Die tickende Bombe
Neuer Paukenschlag im Südtiroler Masken-Skandal: Der Sanitätsbetrieb muss 2,5 Millionen Euro an Mehrwertsteuer und Zollgebühren für die erste OberAlp-Lieferung nachzahlen.
von Artur Oberhofer
Jetzt tritt genau das ein, was die Anwälte der Protagonisten des Südtiroler Masken-Skandals stets befürchtet haben: Nicht so sehr auf der strafrechtlichen Ebene droht ihren prominenten Mandanten Ungemach. Gefährlich – und davon kann auch Alt-Landeshauptmann Luis Durnwalder ein Liedchen singen – ist, wennschon, der Rechnungshof.
Und jetzt betritt mit dem Zollamt Bozen noch ein weiterer Akteur, der Geld will, die Bühne.
Um was geht es?
Der Sanitätsbetrieb kommt nicht zur Ruhe. Zuerst hat es der Ex-Generaldirektor des Sanitätsbetriebes, Thomas Schael, mit einer Eingabe am Verwaltungsgericht geschafft, seinen Nachfolger Florian Zerzer aus dessen Drehstuhl zu kippen.
Dann wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft am Rechnungshof (wegen der gravierenden Unregelmäßigkeiten bei der ersten OberAlp-Lieferung) von sieben leitenden Sabes-Managern und -Funktionären die erkleckliche Summe von 6,7 Millionen Euro zurückfordert.
Und jetzt tickt, wie Salto.bz zuerst berichtet hat, eine weitere Zeitbombe in den Aktenschränken des Sanitätsbetriebes. Das Zollamt Bozen fordert nämlich für die erste OberAlp-Lieferung vom Sanitätsbetrieb Südtirol die Nachzahlung von 2.562.034,34 Euro.
Über die Existenz diese hochbrisanten Erhebungsprotokolls, das der TAGESZEITUNG vorliegt, haben sich die Verantwortlichen im Sanitätsbetrieb bislang ausgeschwiegen.
Die Fakten: Mitte März 2020 kauft der Südtiroler Sanitätsbetrieb über den Sportartikel-Konzern OberAlp und dessen Partner-Unternehmen Tutwo Ltd in China 1,5 Millionen Atemschutzmasken und 430.000 Schutzanzüge um 9.302.000 Euro.
Der Global Player OberAlp finanziert diesen Deal nicht nur vor, es diktiert auch die Vertragskonditionen. So legt OberAlp-CEO Christoph Engl von Beginn an fest, dass diese Ladung am Flughafen in Xiamen an den Sanitätsbetrieb übergegen wird und dieser dann als Importeur nach Europa und Italien aufscheint. Der Hintergrund dieses Engl-Dehs: Für Waren aus China müssen die Importeure sowohl die Mehrwertsteuer entrichten als auch die Zollgebühren bezahlen. Doch in der Hochphase der Corona-Epidemie gibt es eine Sonderbestimmung. Schutzbehelfe oder medizinische Güter, die vom italienischen Zivilschutz, dem italienischen Roten Kreuz, anderen staatlichen Stellen oder Institutionen, die in der öffentlichen Sanität und im Auftrag derselben tätig sind, importiert werden, sind sowohl von der Mehrwertsteuer als auch vom Zoll befreit.
In allen offiziellen Dokumenten scheint, also, der Südtiroler Sanitätsbetrieb als Importeur der Ware auf.
Die einzige Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Steuer- und Zollbefreiung: Die Masken und Schutzanzüge müssen vom Istituto Superiore della Sanitá (ISS) oder vom INAIL positiv begutachtet werden.
Als Christoph Engl, der eitle OberAlp-CEO, der das Familienunternehmen fast in den Ruin geschickt hat, am 25. September 2020 vom Masken-Untersuchungsausschuss des Landtages angehört wird, fragt ihn der Abgeordnete Diego Nicolini, warum OberAlp die Waren selbst importiert hat.
