„Die abgewälzten Risiken“
Neue Gentechnik: welche NGT-Pflanzen gibt es bereits? Die Ernährungsexpertin Silke Raffeiner klärt auf.
Ein Verordnungsvorschlag der EU-Kommission sieht für NGT-Pflanzen der Kategorie 1 (NGT = New Genomic Techniques, neue gentechnische Verfahren) zukünftig weder ein Zulassungsverfahren noch eine Risikoprüfung noch eine Kennzeichnung am Endprodukt vor.
Laut einer Recherche der Umweltschutzorganisation Global 2000 und der Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit aus dem Jahr 2022 ist die Anzahl der kommerziell angebauten NGT-Pflanzen noch überschaubar.
In Kanada und den USA wird ein herbizidresistenter Raps (Unternehmen: Cibus), ebenfalls in den USA eine Sojabohne mit verändertem Ölsäuregehalt (Calyxt) angebaut. In Japan ist seit September 2021 die so genannte GABA-Tomate (Sanatech Seed) im Einzelhandel erhältlich.
Diese Tomate wurde mit der Genschere CRISPR/Cas derart manipuliert, dass sie einen höheren Gehalt an Gamma-Amino-Buttersäure (GABA) aufweist und dadurch eine blutdrucksenkende Wirkung haben soll. Die GABA-Tomate wurde ohne eingehende Untersuchung der behaupteten Wirkungen zugelassen und muss nicht als genetisch verändert gekennzeichnet werden. In den Philippinen wurde eine Banane zugelassen, die nicht mehr braun werden soll (Tropic), in Kenia eine parasitenresistente Hirsesorte.
Kurz vor der Kommerzialisierung stehen laut Global 2000 und IG Saatgut weitere NGT-Pflanzen wie eine Luzerne mit veränderter Nährstoffzusammensetzung (Calyxt), eine Sojabohne mit veränderter Fettsäurenzusammensetzung (Calyxt), ein Weizen mit erhöhtem Ballaststoffgehalt (Calyxt), ein Reis mit Herbizidresistenz (Cibus) sowie ein Raps mit stabileren Schoten (Cibus). In Europa laufen Freisetzungsversuche mit NGT-Kartoffeln (Schweden) und NGT-Weizen (Großbritannien). Freisetzungsversuche für NGT-Mais (Belgien) und NGT-Broccoli (Spanien) wurden beantragt.
Aktuelle Projekte zielen in erster Linie auf Herbizid- und Krankheitsresistenzen, auf eine veränderte Nährstoffzusammensetzung, auf leichtere Ernte bzw. Weiterverarbeitung sowie auf Eigenschaften wie „nicht bräunend“ ab. Daran beteiligt sind einerseits neu gegründete Unternehmen, andererseits die multinationalen Saatgutkonzerne. Allein Corteva (DowDuPont/ Pioneer) und Bayer/ Monsanto haben weltweit bereits über 1.500 Patente auf NGT-Pflanzen angemeldet. Corteva und Bayer kontrollieren 40 Prozent des globalen Saatgutmarkts.
Ein Argument, das in Zusammenhang mit der Liberalisierung der Neuen Gentechnik regelmäßig bemüht wird, ist die notwendige Anpassung von Pflanzen an die Klimakrise. Mit „klimafitten“ Pflanzen ist laut Einschätzung von Global 2000 und IG Saatgut jedoch in absehbarer Zeit nicht zu rechnen. Zum Einen wird bislang nur vereinzelt an Eigenschaften wie Trockenheits- oder Salztoleranz geforscht.
Zum Anderen werden die Reaktionen von Pflanzen auf Hitze oder Trockenheit bis heute nicht vollständig verstanden, weil sie auf einem sehr komplexen Zusammenspiel vieler Gene und unterschiedlicher Steuerungsmechanismen beruhen. Auch die Eidgenössische Ethikkommission für Biotechnologie im Außerhumanbereich (EKAH) hält in einem Bericht vom November 2022 „neue gentechnische Verfahren für wenig geeignet, zeitnah für eine Anpassung der Landwirtschaft an den Klimawandel zu sorgen“.
„Vom Einsatz alter wie neuer Gentechnik in der Landwirtschaft scheinen vor allem jene Unternehmen zu profitieren, welche Gentechnik-Pflanzen entwickeln, vermarkten und Patente anmelden“, meint Silke Raffeiner, die Ernährungsexpertin der Verbraucherzentrale Südtirol. „Die Risiken dagegen werden auf die Allgemeinheit abgewälzt.“
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