Offenheit & Tradition
Jung geblieben und in der Tradition verwurzelt: Der Südtiroler Chorverband feierte am Wochenende sein 75-jähriges Bestehen.
„Singen im Chor verbindet“ ist das Motto des Südtiroler Chorverbandes. Heuer feiert der Verband seinen 75-jährigen Geburtstag. Der Südtiroler Chorverband wurde als Südtiroler Sängerbund 1949 gegründet und war damals ein kleiner Verein von idealistischen Sängern und Chorleitern mit einer Handvoll Chöre. Heute ist der Südtiroler Chorverband die Dachorganisation für derzeit rund 9.200 Sängerinnen und Sänger in 396 Chören. In der Zeit nach dem Krieg half der Sängerbund mit seiner Vereinsgründung mit, das soziale Gefüge und die kulturelle Identität in Südtirol zu stärken.
„Die Stimme der singenden Menschen sein“
Seit 75 Jahren arbeiten viele Menschen im ganzen Land ehrenamtlich für die Sache der Chöre und bauten im Lauf der Jahre einen Verband auf, der sich im Dienst der Chöre sieht und sich aktiv und beständig für die Förderung des Singens im Chor einsetzt.
Ob als Obleute oder als Sänger und Sängerinnen, Chorleiter und Chorleiterinnen – der Südtiroler Chorverband und seine Chöre ist ein Gemeinschaftswerk von unzähligen Menschen in Südtirol. Stellvertretend für das ehrenamtliche Engagement kann Siegfried Tappeiner genannt werden, der von 1975 bis 2001 den Südtiroler Sängerbund, wie der Südtiroler Chorverband damals hieß, als Obmann leitete.
Ohne Übertreibung kann man sagen, dass ohne Siegfried Tappeiner die Südtiroler Chorlandschaft heute nicht so gut dastehen würde. Denn unter seiner Obmannschaft entwickelte sich der damalige Südtiroler Sängerbund vom kleinen Verein zu einem Kulturverband, der zwischen Tradition und Weltoffenheit vermittelte und so den Chorgesang und damit die gesamte Volkskultur in Südtirol wegweisend prägte. Bereits vor seiner Obmannschaft wurde Tappeiner gebeten, das Amt des Bundeschorleiterstellvertreters zu übernehmen. Anlässlich seines 80. Geburtstag erinnerte sich Tappeiner: „Damals waren nur wenige Chöre beim Südtiroler Sängerbund, ich glaube 28. Der Vorstand gab bei einer Sitzung zu verstehen, dass man den Sängerbund auch auflösen könnte, wenn er doch nicht gebraucht würde. Da stand ich auf und sagte, dass die Leute im Vorstand Ideen entwickeln müssten!“
Tappeiner war der festen Überzeugung, dass man durch Ideen und Initiativen zeigen musste, dass der Verband landesweit den Anspruch erheben können, die Stimme der singenden Menschen zu sein. Veranstaltungen, Schulungen und Öffentlichkeitsarbeit bewirkten, dass der Sängerbund zunehmend Resonanz aus der Bevölkerung erfuhr.
Es begann eine rasante Entwicklung. Viele Chöre schrieben sich ein. Es gab zwar vorher schon eine Chorleiterschulung und eine Sängerfortbildung, man war aber zu wenig auf die besonderen Anforderungen eingegangen. „Auch wenn mein Vorstand oft zweifelte, ob wir uns die Schulungen und Veranstaltungen finanziell leisten konnten und es immer ein Hoffen war, dass das Geld irgendwo hereinkommen würde, blieben wir doch auf diesem Weg, mit Veranstaltungen das Singen zu fördern. Anfangs mussten wir für die Fortbildungen noch werben. Aber wir hatten einen starken politischen Rückhalt“, erinnerte sich Tappeiner.
Den Chorgesang sicht- und hörbar machen
1975 veranstaltete der Sängerbund das 1. Bundessingen in Lana, das sehr viel Aufmerksamkeit erregte. Die politische Prominenz erschien, auch Magnago kam nach Lana und die Zeitungen berichteten ausführlich. Enormen Erfolg hatten aber auch die Sendung „Unser Lied“ oder der Wettbewerb „Jugend singt“. Tappeiner holte namhafte Experten wie Erwin Ortner, den Rektor der Musikuniversität Wien, als Referenten nach Südtirol und begründete hier auch eine wichtige Tradition des Südtiroler Chorverbandes, nämlich eine Fortbildung auf höchstem Niveau zu bieten.
