„Corona auf dem Rückzug“
Covid ist ein Krankheitsbild von vielen geworden. Das zeigt sich an der aktuellen Infektionslage. Der Virologe Gernot Walder gibt einen Überblick.
Die Weihnachtsfeiertage sind traditionell eine Phase, in der viele Infektionskrankheiten weitergegeben und verbreitet werden. Durch Familienzusammenkünfte und Reisen stecken sich nicht nur viele Menschen an, es setzen sich auch neue Erreger durch.
Der Osttiroler Infektiologe Gernot Walder hat sich deshalb nun ein Bild von der Infektionslage in Osttirol gemacht. Dank kostengünstiger Verfahren sei es heuer möglich, 30 Keime gleichzeitig aus einem Abstrich zu testen. Dadurch sei eine recht genaue Analyse möglich. Seit 1. Dezember hat er 200 Abstriche vorgenommen. Im Interview erklärt er, welches Bild daraus entsteht.
Tageszeitung: Herr Walder, wie würden Sie die aktuelle Infektionslage zusammenfassen?
Gernot Walder: Wir haben einen bunten Mix aus verschiedenen Krankheiten. Der am häufigsten nachgewiesene Erreger ist in Osttirol Haemophilus influenzae, ein Bakterium, das trotz seines Namens nichts mit der Grippe zu tun hat. Es folgen Influenza (17,5 Prozent), Pneumokokken (17 Prozent), SARS-CoV2 (13,7 Prozent), Enteroviren (10,8 Prozent), Mycoplasma pneumoniae (5,7 Prozent) und klassische respiratorische Coronaviren, die es vor der Pandemie auch schon gab (3,3 Prozent). Insgesamt wurden mehr als 30 verschiedene Erreger nachgewiesen. Das ist nicht neu, das war vor Corona auch schon der Fall, nur subsummierte das unter „Grippepeak“. Aus der Vielfalt der Erreger die tatsächlich beteiligten Keime zu identifizieren, scheiterte damals schlicht an den Kosten, der Zeit und an den begrenzten technischen Möglichkeiten. Das geht jetzt besser: Neue Verfahren ermöglichen es uns, eine große Zahl von Erregern rasch und relativ günstig zu testen. Das ermöglicht uns nicht nur einen besseren Überblick über die epidemiologische Lage, sondern auch erregregerechte Therapien und gezielte Maßnahmen zur Unterbrechung der Seuchenketten.
Was hat es mit dem Bakterium Haemophilus influenzae auf sich?
Der Verursacher der Grippe ist ein Virus, das Influenzavirus. Bevor man Viren anzüchten bzw. elektronenmikroskopisch nachweisen konnte, nahm man an, dass dieses Bakterium die Grippe verursacht. Heute wissen wir, dass das nicht der Fall ist. Viele Menschen tragen Hämophilus influenzae in geringen Mengen auf der Schleimhaut, im Gefolge von viralen Infekten kann sich der Keim aber gegen Körperabwehr und Standortflora durchsetzen und selbst zum Problem werden – als Rachenentzündung, Bronchitis oder Lungenentzündung. Eine gefürchtete Komplikation war früher die Entzündung des Kehldeckels durch Kapseltyp B, die zu schweren Atemproblemen bei Kindern geführt hat – damit war ich in meinen ersten Jahren als Notarzt noch konfrontiert. Durch die Sechsfachimpfung ist die Epiglottitis aber nahezu verschwunden, das hat uns heuer einiges an Problemen erspart. Vor den anderen Symptomen – Rachenentzündung, Bronchitis, Fieber etc. schützt die Impfung aber nicht.
Wie sieht es mit anderen Impfungen aus. Schützen diese heuer verlässlich?
Bei der Grippe hatten wir heuer bislang keine Impfdurchbrüche. Das gilt auch für die Pneumokokken. Es gibt Einzelfälle von Personen, die trotz Impfung erkranken, aber insgesamt hat die Impfung bis jetzt gut geschützt.
Sie gehen davon aus, dass sich Corona weiter auf dem Rückzug befindet. Gab es zuvor eine größer Covid-Infektionswelle?
Es hat im Herbst in Osttirol keine so ausgeprägte Welle gegeben, wie man das aus der Presse aus anderen Regionen entnommen hat. Im November war Corona kurzfristig Nummer eins, aber fast gleichauf mit anderen Erregern. Den konkurrenzlosen Spitzenplatz wie in den letzten Jahren hat das Virus nicht mehr eingenommen. Das hat sich genau in dem Maß eingependelt, wie wir es erwartet haben.
Durch Corona alleine sind also keine Maßnahmen notwendig, wie groß ist die Belastung dieser Krankheitsbilder gemeinsam?
Natürlich wirken sich die Infektionen aus: Es gibt mehr Krankenstände, das Patientenaufkommen in den Arztpraxen und Ambulanzen ist höher, wir sehen mehr schwere Verläufe als in anderen Monaten. Gerade das Zusammenwirken von zwei Erregern kann auch einen gesunden Menschen „hineinreißen“. Das ist aber in der Winterzeit normal und dauert wahrscheinlich bis in den März hinein an.
Sie empfehlen, einen Überblick über die Gesamtsituation zu behalten. Warum?
Ich halte es mit dem chinesischen Heerführer Sun Tzu: Kenne dich selbst und deinen Feind, dann brauchst du das Resultat von 100 Schlachten nicht zu fürchten. Nicht alle Bakterien, die wir haben, sprechen auf das gleiche Spektrum von Antibiotika an, Viren gar nicht. Ungezielte Therapien sind oft nicht wirksam, verschwenden Ressourcen und vergrößern das Risiko einer Resistenzentwicklung. Der Patient profitiert vor allem von einer erregergerechten Therapie. Außerdem: Solange ich nicht weiß, mit wem ich es zu tun habe, tu ich mir auch schwer, prophylaktische Maßnahmen zu ergreifen. Wir haben im Herbst gesehen, dass Keuchhustenfälle zugenommen haben. Die Ärzte und Gesundheitseinrichtungen berücksichtigten das. Es wurden mehr Fälle identifiziert, gezielt behandelt, Kontaktfälle erhielten eine Prophylaxe, Personen mit fehlendem Impfschutz wurden Auffrischungsimpfungen angeboten. Innerhalb von drei Monaten sank der Anteil von Keuchhusten an den respiratorischen Infekten in der von uns untersuchten Gruppe von 8 % auf unter ein Prozent. Es hat sich also ausgezahlt, die Situation zu überwachen. Man kann auch und vor allem Mitarbeiter medizinischer Einrichtungen gezielt schützen und dafür sorgen, dass es in den Sanitätsstrukturen zu weniger Ausfällen kommt.
Interview: Markus Rufin
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Kommentare (1)
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kritischerbeobachter
Wie bei jeder Grippe, bis eine neue kommt.