Ein Walküren-Feuerzauber
Das kosmopolitische „Mona“-Frauen-Quartett führte bei Musik Meran sehr männliche und sehr komplexe Quartette von Beethoven und Robert Schumann auf und entzückte das zahlreiche Meraner Publikum.
Von Hubert Stuppner
Frauen haben es auf dieser Welt viel besser als Männer“, hat Oscar Wilde einmal von sich gegeben, „es gibt viel mehr Dinge, die ihnen verboten sind.“
Vielleicht ist es gerade dieses über Jahrhunderte verhängte Verbot für Frauen, in einer klassischen Streichquartett-Formation konzertant aufzutreten, dass wir vier Damen, die nach Überwindung dieser Behinderung dieselben Höchstleitungen erbringen wie die männlichen Kollegen, bewundern und applaudieren.
Die Rede ist von dem kosmopolitischen „Mona“-Frauen-Quartett, das aus lettischen, französischen, amerikanischen und koreanischen Musikern bestehend, 2018 am „Conservatoire National Supérieure de Musique de Paris“ gegründet wurde und am vergangenen Donnerstag für „Musik Meran“ ein Konzert gab. Der Applaus, den es erhielt, ist umso höher zu bewerten, als das Repertoire nicht dem Amusement diente, sondern sich mit den seriösesten Quartetten auseinandersetzte, nämlich mit den männlichen und sehr komplexen von Beethoven und Robert Schumann.
Im bürgerlichen Europa des 19. Jahrhundert war ja das Streichquartett, die Königsklasse der klassischen Kammermusik, grundsätzlich den Männern vorbehalten, wie das Schachspiel. Der Platz für die musikalischen Töchter war hingegen das Klavier. Wenn wir heute ins Konzert gehen und von jungen Interpretinnen wie diesem Quartett ins Land der Träume entführt werden, so ist immer auch – unbewusst – dieses kulturelle Gedächtnis, das uns für einen erlesenen Musikgenuss disponiert. Die Konzertpraxis des 18 und 19. Jahrhunderts war, wie so vieles, von besonderen Moralvorstellungen beeinflusst, etwa von der bürgerlichen Zuordnung des weiblichen „Geschlechtscharakters“, der, als polar zum männlichen gedacht und naturhaft begründet, vor allem mit gezähmter Emotionalität und Häuslichkeit assoziiert wurde. Weshalb Frauen in der „Welt von Gestern“ hauptsächlich Klavier spielten, und die Männer, Ärzte, Richter, Rechtsanwälte, Professoren, Pfarrer und Lehrer Streich-Quartett.
Auch in unseren Breitegraden war das gesellschaftlich vorgegeben. In Bozen gab es im 19. Jahrhunderts mehrere dilettierende Männer-Quartette, die sogar regelmäßig öffentlich auftraten und eigene Konzertreihen anboten. Diese musikalische Exklusivität hat auch mit der im späten 18. Jahrhundert aufkommenden Vorstellung zu tun, dass gewisse Instrumente für Frauen „unschicklich“ wären.
1783 hatte der Pfarrer, Philologe und Komponist Carl Ludwig Junker in seinem Traktat „Vom Kostüm des Frauenzimmer Spielens“ Richtlinien festgelegt, die eine Reihe von Instrumenten aufgrund ihrer Technik für Frauen ausschlossen. Dazu gehörten etwa das Cello, das seine Spieler zum Beinespreizen und „Überhängen des Oberleibes“ zwang, sowie auch jegliche Holz-und Blechblasinstrumente, die ein „Aufblähen des Brustraumes“ und ein undamenhaftes Verziehen der Gesichtszüge erforderlich machten. Deshalb wies Junker den Frauen das Klavier als das ideale weibliche Instrument zu, weil es eine „ruhige und graziöse Sitzhaltung mit geschlossenen Beinen“ erforderte, wodurch es dem „Weiblichkeitsideal von vornehmer Bewegungslosigkeit bei fleiẞiger Betätigung“ entsprach.
Dieses Tabu ist längst gebrochen. Es erlaubt heute allen weiblichen Formationen, selbst Kontrabass und Tuba-Spielern, sich mit Selbstbewusstsein und Leichtigkeit „freizuspielen“. So auch das junge Damenquartett „Quatuor Mona“, bestehend aus Elina Buksha und Charlott Chahuneau, Violinen, Arianna Smith, Bratsche, und Caroline Sypniewski, Cello, die von den besten Quartett-Spielern der Gegenwart, wie Éric Le Sage, Emanuel Pahud und Abdel Rahman El Bacha, unterwiesen und auf Hochglanz gebracht wurden und eben eine Woche nach dem 8. März, dem Tag der Frau, das zahlreiche Meraner Publikum entzückte.
Diesen vier technisch und musikalisch hochgerüsteten Frauen – für die erkrankte 2.Geige musste der Vietnamese Khoa-Nam Nguyen einspringen – ging der Ruf voraus, „Vitalität und unvergleichliche Energie“ zu verströmen, was ja auch mit einem dynamisch heftigen Programm bewiesen wurde, das viel Kraft beantragte und laut Beethoven die Bestimmung in sich trug „das Feuer im Geiste des Mannes zu entfachen “
Von wegen „Feuer entfachen“: Es war vom Anbeginn bis zum abschließenden 3. Streichquartett von Schumann ein Walküren-Feuerzauber. Jeder Strich ein Satz, heftig und unmissverständlich. Musikalische Rhetorik, die sich in der Polyphonie der Affekte sinnlich und sichtbar mitteilte. Die Leichtigkeit der Tonleitern und Intervallsprünge-Sprünge, die agile Gymnastik der Finger, das alles war überdies sehr elegant! Sie spielten, wie sie aussahen: lebendig, frisch und fröhlich: die Klassiker von der cholerischen Wut der alten Quartette befreit und in der Mitte ein wunderbares zeitgenössisches Werk, auch von einer Frau. An den Füßen trugen sie imaginäre Tanzschuhe und in den Köpfen den „süßen Vogel Jugend“, mit dessen Flügelschlägen sie in den raschen Sätzen zum perfekt synchronisierten Flug über den Partituren ansetzten.
Das zeitgenössische Werk in der Mitte der beiden Klassiker, „Saffron Dusk“ der libanesischen in London lebenden Komponistin Bushra el Turk, gleichbedeutend mit „Dämmerung eines Safran-Kokusses“ ist ein von arabischer Folklore in westliche Avantgarde übersetzte Musik, die weiblich epidermische Zustände beschreibt, ein Kribbeln auf der Haut, das sich psychedelisch zur Ekstase verdichtet und wieder in sich zerfällt. Ein beeindruckendes Stück Musik mit Reminiszenzen aus dem Orient, farbig, duftig, mit leisen Erinnerungen an arabischen Singsang und Bauchtanz.
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