Die Qualität des Chorklangs, aber auch der soziale Austausch war dem Südtiroler Chorverband immer ein Anliegen, etwa durch die Organisation von Gesangswettbewerben, wie dem Wettbewerb für Volksliedsingen, der internationales Echo hervorrief. Ein besonderes Anliegen war dem Südtiroler Chorverband auch immer die ladinische Chorkultur. Es gab nicht so viele ladinische Lieder und so initiierte der Verband Kompositionswettbewerbe und den Tag des ladinischen Liedes.
Weltoffen und in der Heimat verwurzelt
Vom Südtiroler Chorverband ging auch ein wichtiges Signal aus, das heute noch wegweisend ist: Tappeiner war davon überzeugt, dass das Zusammenwachsen der europäischen Völker nicht alleine nach den Regeln der Wirtschaft passieren darf, sondern dass in kleinen Schritten auch die Kultur ihren Beitrag leisten soll und muss. In den 1970er Jahren war ein völkerverbindendes Bewusstsein der Menschen im Alpenraum bei weitem noch nicht in jenem Maße entwickelt wie wir es heute weitum kennen und schätzen.
Ein wegweisender Schritt war es deshalb, dass 1979 auf Initiative des Südtiroler Sängerbundes im Sitzungssaal des Südtiroler Landtages in Bozen die AGACH, die Arbeitsgemeinschaft Alpenländischer Chorverbände, gegründet wurde. Den Weg der Zusammenarbeit mit anderen Chorverbänden setzten auch Josef Pircher und Erich Deltedesco fort, die Obmänner, die auf Tappeiner folgten. Ein besonders sichtbares Zeichen für die bereits seit Jahrzehnten bestehenden guten Beziehungen zwischen dem Chorverband Österreich und dem Südtiroler Chorverband erfolgte 2022: Der Chorverband Österreich beschloss bei seiner Generalversammlung in Bozen einstimmig, den Südtiroler Chorverband als neues ordentliches Mitglied aufzunehmen.
Schulungstätigkeit seit Jahrzehnten ein Schwerpunkt
Der Südtiroler Chorverband war immer schon überzeugt, dass es auch Großveranstaltungen des Verbandes braucht, um die Identität der Sängergemeinschaft zu stärken und die Schönheit des Gesangs nach außen zu tragen. So wurde es Tradition, dass der Chorverband und seine Bezirke regelmäßig Chöre-Treffen und Landessingen veranstaltete und damit dem Singen im Chor auch vor der Öffentlichkeit ein Gesicht gab. Der Chorverband sah sein Ziel in einer breiten und auch weltlichen Gesangskultur, die über die musikalische Mitgestaltung der Gottesdienste hinausgeht. Dieses Konzept hatte Erfolg.
In Verbindung mit der medialen und öffentlichen Präsenz der Chöre – man denke auch an die beliebte Fernsehreihe „Unser Lied“ – wurde auch beständig an der Qualität des Chorgesangs gearbeitet. So kann man sagen, dass es auch dem Südtiroler Chorverband zu verdanken ist, dass Südtirol so gute Chöre hat. So wurde die Schulungstätigkeit bereits seit den 70er Jahren zu einem Schwerpunkt des Verbandes, insbesondere auch die Förderung des Gesangs bei Kindern und Jugendlichen. Der Verband organisierte die Kindersingwoche, die Kinderchorwerkstatt, die Jugendsingwochen. „Dass die Jugend ein sehr großes Potential hatte, zeigte das Angebot eines sehr teuren Referenten aus Deutschland, ein zweites Mal nach Südtirol zu kommen und zwar für ein weit kleineres Honorar – weil ihm die Arbeit mit den Südtiroler Jugendlichen so gefallen hatte“, erinnerte sich Ehrenobmann Tappeiner an diese Jahre.
