judaisten Moritz Lazarus, und war im Krieg gestohlen worden. Sie tauchte später in einem Raum der Meraner Gemeinde wieder auf. Zum 100. Geburtstag der Meraner Synagoge im Jahre 2001 übergab der ehemalige Meraner Bürgermeister Franz Alber diese Thorarolle der jüdischen Gemeinde.
In der Abteilung Geschichte wird Geschichte in Geschichten von jüdischen Bürgern Meran erzählt. Welche Familien waren prägend für Meran?
Laut Aron Tänzer, dem ersten Rabbiner der jüdischen Gemeinde von Meran, waren die Brüder Jakob und Daniel Biedermann lange Zeit die ersten Juden in Meran. Sie waren Kaufleute und stammten aus Hohenems (Vorarlberg). Anfangs handelten sie mit Uhren, Stoffen und Schnittwaren. Ab 1830 fingen sie an mit Devisen und Valuten zu handeln. Später eröffneten die Brüder am Meraner Sandplatz eine Bank, die Biedermann-Bank. Durch ihr Kreditinstitut trugen sie wesentlich zum Aufschwung des Kurortes Meran bei. Auch der aus Breslau stammende Arzt Raphael Hausmann, der um etwa 1865 nach Meran kam, trug einiges dazu bei, dass Meran immer populärer wurde. Hausmann publizierte in wissenschaftlichen Magazinen über die gesundheitlichen Vorteile, die Meran zu bieten hatte. Er machte europaweit auch die Traubenkur bekannt und pries das Meraner radonhaltige Thermalwasser für Lungenkranke an. Raphael Hausmann ist auch der geistige Begründer der jüdischen Gemeinde von Meran. Die Familie Bermann aus Kremsier (Tschechien) kam um 1880 nach Meran. Sie sind so etwas wie die Gründerväter der Meraner Hotellerie. Begonnen haben sie ganz klein und bescheiden: Zuerst mieteten die Bermanns ein kleines Lokal in der damaligen Meraner Habsburgerallee, der heutigen Freiheitsstraße, und boten eine koschere Küche an. Später kauften sie das Hotel Bellaria in der heutigen Otto-Huberstraße, bauten es aus und machten es in den 1920er Jahren zu einem der renommiertesten Hotels Merans.
Schmerzhaft deutlich macht die Ausstellung, wie viel die Stadt Meran auf ihrem Weg zur Kurstadt ihren jüdischen Bürgern zu verdanken hat und wie brutal diese Geschichte durch die Barbarei der Nazis und Faschisten ausgelöscht wurde. Eine nach wie vor offene Wunde?
Es schmerzt sehr, wenn man sieht, was die Vertreibung und die Vernichtung der Juden und Jüdinnen Merans angerichtet hat. Es sind wichtige kulturelle, wirtschaftliche, medizinische und zivilgesellschaftliche Errungenschaften verloren gegangen. Leider wurde damit auch ein Grenzen überschreitendes, europäisches Denken und die antinationalistische Haltung der Vertreter der jüdischen Gemeinde abgeschnitten. Man könnte sagen, dass Meran mittlerweile fast eine Stadt ohne Juden ist. Die Kultusgemeinde hat circa 45 eingeschriebene Mitglieder. Bemerkbar macht sich das im Gemeindeleben. Zu religiösen Feiern kommen nur wenige Mitglieder. Das ist ein Problem, wenn man bedenkt, dass es mindestens zehn erwachsene Männer braucht, um einen Gottesdienst abhalten zu können. Vielleicht ändert sich das in den nächsten Jahren. In den letzten Jahren sind einige jüdische Familien nach Südtirol und nach Meran gezogen. Auch Juden und Jüdinnen aus Israel sind hierher gezogen und haben Familien gegründet. Unsere Hoffnung liegt nun bei den Kindern.
Will das jüdische Museum nicht nur Museum, sondern auch Gedenkort an all diejenigen sein, die vertrieben und ermordet worden sind?
