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„Müssen uns der Geschichte stellen“

Bischof Ivo Muser

Bischof Ivo Muser zum neuen Jahr: Was er zur Segnung von homosexuellen Paaren sagt, was er mit der Missbrauchsstudie bezwecken möchte und wie es mit dem Kloster Säben im kommenden Jahr weitergeht.

Tageszeitung: Herr Bischof, welche Erwartungen und Wünsche haben Sie im kommenden Jahr für die Kirche in Südtirol für das neue Jahr?

Bischof Ivo Muser: Kirche hat die Aufgabe, zum Kitt unserer Gesellschaft beizusteuern. Menschen sollen nicht auseinanderdividiert, sondern zusammengeführt werden. Das heißt für mich verschiedene Meinungen und Positionen so miteinander zu verbinden, dass wir uns in die Augen schauen könne. Das Gemeinsame muss über das Trennende stehen. Wir müssen nicht das Gleiche denken – weder gesellschaftlich noch in der Kirche. Der Kitt in unterschiedlichen Zusammenhängen darf aber nicht abhandenkommen. Das ist für mich die ständig neue Aufgabe der katholischen Kirche, die weltweit denkt. Das ist für mich sehr schön. Dafür zu leben und zu arbeiten, ist aber schwieriger geworden.

Unterschiedliche Meinungen gibt es beispielsweise auch zum kürzlich unterschriebenen Dokument des Papstes zur Segnung von Homosexuellen und anderen Menschen, denen der Segen vorher enthalten werden konnte. Wie bewerten Sie diesen Schritt?

Genau hier wird Polarisierung deutlich. Das Dokument legt einen starken Akzent auf Differenzierung. Es gibt differenzierte Formen von Segen mit einem pastoralen Zugang zur Wirklichkeit. Das ist das eigentliche Anliegen des Dokumentes. Menschen sollen ernst genommen werden und wenn es ihnen ernst ist, soll ihnen von Gott her ein gutes Wort zugesprochen werden. In dieser Rücksicht tut das Dokument der Praxis der Kirche gut. Wenn ich nicht zur Differenzierung bereit bin, weil ich der Ansicht bin, dass die Kirche alle Lebensformen auf die gleiche Ebene stellen sollte, sieht man das Dokument kritischer. Persönlich bin ich sehr angetan von dieser differenzierten Sicht von Segen. Ich hoffe, dass es uns vor allem in der pastoralen Praxis hilft, das ist nämlich etwas Neues.

Ein wichtiges Jahr steht auch für das Kloster Säben an. Nachdem einige Ordensleute für ein paar Wochen dort waren, soll im Frühjahr die Entscheidung der Zisterzienser über einen möglichen Einzug fallen. Wie ist Ihr Gefühl? Wird das Kloster neu belebt?

Sie haben mir rückgemeldet, dass sie eine positive Erfahrung gemacht haben. Sie hätten sich nicht vorgestellt, dass Säben für so viele Südtiroler einen so großen Symbolwert hat. Sowohl bei den Messen als auch beim Stundengebet kamen Leute ins Kloster. Sie werden nun ihre internen Überlegungen anstellen. Sie müssen wissen, ob sie es schaffen und wie sie das Kloster führen. Die Diözese hat dazu bereits alles gesagt und getan, jetzt liegt es nur an ihnen. Ich bin zuversichtlich und habe ihnen Mut gemacht zu einem kleinen Beginn, daraus kann etwas wachsen. In dieser Hinsicht bin ich zuversichtlich, dass es klappt. Vielen Leuten ist es wichtig, dass im Kloster wieder ein Licht brennt. Bis Ostern müssen wir auf die Entscheidung warten.

Ein Thema, dass die Kirche seit Jahren beschäftigt, sind die Missbrauchsvorfälle. Sie haben eine Münchner Anwaltskanzlei mit einer Studie beauftragt. Was erwarten Sie sich von dieser Studie? Und was war der Grund dafür?

Es geht darum, uns unserer Geschichte zu stellen und daraus zu erkennen, was wichtig ist und wo es deutliche Prävention braucht. Was geschehen ist, kann nicht ungeschehen gemacht werden. Jeder Fall ist nicht nur einer zu viel, sondern viel zu viel. Die Studie soll uns zeigen, worauf wir aufpassen müssen. Es geht nicht darum, draufzukommen, wer was gemacht hat, es geht um eine Mentalitätsveränderung. Wenn es Missbrauch in diesen schlimmen Formen gegeben hat, ist das nicht mit der Botschaft Jesu vereinbar. Als Ausgangspunkt dient das Jahr 1964, weil es die Entstehung der heutigen Form der Diözese ist. Ich wünsche mir, dass viele eingebunden werden und viele die Schritte mitgehen, hoffe aber auch, dass es eine Signalwirkung für die gesamte Gesellschaft hat. Missbrauch ist nicht nur eine Wunde in der Kirche. Auch das Kinderschutzzentrum in Rom ist eingebunden. Ich bin jedenfalls froh darüber, dass wir als Diözese einen Weg zurückgelegt haben, mit dem viele einverstanden ist. Die Entscheidung ist durch alle Gremien gegangen.

Die Diözese Bozen-Brixen ist die erste, die in Italien eine solche Studie in Auftrag gibt. Warum haben Sie sich zum jetzigen Zeitpunkt dazu entschieden?

Das hat damit zu tun, dass wir einen Weg zurückgelegt haben. Wir waren die erste Diözese in Italien, die eine Ombudsstelle geschaffen hat, diese ist immer professioneller geworden. Wir brauchen jetzt nicht ein akademisches Ergebnis. Die Zeit ist reif gewesen, weil es einen großen Konsens gab. Ich habe zwar den Startschuss gegeben, aber ich werde nicht informiert, was dabei herauskommt. Sobald die Vorstellung stattfindet, bin ich im Publikum. Mir wird es übergeben, ohne dass ich darauf Einfluss nehme.