Christoph Engls Antwort:
„Dafür gab es mehrere Gründe. Erstens, weil wir dazu nicht befugt gewesen wären, zweitens, weil wir den Zoll hätten erledigen müssen, und drittens, weil der Importeur immer Sabe swar, so dass alle Papiere für all diese Waren, die aus China kamen, bei Sabes liegen, das vom Zoll befreit und auch zur Einfuhr befugt ist.“
Das Problem dabei: Der Sanitätsbetrieb hat vorher noch nie etwas aus dem Ausland importiert. Deshalb haben die Ämter keinerlei Erfahrung und Ahnung, wie man diese Dinge beim Zollamt abwickelt (Christoph Engl: „Für Sabes war der Begriff Zollabfertigung ein Begriff, den man noch nie gehört hatte“).
Auch hier springt deshalb OberAlp logistisch in die Bresche.
Im Auftrag von OberAlp wickelt eine Trentiner Firma die Zollformalitäten für den Sanitätsbetrieb ab.
Die Bozner Zollagentur prüft und kontrolliert die OberAlp-Ware und gibt am Ende grünes Licht für den gebührenlosen Import ohne Mehrwertsteuer.
Doch laut den geltenden Bestimmungen hat das Zollamt drei Jahre Zeit, um Nachkontrollen durchzuführen und Beanstandungen zu machen.
Genau das ist nun passiert. Zum Leidwesen des Sanitätsbetriebes und zum Leidwesen von OberAlp.
Die mit den Ermittlungen im Südtiroler Masken-Skandal betraute Carabinieri-Sondereinheit NAS prüft auch die Zoll-Dokumentation und teilt dem Zollamt in der Folge mit, dass die über OberAlp importierten Schutzbehelfe weder vom INAIL noch von der Obersten Sanitätsbehörde des Staates (ISS) ein positives Gutachten bekomme hätten.
Genau das wäre aber die Grundvoraussetzung für die Befreiung von den Zollgebühren gewesen.
Bereits am 28. Juni 2021 schickt das Zollamt Bozen ein offizielles Erhebungsprotokoll an den Generaldirektor des Sanitätsbetriebes Florian Zerzer, in dem beanstandet wird, dass der Sanitätsbetrieb der Zollwache weder mitgeteilt habe, dass es für die aus China eingeführte Ware kein positives INAIL-Gutachten gibt, noch, dass die Ware auf Anweisung der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt worden ist.
In dem Protokoll fordert die Zollwache deshalb vom Sanitätsbetrieb die Zahlung von 1.695.242,45 Euro an Mehrwertsteuer und von 744.432,92 Euro an Zollgebühren.
Einen Monat später antwortet Generaldirektor Florian Zerzer mit einem Verteidigungsschriftsatz. Doch dieser überzeugt die Zollämter nicht. Im Gegenteil: Am 15. September 2021 wird dem Sanitätsbetrieb ein neues Vorhalteprotokoll zugestellt, in dem die Gesamtforderung plus Verzugszinsen auf 2.562.034,34 Euro erhöht wird. Am nächsten Tag folgt eine weitere Beanstandung der Zollwache und ein Strafbescheid von zusätzlichen 30.000 Euro.
Spätestens jetzt bekommen Florian Zerzer, dessen Verwaltungsdirektor Enrico Wegher und Abteilungsdirektor Renato Martinolli kalte Füße. Über eine Mailänder Rechtsanwältin reichen sie einen Rekurs bei der Steuerkommission ersten Grades ein.
Kostenpunkt des Rekurses: 30.000 Euro.
Der Rekurs wird nicht behandelt, weil die Zollagentur am 1. Dezember 2021 das Vorhaltungsprotokoll und die Forderungen „vorläufig“ aussetzt, und zwar wegen der Herausforderungen, denen der Sanitätsbetrieb infolge der Corona-Pandemie ausgesetzt ist.
Die Zollagentur verlangt vom Sanitätsbetrieb aber eine Bankbürgerschaft, um die Forderungen finanziell abzusichern.
Corona ist Geschichte. Florian Zerzer ebenso. Nicht aber die Forderung der Zollagentur.
Nachdem die Staatsanwaltschaft am Rechnungshof aktiv geworden ist, wird nun auch die Zollagentur dem Sanitätsbetrieb die 2,5-Millionen-Rechnung präsentieren.
Kommentare (22)
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