„Kleine Kämpfer“
Rund 500 Familien konnte der Verein für krebskranke Kinder Peter Pan in den letzten 25 Jahren in Südtirol unterstützen. Im Interview spricht Präsident Michael Mayr über die Schockdiagnose für Familien, neue Therapien und gute Heilungschancen.
Tageszeitung: Herr Mayr, was bedeutet es für eine Familie, wenn man plötzlich mit der Diagnose Krebs bei Kindern konfrontiert wird?
Michael Mayr: Das Schwierigste ist, dass man diese Diagnose wirklich von einer Sekunde auf die nächste bekommt. Meistens ist das Kind krank und die Eltern fahren ins Spital, in der Meinung, es könnte sich um eine Bronchitis oder so handeln. Dann bekommen sie aber die Diagnose, dass es Krebs ist. Man ist also überhaupt nicht vorbereitet. Dazu kommt, dass man dann gar nicht mehr nach Hause darf, sondern direkt in ein universitäres Zentrum nach Innsbruck oder Padua verlegt wird. Das heißt, die Kinder gehen zum Arzt und kommen dann wochenlang nicht mehr nach Hause – es verändert sich also in wenigen Minuten alles.
Und in diesem Moment kommt der Verein Peter Pan ins Spiel…
Wenn Familien so eine Diagnose bekommen, dann müssen sie sich um den Ablauf kümmern, organisieren, wer sich um die anderen Kinder kümmert, wie die Familie ihren Alltag meistert – und deswegen ist es eines der größten Anliegen von Peter Pan, dass wir sehr schnell helfen. Wir starten auch mit der finanziellen Unterstützung schon nach wenigen Tagen, damit ein Elternteil beim Kind bleiben kann – die Therapien dauern ja mindestens ein Jahr – und dass zu den Sorgen um die Gesundheit des Kindes nicht auch noch finanzielle dazukommen.
Also war das Hauptziel vor 25 Jahren, als der Verein gegründet wurde, Eltern finanziell unter die Arme zu greifen?
Das ist nicht unser Hauptziel, sondern eines von mehreren. Als Hauptziel würde ich definieren, dass Eltern, die den Weg dieser Erkrankung hinter sich haben, Eltern helfen, die diesen Weg noch vor sich haben. Und in meinen Augen sehr wichtig ist auch, dass wir unsere Kinder zusammenbringen. In ihrem Umfeld sind die Kinder immer die einzigen, die so eine Erkrankung haben. Deswegen kommt auch immer die Frage der Kinder, auf die wir keine Antwort haben: Warum trifft es genau mich? Aber wenn wir unsere Kinder zusammenbringen, bei Feiern, Reisen oder Therapien, dann haben sie die Möglichkeit sich auszutauschen und das fördert die Akzeptanz der Krankheit. Und wenn sie die Krankheit akzeptieren, dann fördert das die Mitarbeit – und das ist sehr wichtig für die Therapie.
Wie gehen die Kinder mit so einer Erkrankung um?
Die Kinder verstehen natürlich alles, sie erkennen die Sorge der Eltern, spüren, dass etwas nicht in Ordnung ist, die Eltern Angst haben. Die Reaktion der Kinder auf die Krankheit ist aber viel besser, als die der Eltern – auch ist sie besser als bei Erwachsenen mit der gleichen Diagnose.
Also richtige kleine Kämpfer…
Richtig, kleine Kämpfer, die die Fähigkeit haben, jeden Tag einzeln zu leben. Während wir Erwachsene voraus- und zurückdenken, leben die Kinder viel stärker im Moment.
Wie häufig ist Krebs bei Kindern eigentlich?
In Südtirol werden rund 20 Neuerkrankungen pro Jahr registriert. Der häufigste Tumor im Kindesalter ist die Leukämie, gefolgt von Tumoren des zentralen Nervensystems, also im Gehirn. Bei Erwachsenen gibt es hingegen mehr Lungenkrebs oder Brustkrebs, das sehen wir in der Pädiatrie eigentlich nie. Ein Unterschied ist auch, dass es im Kindesalter zwar fast nur bösartige Tumore gibt, aber die Heilungschance besser ist: Wenn wir alle Tumorarten bei Kindern zusammennehmen, dann sprechen wir von einer dauerhaften Heilung in über 80 Prozent der Fälle, bei speziellen Formen der Leukämie sind es sogar über 90 Prozent.
Also können diese Kinder danach wieder ganz ein normales Leben führen?
Richtig, diese Kinder sind dauerhaft geheilt. Und während sich in den letzten Jahren relativ wenig getan hat, was neue Therapien angeht, hat sich zuletzt wieder etwas bewegt – es gibt neue Therapien, die noch nicht standartmäßig bei Kindern eingesetzt werden, die aber vielversprechend sind.
Ist Krebs bei Kindern noch immer ein großes Tabuthema?
Krebs bei Kindern ist noch immer ein Tabuthema und das ist in meinen Augen so, weil die Menschen nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Für die meisten Menschen ist diese Situation so schlimm und sie wissen einfach nicht, wie sie darauf reagieren sollen, was sie sagen sollen. Viele Menschen sind mit dieser Situation einfach überfordert und deswegen gehen wir beispielsweise auch in die Schulklassen von betroffenen Kindern und erklären den Schülern, dass sie dieses Kind weiterhin umarmen und mit ihm Fußball spielen können.
Was hat sich in den letzten 25 Jahren verändert? Worauf blicken Sie mit Stolz zurück?
Stolz sind wir natürlich darauf, dass wir 25 Jahre lang Kindern helfen konnten. Ich bin auch froh und dankbar, dass uns so viele Menschen unterstützen, weil wir uns ja ausschließlich über Spenden finanzieren – wir bekommen keine Beiträge vom Land, vom Staat oder von der EU. Es freut uns auch, dass die Therapien und wahrscheinlich auch die Prognosen noch besser werden.
Und was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Dass wir weiterhin Kinder unterstützen können. Auch haben wir zwei neue Projekte, die wir gerne umsetzen möchten. Zum einen ist das eine Anlaufstelle für Kinder, die ins Erwachsenenalter wechseln, weil diese total in der Luft hängen. Bei Kindern werden alle Befunde in der Kinderonkologie gesammelt, wenn sie dann aber 17 werden, kommen sie in die Erwachsenenmedizin und haben dort keine direkte Anlaufstelle mehr. Und dann haben wir noch ein schönes Projekt mit der Vereinigung Nemo, die sich um Kinder mit seltenen Erkrankungen kümmert. Sie bauen nämlich im Innenhof der Pädiatrie einen Wintergarten und dort bekommen wir 50 Quadratmeter, die wir direkt mit der Onkologie verbinden können. Die Kinder bekommen so einen schönen Raum, wo sie sich während der Chemotherapie aufhalten können.
Auch möchten wir eine Gruppe bilden für genesene Kinder, damit sie sich treffen und austauschen können – die Nachbetreuung ist einfach auch noch sehr wichtig.
Interview: Lisi Lang
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