„Große Baustellen“
Andrea Dorigoni, Landessekretär im ASGB-Gesundheitsdienst, setzt große Hoffnungen in den neuen Landesrat für Gesundheit, Hubert Messner: Hausärzte müssten beim Sanitätsbetrieb angestellt und gegen Zweiklassenmedizin vorgegangen werden.
TAGESZEITUNG Online: Herr Dorigoni, die Regierung möchte, laut Koalitionsprogramm, vorrangig das klinische System entlasten, Wartezeiten und Versorgungsengpässe abbauen. Dafür soll die wohnortnahe Versorgung durch Ausbau und Vernetzung verstärkt werden. Wie kann dies gelingen?
Andrea Dorigoni: Bereits Ende der 70er und in den 80er Jahren war von einer Stärkung des Territoriums und auch der Krankenhäuser die Rede. Hier gibt es sicher sehr große Baustellen. Zum einen müsste die Thematik der Hausärzte in Angriff genommen werden. Die Hausärzte sind freiberuflich tätig. Wenn sie aber Angestellte des Sanitätsbetriebs wären, könnten viele Knackpunkte leichter gelöst werden. Eine zweite Thematik ist die Überlastung der Notaufnahmen. Patienten mit nicht schwerwiegenden Problemen wissen, dass in der Notaufnahme eine Rundumuntersuchung gemacht wird, zum Beispiel werden Blutproben oder Röntgenuntersuchungen vorgenommen, was beim Hausarzt nicht möglich ist. Hier wäre es unbedingt nötig, eine Alternative zur Notaufnahme zu schaffen, die tatsächlich nur für wirkliche Notfälle gedacht ist.
Kann es gelingen, durch Steigerung der Attraktivität von Ausbildung und Arbeit im Gesundheitsdienst dem Fachkräftemangel erfolgreich zu begegnen?
Unser Sanitätssystem und auch das Koalitionsprogramm sind sehr arztlastig. Wenn man sich andere Realitäten anschaut, haben dort auch andere Berufsbilder viel mehr Arbeitsautonomie, die wiederum deren Attraktivität fördert. Das zeigt sich beispielsweise bei den Physiotherapeuten, die nicht unter einem Fachkräftemangel leiden. Bessere Bedingungen können darüber hinaus auch auf tarifvertraglicher Ebene geschaffen werden. Dazu findet sich zwar ein Ansatz im Programm, aber man hat nicht den Eindruck, dass damit eine gewichtige Veränderung herbeigeführt werden soll. Weiterhin muss das bestehende Personal zufrieden sein und die nötige Wertschätzung vom Betrieb erhalten, damit es bleibt. Man kann dem Fachkräftemangel nicht nur begegnen, indem man alles versucht, um neues Personal anzuwerben, sondern es muss auch bestehendes Personal gehalten werden.
Durch Gruppenmedizin soll eine kontinuierliche Abdeckung der Grundversorgung mittelfristig gewährleistet werden. Was beinhaltet eine Gruppenmedizin?
Mehrere Hausärzte sollen sich zu einer Gruppe zusammenschließen und in einer Praxis gemeinsam arbeiten, um die Möglichkeit zu schaffen, dass in dieser Praxis dann mehr angeboten werden kann, als ein einzelner Hausarzt in der Lage ist anzubieten.
Vor allem sollen die Hausärzte in die Lage versetzt werden, dass sie weniger komplexe Krankheiten selbständig behandeln können. Sind viele Hausärzte nicht aber bereits an ihrer Belastungsgrenze?
Sicher gibt es viele Hausärzte, die an der Belastungsgrenze sind. Aber das hängt zum einen vom Einzelnen ab und zum anderen gibt es große Unterschiede zwischen dem Land, wo viele Hausärzte deutlich mehr Leistungen anbieten, und der Stadt. Wenn die Hausärzte Bedienstete des Sanitätsbetriebes wären, könnte man auch an dieser Stelle sicher besser agieren und schauen, dass eine Einheitlichkeit herrscht, um es den Patienten leichter zu machen und die Krankenhäuser zu entlasten.
Der öffentliche Gesundheitsdienst soll ausgebaut und gestärkt werden, was eine Zusammenarbeit mit privaten Leistungsanbietern nicht ausschließen würde. Dazu müssten allerdings diese Kooperationen den öffentlichen Gesundheitsanbieter ergänzen und damit stärken. Kann man das so strikt trennen?
Die Stärkung des öffentlichen Gesundheitsdienstes ist für uns ein prioritäres Thema. Bei den Privatisierungen, die es in den letzten Jahren durch Konventionen gegeben hat, sind wir wirklich sehr skeptisch. Es bringt zwar einen Vorteil für den Patienten, der bei privaten Anbietern viel schneller einen Termin bekommt als beim öffentlichen Gesundheitssystem, aber man muss hier längerfristig denken. Wir sehen die Gefahr, dass das öffentliche System dadurch mit den Jahren sehr geschwächt wird. Die privaten Strukturen nehmen sich zudem gerne die Kirschen von der Torte, aber verfolgen die komplexeren Fälle nicht weiter. Es ist zu einer Zweiklassenmedizin gekommen. Privatpatienten bekommen viel schneller einen Termin als Patienten, die die Kosten einer Behandlung nicht selbst zahlen. Das wollten wir immer vermeiden. Hier könnten Regierung und Sanitätsbetrieb sehr stark agieren.
Welche Erwartungen haben Sie an den neuen Landesrat für Gesundheit, Hubert Messner?
Ich bin überzeugt, dass wir in einem erfahrenen ehemaligen Mitarbeiter des Sanitätsbetriebes eine Person haben, die den Betrieb und viele seiner Probleme gut kennt und dadurch vielleicht besser im Stande ist, diese Aufgaben anzugehen und somit Verbesserungen für den Sanitätsbetrieb und damit auch für den Patienten zu erreichen.
Interview: Sandra Fresenius
Kommentare (11)
Lesen Sie die Netiquette und die Nutzerbedingungen
Du musst dich EINLOGGEN um die Kommentare zu lesen.