Das jüdische Museum soll nicht nur ein Gedenkort sein. Im Museum wird auch gezeigt, wer die Schuldigen für die Vertreibung und Ermordung gewesen sind. Es soll auch eine Mahnung sein: Wer sich schuldig macht, wird zur Rechenschaft gezogen. Nur durch Erinnerung kann man verhindern, dass sich die Schoah wiederholt.
Herr Egger, in welchem Zustand war das Jüdische Museum Meran, als Sie den Auftrag zur Neugestaltung übernommen haben?
Ulrich Egger: 1998 kam vom damaligen Präsidenten der jüdischen Kultusgemeinde Dr. Federico Steinhaus die Überlegung auf, ein jüdisches Museum in Meran zu gründen. Zuvor dienten die kleinen Räume im Untergeschoss als Wohnung für die Hausmeisterin. Das Haus an sich, wo die Synagoge untergebracht wurde, wurde 1901 gebaut. Als ich von Dr. Steinhaus im Januar 2023 den Auftrag bekam, das alte Museum neu zu gestalten, waren 25 Jahre vergangen. Ich kannte das Museum bereits gut und wusste gleich, dass es kein leichtes Unterfangen sein wird, das Museum in neuem Glanz erscheinen zu lassen. Die Museumsräume waren nicht gerade in gutem Zustand. Die Vitrinen waren keinesfalls zeitgerecht und auch größtenteils kaputt und nicht mehr brauchbar. Auch die gesamte Struktur war sehr in Mitleidenschaft gezogen. Durch die jahrelange aufsteigende Feuchtigkeit war das Mauerwerk stark geschädigt. Es war also höchste Zeit, Hand anzulegen, die Räume zu sanieren und die alten Vitrinen durch neue zu ersetzten.
Die Räume sind eher eng, also nicht gerade ein Traum für einen Museumsmacher. Was war die größte Herausforderung?
Die größte Herausforderung war nicht so sehr die Gestaltung der kleinen Räume, sondern viel mehr das Bewusstsein, dass es sich nicht um irgendein Museum handelt. Nach dem offiziellen Auftrag für die Neugestaltung bin ich öfters ins Museum gegangen und habe vor Ort versucht, ein Konzept zu erarbeiten. Es haben viele Treffen mit Dr. Steinhaus stattgefunden. Die drei zur Verfügung stehenden Räume, einer im Zwischenstock und zwei im Untergeschoss boten sich an, die drei Themenschwerpunkte dort unterzubringen. Religion, Shoah und History. Somit war der erste Schritt getan, um mit der Gestaltung zu beginnen. Ein großer Vorteil war, dass Dr. Steinhaus mir großes Vertrauen entgegengebrachte und mir in der Gestaltung viel Freiraum ließ. Die große Herausforderung war also nicht so sehr die Gestaltung an sich, sondern das Bewusstsein, einen neuen Ort zu schaffen, der den Besuchern die Geschichte des jüdischen Lebens in Meran ins Bewusstsein rufen soll. Eine Gedenkstätte der jüdischen Religion und Menschheitsverbrechen.
Ein jüdisches Museum ist nicht irgendein Museum. Welche Stimmung, welche Atmosphäre wollten Sie schaffen?
Wir waren uns gleich schon von Anfang an einig, dass es sich um eine schlichte, einfache und zeitlose Gestaltung handeln soll. Ich habe ein klares Einheitskonzept für alle drei Räume erstellt und den Schwerpunkt auf die Ausleuchtung der Räume und der Vitrinen gelegt. Es gibt nichts, was die MuseumsbesucherInnen ablenken könnte. Bis auf den kleinen Bookshop wird durch eine schlichte Lichtinstallation den Räumen eine besondere Atmosphäre verliehen. Durch die minimale Gestaltung sollen die Besucher und Besucherinnen von Anfang an aufgefordert werden, sich mit den Inhalten der Vitrinen auseinanderzusetzen. Es ist an der Zeit, sich Zeit zu nehmen und sich auf das, was das Museum zeigt, einzulassen.
Charakteristisch sind die rundum laufenden Vitrinen und eine Deckenbeleuchtung, die fragmentarisch den Davidsstern nachbildet. Welches Konzept steht dahinter?