Die zwei großen Themen der Diözese bleiben der Priester- und Gläubigen-Mangel. Wie blicken Sie diesbezüglich auf die Zukunft?

Natürlich beschäftigt und herausfordert die Überalterung und die mangelnde Zahl an Priestern die Kirche. Das hat viel mit dem Gläubigen-Mangel aber auch mit der Gesamteinstellung von Kirche zu tun. Priester wird man nicht im Moment, das hat mit einem Lebensentwurf zu tun. Wir merken, dass wir alle im gleichen Boot sitzen, nirgendwo ist der Mangel so akut wie in Europa. Wir erleben hier ein starkes individualistisches Verständnis von Glauben und Kirche. Ich würde nie sagen, dass die Leute nicht mehr glauben, das stimmt nicht, aber es muss mir selbst entsprechen, was ich fordere, muss ich bekommen, wenn ich es nicht bekomme, lasse ich es. Da tut sich Kirche insgesamt schwer.

Sie haben im letztjährigen Gespräch gesagt, dass die Kirche kleiner geworden ist. Wie schafft sie es, größer zu werden und muss sie das überhaupt?

Die Kategorien kleiner und größer sind nicht am wichtigsten. Der Auftrag der Kirche ist es authentischer und missionarischer zu werden. Diesbezüglich bin ich hoffnungsvoll. Die katholische Kirche wird weder in Südtirol noch weltweit verschwinden. Es gibt zu viel an guter Botschaft, Bereitschaft und Menschen, die mitarbeiten. Wir ziehen uns nicht in unser Ghetto zurück. Wir wollen die Botschaft verkünden und Menschen erreichen, dabei dürfen wir uns nicht an den Zahlen festmachen. Die Urkirche war eine kleine Gruppe in einer sie bekämpfenden Umgebung und was ist darauf geworden? Wenn wir heute die Briefe des Apostels Paulus an die verschiedenen Gemeinden lesen, vergessen wir, dass er nicht Heerscharen hinter sich hatte. Die wenigen Menschen hatten aber ein großes Bewusstsein, Christus entdeckt zu haben. Diesen haben sie in die Welt gesagt und daraus ist letztlich Weltkirche geworden. Ich will nicht kleiner werden, aber der Prozess hat damit zu tun, dass wir uns mit unseren Wurzeln konfrontieren müssen. Wir müssen nicht nur zahlenmäßig stark sein, es geht darum, dass wir unseren Beitrag leisten. Mich beschäftigt also Identität und Dialog. Ohne Identität bin ich nicht zum Dialog fähig. Ich sehe in der Entwicklung keinesfalls einen Abbruch. Gleichzeitig müssen wir uns von einer bestimmten Sicht verabschieden: Wir kommen aus einer Zeit, in der Südtirol deckungsgleich katholisch war. Das ist nicht mehr so. Wir dürfen uns aber nicht zurückziehen.

Interview: Markus Rufin

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Kommentare (4)

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  • pingoballino1955

    Segen für gleichgeschlechtige PAARE jetzt plötzlich ja,aber Heirat und LIEBE trotzdem noch Sünde??? Missbrauchsfälle bis jetzt NULL AUFARBEITUNG,Muser und d Co an Heuchelei nicht zu überbieten ,Papst idem.Ist es euch nicht zu blöd Gläubige so zu verblödeln????

  • opa1950

    Mache es kurz.Muser möchte vor der eigenen Tür kehren. Die Menschen flüstern schon.

  • gerhard

    Man muss schon wissen, Muser ist ein Priester.
    Ein Bischof aus dem konservativen Lager.
    Weltfremd und verblendet von der Macht der Kirche.
    Einer Macht, die es „Gott sei Dank“ nicht mehr gibt!

    Aber man muss aber auch, wenn man fair bleiben möchte, schon anerkennen, das mit der jetzigen Beauftragung der Münchner Anwaltskanzlei Westpfahl-Spilker-Wastl in Zusammenarbeit mit der Anwaltskanzlei Kofler-Baumgartner-Kirchler & Partner aus Bruneck Muser doch das getan hat, was immer von ihm gefordert wurde.-Transparenz und Aufklärung von neutraler Seite.

    Klar, er kann ja nicht zugeben, dass seine Kirche ein Auslaufmodell ist.
    Sonst ginge ja sein ganzes Verständnis von Kirche als Geschäftsmodell „moralische Instanz“ zum Teufel.

    Ich denke aber auch, er ist intelligent genug, um zu erkennen, das ohne das ehrliche Aufarbeiten dieser widerwärtigen Sauereien an Kindern und Jugendlichen die Kirche noch vollens den Bach hinunter gehen wird.

    Ich halte das auch für elementar wichtig, um die vielen ehrlichen, anständigen, herzensguten und treuen Glaubensleute, ob Mönch, Nonne oder Priester, von diesem häßlichen Generalverdacht zu befreien.
    Wie müssen diese liebenswerten und unschuldigen Menschen leiden, wenn Priester in einem Satz mit Kinderschändern genannt werden!
    Lasst Ihn halt mal machen.
    So lange er uns mündigen, aufgeklärten und (in meinem Fall, gänzlich) ungläubigen Menschen nicht vorschreiben will, was wir zu tun haben, darf er doch seine Märchen verbreiten.
    Das deckt die freie Meinungsäußerung

    • pingoballino1955

      Die Frage ist nur ,warum hat Muser diese Inanspruchnahme der Anwälte und ihren Sozietäten bewusst so lange verhindert.Bin ohnehin überzeugt da kommt nichs raus,die haben sich sicher jemanden ausgesucht der weiss wie was geht!

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