Der Vogelnest-Prozess
Der Landtagsabgeordnete Jürgen Wirth Anderlan hat Aussichten, im Verleumdungs-Strafverfahren zu despektierlichen Aussagen über Landtagspräsidentin Rita Mattei freigesprochen zu werden. Wie er sich verteidigt.
von Thomas Vikoler
Jürgen Wirth Anderlan ist es mittlerweile gewohnt, am Bozner Landesgericht aufzutreten – diesmal allerdings ohne Anhängerschaft aus der NoVax-Szene. Seitdem er in den Landtag eingezogen ist, scheint der Ex-Schützenkommandant etwas an Militanz verloren zu haben, er wirkt weniger kämpferisch als sonst.
Aber immerhin muss er eine weitere Vorverhandlung in einem Strafverfahren bestreiten, in dem er wegen Rufschädigung und Verletzung der Ehre eines „politischen Körpers“ angeklagt ist. Letzter bezieht sich auf Ex-Landtagspräsidentin Rita Mattei, die als Amtsträgerin Strafanzeige gegen Wirth Anderlan erstattet hatte. Laut der gestrigen Aussage des Beschuldigten am Rande der Verhandlung sei die Initiative dafür vom Landtag ausgegangen und nicht von Mattei selbst. „Dies hat sie mir in einem persönlichen Gespräch klargestellt“, behauptet der JWA-Abgeordnete.
Die Luft aus diesem Verfahren scheint, auch dank des Endes der Corona-Pandemie, etwas raus zu sein.
Dennoch: Was Wirth Anderlan am 22. Jänner 2022 auf Facebook gepostet hat, war ziemlich despektierlich. Er spielte darin auf die Erscheinung der Landtagspräsidentin an, nannte sie „Präsidentin für Vogelnester“ und stellte die Frage: „War der Lockenstab zu heiß oder das Blondierungsmittel zu hochkonzentriert?“ Weiters schrieb der NoVax-Aktivist: „Ich könnte sie mir gut als Schlaftabelettenverkäuferin oder als Puppe in unserer Obstwiese während der Erde vorstellen“.
Neben einem Foto der Präsidenten hieß es außerdem: „Zweigen wir dieser Klomper, dass wir weiterhin friedlich unsere Rechte einfordern“.
In einer schriftlichen Stellungnahme an Vorverhandlungsrichterin Elsa Vesco (eine beantragte Einvernahme kam bei der gestrigen Verhandlung nicht zustande), bezeichnet der Beschuldigte den Post als von „starker Ironie/Sarkasmus geprägt“ sei. So etwas müsse in einem Rechtsstaat an die Adresse von Amtsträgern erlaubt sein.
Gleichzeitig betont Wirth Anderlan, dass es sich um eine „sofortige Reaktion“ auf eine falsche Anschuldigung Matteis gehandelt habe.
Diese hatte am selben Tag in einer Pressemitteilung zur Zusendung von Patronenhülsen an die Landeshauptleute Maurizio Fugatti und Arno Kompatscher und die Tageszeitung „Alto Adige“ Folgendes erklärt: „Ich bringe meine große Bestürzung über die Beweggründe der Urheber der Drohung zum Ausdruck, die offenbar von NoVax-Kreisen herrührt: Es ist äußerst bedenklich, dass man sich gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der aktuellen Pandemie zu so schwerwiegenden Aktionen hinreißen lässt.“ Und weiter: „Es ist verwunderlich, dass Menschen auf die Straße gehen, um ihre Freiheit zu verteidigen, andererseits Presse und politische Vertreter bedrohen“.
Die Absender der Patronen wurden bisher nicht ermittelt, insofern stellt die Lenkung des Verdachts auf die NoVax-Szene tatsächlich eine Unterstellung einer Straftat dar, was Wirth Anderlan nicht auf sich sitzen lassen wollte. In seiner Stellungnahme an das Gericht schreibt er, er habe als „Messias der Südtiroler NoVax-Bewegung“ (ein Zitat aus der TAGESZEITUNG) auf diese Art der „Kriminalisierung“ reagieren müssen.
Warum er ausgerechnet Matteis Frisur mit in die Debatte hat hineinziehen müssen, erklärt er in seiner Stellungnahme nicht.
Ob Wirth Anderlan mit seinem Post Straftaten begangen hat, das wird sich auf der nächsten Verhandlung am 4. April zeigen. Sein Anwalt Nicola Canestrini hat gestern ein verkürztes Verfahren beantragt, Mattei hat sich über ihren Anwalt Angelo Polo als Nebenklägerin in den Prozess eingelassen.
Aussichten auf einen Freispruch – so wie im Verfahren zu den Corona-Spaziergängen – bestehen durchaus, zumal beide Seiten, gelinde gesagt, die Grenzen des Erlaubten ausgetestet haben.
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