Ja, die Vitrinen sind bis auf die großen Vorhänge von Anfang bis am Ende alle ähnlich. Also ein „fil rouge“, der durch das gesamte Museum führt. Die herabhängende Deckenbeleuchtung soll den Besucher und die Besucherin von Anfang an begleiten und eine Art Wegweiser sein. Die diagonal angeordneten Leuchten erinnern an den Davidstern. Das fragmentarische Ansichtsbild wird zum ganzheitlichen Vorstellungsbild. Eine neue visuelle Erfahrung wird durch eine etwas andere Raumkonstruktion und unterschiedlicher räumlicher Tiefenwahrnehmung kreiert. Das Gestaltungskonzept kommt vor allem im großen Raum im Untergeschoss zur Geltung. Die beiden Vitrinen an den langgezogenen Mauern an der linken und rechten Seite, sollen an Zugwagone erinnern. Die Dokumente in den Vitrinen sind Zeitzeugen des Geschehens.
Die Objekte sind in der Mehrzahl Dokumente und Fotografien. Wie schafft man es, solches eher sprödes Material unmittelbar und sinnlich ansprechend zu präsentieren?
Bereits von Anfang an wusste ich, dass das Museum über einige wenige Objekte verfügt. Dies hängt damit zusammen, dass nicht nur anderswo, sondern auch in Meran zu Kriegszeiten geplündert und ein Großteil der Meraner Juden entweder zum Verkauf gezwungen, geflüchtet oder Opfer des Kriegs wurden. Also war es meine Aufgabe, ausschließlich Vitrinen zu gestalten, die mit Dokumenten und Büchern ausgestattet sein müssen. Federico Steinhaus hat über mehrere Monate hinweg sämtliche Dokumente, Sammlung der Fotografien und Bücher neu durchgeforstet und sie thematisch den einzelnen Vitrinen zugeordnet. Dies alles war kein leichtes Unterfangen, da nur ein Bruchteil der Dokumente ausgestellt werden konnte. Durch das vielseitige und umfangreiche Wissen ist es Dr. Steinhaus gelungen, anhand der ausgestellten Dokumente einen Ort der Erinnerung zu schaffen, der vor allem den interessierten und sensiblen Betrachtern in Erinnerung bleiben wird.
Wurden auch im Gebetsraum Erneuerungen vorgenommen?
Auch der Gebetsraum war, wie alle anderen Räume in einem eher schlechten Zustand. So haben wir entschieden, auch die Synagoge neu zu übertünchen und soweit notwendig, zu restaurieren. Spezielle Eingriffe und Erneuerungen wurden keine gemacht.
Weltweit setzen Museen auf Audio-Installationen, virtuelle Erlebnisse und Spielecken, um Publikum anzulocken. Das jüdische Museum verzichtet komplett darauf. Warum?
Das Thema Audio und Video war auch oft Bestandteil unserer Gespräche. Vielerorts versuchen die Museen mit unterschiedlichen Angeboten attraktiver zu sein und dadurch die Besucherschaft zu steigern. Neben dem Standardpublikum sind das Zielpublikum des jüdischen Museums vor allem Jugendliche aus Mittel- und Oberschulen. Diesen werden vom Fachpersonal Führungen angeboten. Uns allen ist bekannt, dass unsere Gesellschaft hauptsächlich von technischen Maß Medien geprägt ist und es dadurch zu einem überdurchschnittlichen Gebrauch von multimedialen Geräten gekommen ist. Es war unsere Absicht, den Versuch zu starten, den Besuchern und Besucherinnen die Inhalte über Texte und Bilder zu vermitteln. In nächster Zukunft werden Meinungen von Besuchern eingeholt und dann entschieden, ob es angebracht ist, auch Audio-Installationen hinzuzufügen. Wir haben allerdings nicht völlig auf technischen Medien verzichtet. Im Historyraum befindet sich ein Fernsehgerät. Zurzeit läuft ein von mir gestaltetes Video über das neue Museum. Demnächst wird noch weiteres Filmmaterial über die jüdische Geschichte Merans dazukommen.
Interview: Heinrich Schwazer
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