Balance zwischen Offenheit und Tradition
Das Erfolgsrezept des Südtiroler Chorverbandes war seither die Balance zwischen Offenheit und Bewahrung. Dies zeigte sich auch im Chorgesang selbst. Bei Vergleichsauftritten fielen die Südtiroler Chöre qualitativ auf, sowohl im Gesang selbst als auch was die Literatur betrifft. Es gab eine Entwicklung hin ins Internationale, zu neuen Stilrichtungen. Spitzenchöre gingen bei Bewerben meistens als Preisträger hervor, was von der internationalen Chorlandschaft sehr respektvoll wahrgenommen wurde.
Die Aufnahme von Impulsen und die starken Wurzeln – dies führte zu einem großen Qualitätssprung. Dies hat sich bis heute weiterentwickelt, wenn man etwa an den Landesjugendchor denkt. Schon früher hatte der Verband Erfolg in der Kinderchorarbeit, beispielhaft mag hier das Engagement des Kinderchors von Gretl Brugger für Konzerte unter der Leitung von Claudio Abbado stehen. Der Chor wurde zu den Osterfestspielen in Salzburg, nach Berlin, nach Turin geladen.
Braucht es den Südtiroler Chorverband weiterhin?
Einzelleistungen können nur über eine Koordinierung wirksam werden, wie die Geschichte des Chorverbandes zeigt. Nur dann wird eine Gesamtleistung sichtbar, nur so wird eine Leistung für die Öffentlichkeit sichtbar. Eine zentrale Koordinierung kommt allen Chören zugute. Es braucht jemand, der die Schulungen organisiert und Kosten abfängt.
Wichtig dabei ist, dass das Geld immer in Schulungen und Veranstaltungen investiert werden und auf neue Bedürfnisse eingegangen werden muss. Als der Chorverband feststellte, dass es zu wenige Männer gibt, die im Chor singen, erfand er zum Beispiel die Bubensingwoche, im Wissen, dass Buben in einem gewissen Altern lieber unter sich sind. Und wer früh zu singen beginnt, bleibt eher dabei. „So muss auch heute der Gesang bei den Kindern und Jugendlichen frühzeitig gefördert werden, dann wird es auch keine Nachwuchsprobleme geben“, zeigt sich auch Verbandsobmann Erich Deltedesco überzeugt von einer aktiven Jugendarbeit. Siegfried Tappeiner analysierte eventuelle Nachwuchsprobleme der Chöre so: „Dass viele Kirchenchöre Probleme haben, junge Sänger und Sängerinnen zu finden, hängt eher damit zusammen, dass die kirchliche Religiosität abhandenkommt. Das Singen selbst kennt keine Krise.“
Erich Deltedesco, der seit 2010 an der Spitze des Verbandes steht, kann sich heute über eine vielseitige Chorlandschaft freuen. Für ihn und den gesamten Verband ist vor allem die anspruchsvolle Schulungstätigkeit des Verbandes sehr wichtig: „Wir versuchen stets, ein gutes und ausgewogenes Schulungs- und Ausbildungsprogramm anzubieten mit international anerkannten Fachleuten. Das wird von den Chören auch sehr geschätzt. Das hohe Niveau unserer Chöre ist sicherlich auch darauf zurückzuführen.
Viele Sängerinnen und Sänger nehmen oft sogar Urlaub, um an den Kursen teilnehmen zu können. Und das, was sie dabei lernen, fällt schlussendlich auch auf den eigenen Chor zurück.“ Er betont immer wieder, dass der Verband nicht nur eine kulturelle, sondern auch eine soziale Aufgabe erfüllt: „Singen in der Gemeinschaft fördert das Wohlbefinden und die Gesundheit, was sogar wissenschaftlich bestätigt wurde!“
Gerade für Kinder und Jugendliche müsse der Verband Möglichkeiten bieten, ihre Persönlichkeit durch das Singen zu entwickeln und vor allem auch Gemeinschaft zu erleben: „Deshalb gehört zu unseren Schulungen immer auch ein tolles Freizeitprogramm.“ Mit der Initiative „Singende Schule“ sei es auch gelungen, das Singen noch mehr im Alltag zu verankern. Der Südtiroler Chorverband habe aber vor allem eine Stärke: das ehrenamtliche Engagement in den Städten und Dörfern des Landes. Denn schlussendlich seien es die vielen Chöre vor Ort, die den Chorverband ausmachen.
Ähnliche Artikel
Kommentar abgeben
Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.