„Zu große Erwartungen“
Von Besinnlichkeit keine Spur: Für viele Familien bedeutet Weihnachten Dauerstress. Der Psychologe Stefan Eikemann erklärt, warum vor allem Mütter in der Weihnachtszeit so unter Druck stehen. Und: Warum im Jänner die Anfragen bei der Familienberatungsstelle steigen.
Tageszeitung: Herr Eikemann, eigentlich sollte die Vorweihnachtszeit besinnlich sein, aber für immer mehr Mütter bedeutet sie einfach nur Dauerstress. Warum ist das so? Und wird es eigentlich jedes Jahr schlimmer?
Stefan Eikemann (Direktor der Familienberatung Fabe): Für die Mütter bedeutet diese Zeit vor allem deswegen Dauerstress, weil zu Weihnachten diese klassische Rollenverteilung zwischen Frauen und Männern noch stärker ist. Die Mütter kümmern sich um die Kekse, meist um die Weihnachtsgeschenke, die Dekoration usw. – sie fühlen sich verantwortlich dafür, dass es ein Weihnachten wird, wo die Beziehungen gut sind, wo die Kinder das bekommen, was sie sich wünschen, dass all das passt, was Familie an Weihnachten ausmacht.
Dass es jedes Jahr schlimmer wird, hat u.a. damit zu tun, dass der Stress das ganze Jahr über grundsätzlich zunimmt – man hat immer mehr zu tun, alle Aufgaben werden bürokratischer, um etwas zu erledigen braucht man immer länger. Der Druck nimmt einfach grundsätzlich zu.
Viele haben von Weihnachten ein Bild im Kopf, dass alles passen muss. Setzt man sich dadurch selbst unter Druck?
Dieser Perfektionismus spielt sicher eine große Rolle: Wir haben alle große Erwartungen an Weihnachten und konkrete Vorstellungen, wie dieses Fest auszusehen hat. Jeder hat zudem auch eine Vorstellung, was der andere an Weihnachten zu erwarten hat und all diesen Erwartungen gerecht zu werden, ist nicht einfach.
Gleichzeitig geht es auch immer stärker darum, das Budget nicht aus den Augen zu verlieren – was bei den hohen Preisen nicht ganz einfach ist. Eine zusätzliche Belastung?
Es ist sicher nicht einfacher geworden, wir sprechen hier von einem Stress, den schätzungsweise ein Drittel der Bevölkerung mittlerweile hat.
Steigt die Zahl der Mütter, die sich einfach nur ausgebrannt fühlen – auch aufgrund der Doppelbelastung zwischen Familie und Beruf?
Die Doppelbelastung steigt definitiv, nicht nur für Mütter, sondern auch für Väter, aber sicher vor allem für Mütter. Der innere Stress ist ganz sicher größer geworden.
Laufen deswegen in der Vorweihnachtszeit auch bei der Familienberatung die Telefone heiß?
Es ist weder in der Vor- noch der Nachweihnachtszeit, sondern vielmehr an Weihnachten selbst, dass die Konflikte zunehmen. Das merken wir nach Weihnachten an den Anrufen, wenn gewisse Konfliktsituationen aus dem Ruder gelaufen sind. Gerade Erziehungsfragen und Paarkonflikt-Anfragen sind im Jänner deutlich häufiger.
Also ist das Konfliktpotential an Weihnachten höher als unterm Jahr?
Während wir uns das ganze Jahr über in einem Rad drehen, hat man an Weihnachten die Erwartung, viel Zeit mit der Familie zu verbringen. Manche Paare sagen das ganze Jahr über, dass sie ein gutes Team sind – das kling nicht wirklich nach einer guten Paarbeziehung, sondern nach gemeinsamer Arbeit. Und an Weihnachten soll es plötzlich nicht nur darum gehen, dass wir die Sachen gut abwickeln, sondern wir wollen uns auch ausruhen, es soll ein gutes Gefühl entstehen. Und das scheitert genau dann, wenn man dieses Gefühl das ganze Jahr über nie hat.
Haben die Anfragen bei der Familienberatung in den letzten Jahren insgesamt zugenommen?
Die Anfragen nehmen von Jahr zu Jahr zu. Wir konnten mit Covid Veränderungen feststellen und sehen mittlerweile auch, dass die einfacheren Probleme oft bei den Hausärzten landen, während bei uns deutlich schwierigere Problematiken vorstellig werden. Die Schwierigkeit und Komplexität der Problematiken hat eindeutig zugenommen und da wir auch Wartezeiten haben, ist das sicher keine einfache Situation. Wir bemühen uns natürlich die Wartezeiten zu verkürzen, aber das ist angesichts der Komplexität der Problematiken nicht ganz so einfach.
Was kann man tun, damit diese schöne und besinnliche Zeit im Jahr auch wirklich gut in Erinnerung bleibt?
Ich glaube das Wichtigste ist, dass man sich im Dezember nicht zu viel vornimmt und die eigenen Erwartungen etwas zurückschraubt. Vielleicht ist es auch manchmal besser zu überlegen, was die anderen wirklich wollen und nicht darüber nachzudenken, was sie sich vielleicht erwarten. Und wenn jeder darauf achtet, wie es dem anderen geht, kann Weihnachten sicher angenehmer werden.
Interview: Lisi Lang
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Kommentare (2)
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olle3xgscheid
Vor allem die Mütter… also langsam reichts, vielleicht mal NEIN sagen
romy1988
Die Vorbereitungen zum Weihnachtsfest sind tatsächlich zum Dauerstress geworden. Wer es sich leisten kann, verbringt stattdessen eine Woche in der Karibik.