„ … sonst ziehe ich die Reißleine“
LH Arno Kompatscher findet es gut, dass die Menschen für Werte – die ganz nebenbei die Seinen seien – auf die Straße gehen. Er wundert sich nur, dass es Leute gibt, die glauben, er würde auch nur einen Zentimeter von seinen Positionen abrücken.
TAGESZEITUNG: Herr Landeshauptmann, zuerst die Kultur- und Kunstschaffenden, dann die Wissenschafter und die SUSIs … Es regt sich Widerstand gegen Ihre Koalitionspläne …
Arno Kompatscher: Zum Teil wohl auch mit etwas überzogenen Botschaften: Die Lega regiert seit 40 Jahren den Großteil der norditalienischen Regionen und hat in vielen römischen Regierungen zum Teil die wichtigsten Ministerien besetzt, Giorgia Meloni ist seit mittlerweile einem Jahr Ministerpräsidentin. Man kann jetzt nicht so tun, als würden wir alle Tabus brechen …
Tatsache ist, dass es Proteste gegen eine mögliche Rechts-Koalition gibt.
Dieser Protest ist legitim und gesellschaftspolitisch wichtig. Ich finde es gut, dass die Menschen für Werte auf die Straße gehen. Nicht nur nebenbei bemerkt: es sind dies ja auch meine Werte. Was mich aber überrascht, ist, dass die Leute glauben, dass ich bereit wäre, das, wofür ich in den letzten zehn Jahren gestanden habe, so einfach über Bord zu werfen. Ich stehe für ein weltoffenes, demokratisches, pluralistisches und nachhaltiges Südtirol. Und man darf bitte nicht vergessen: Die Anderen sind die Juniorpartner. Eine Zusammenarbeit wird sicher an Bedingungen geknüpft, wenn diese Bedingungen nicht gegeben sind, bin ich nicht mit dabei.
Klare Worte …
Noch einmal: Mich überrascht es, dass es Leute gibt, die glauben, dass ich bereit wäre, auch nur einen Zentimeter von den Werten, für dich ich seit 10 Jahren stehe, abzurücken. Ich stehe für gesellschaftspolitische Kontinuität. Wenn dies nicht möglich wäre, würde ich selbst sofort die Reißleine ziehen. Das kann ich übrigens jederzeit machen, denn Koalition heißt nicht, dass wir uns auf Gedeih und Verderb unseren Juniorpartnern ausliefern. Und wir haben in dieser Koalition mit 14 Abgeordneten der Mitte zu 5, die im rechten Spektrum anzusiedeln sind, eine klare Mehrheit.
Wir erklären Sie sich dann die Proteste?
Protestieren ist legitim. Was mir nicht gefällt, ist der Umstand, dass so getan wird, als würde jetzt in Südtirol der Totalitarismus ausbrechen und als wären die bürgerlichen Rechte in Gefahr. Und dies, nachdem ich seit 10 Jahren in halb Europa dafür bekannt bin, dass ich für eine offene, pluralistische Gesellschaft stehe und dafür arbeite. Vor diesem Hintergrund wundere ich mich über dieHeftigkeit der Proteste.
Auch innerhalb Ihrer Partei gibt es Leute, die die Nase rümpfen …
Ja, und ich weiß auch, dass viele Menschen diesmal mich und die Volkspartei gewählt haben, um solcherart zu verhindern, dass reaktionäre Kräfte ans Ruder kommen. Diese Menschen sind jetzt enttäuscht und glauben, auf das falsche Pferd gesetzt zu haben, das verstehe ich auch. Aber ich will der Garant sein für diese Menschen. Andererseits ist diese Situation auch die große Chance, in der SVP wieder Einigkeit herzustellen. Wir sind die Partei, die die Mitte vertritt, wir sind die Partei, deren Politik eindeutig mittig ist.
Sie sehen also keinen Rechtsruck?
Es liegt an uns, für Ausgewogenheit zu sorgen. Es stimmt, dass drei der vier Koalitionspartner dem rechten Spektrum angehören, aber diese haben gemeinsam insgesamt fünf Abgeordnete. Es liegt an uns, dafür zu garantieren, dass eine Koalition eine klare Ausrichtung der Mitte hat. Deswegen brauchen wir innerhalb der Volkspartei auch einen starken sozialliberalen Flügel, der bekanntermaßen für die Politik steht, die ich persönlich seit jeher verfolge.
Alles bleibt beim Alten?
Ich habe nicht im Sinn, irgendetwas an der Grundausrichtung zu ändern. Wir stehen für Nachhaltigkeit zu 100 Prozent, zum Klimaplan zu 100 Prozent, zu den Bürgerrechten zu 100 Prozent, die Idee eines kleinen Europa in Europa verfolgen wir zu 100 Prozent weiter. Im gegenteiligen Fall würde ich nicht den Landeshauptmann machen.
Das heißt: In einer Regierung, wo Kompatscher draufsteht, ist auch 100 Prozent Kompatscher drin?
Zu hundert Prozent! Andernfalls würde ich das nicht machen. Das ist mein Anspruch. Mir auch angesichts der aktuellen Entwicklung zu unterstellen, ich hätte kein politisches Bewusstsein, ist völlig ungerechtfertigt.
Sind Sie enttäuscht über die Proteste aus dem intellektuellen Lager?
Nein, ich bin nicht enttäuscht, ich sehe in den Menschen, die protestieren auch keine Gegner, denn die Werte, für die sie eintreten, sind ja meine Werte. Was mich überrascht, ist der Umstand, dass manche glauben, dass ich und die SVP Werte einfach leichtfertig über Bord werfen würden. Dagegen wehre ich mich vehement. Und Panikmache ist auch nicht angebracht. Denn die Koalition wird eindeutig eine Koalition der bürgerlichen Mitte sein, in der die SVP die eindeutige Mehrheit hat. Wir stellen ja allein mehr als doppelt so viele Abgeordnete als die anderen miteinander.
Welchen Eindruck haben Sie von den Koalitionsgesprächen?
Wir sind zeitlich bereits an einem guten Punkt. In den Arbeitsgruppen wurden fleißig gearbeitet. Jetzt gilt es, den – sagen wir mal so – sehr ambitionierten Wunschkatalog einem Realitäts-Check zu unterziehen …
Damit meinen Sie?
Mit Realitäts-Check meine ich zu schauen, was in welcher Zeit umsetzbar ist. Nehmen wir – um nur ein Beispiel zu nennen – den Bereich Schule: Es ist schön und gut, wenn es heißt, dass in allen Bereichen massiv aufgestockt werden soll. Das ist eine ambitionierte Ansage, nicht nur was die Kosten anbelangt, sondern man muss auch sehen, ob man genügend Personal überhaupt findet. Es gilt nun, also, im Rahmen einer Schlussredaktion alles in eine einheitliche Form zu gießen.
Das Gesprächsklima ist gut?
Ja, zum Beispiel im Bereich Sicherheit: Es hat mich positiv überrascht, dass wir bei diesem Thema sofort einen Konsens gefunden haben, nämlich: Sicherheit schaffen wir durch Inklusion und Integration. Wie kriegen wir die Leute in die Arbeit? Wir können wir ihnen Bildung angedeihen lassen? Wie unterstützen wir Familien in prekären Situationen?
Sie gehen davon aus, dass die Regierung bis Ende Jänner steht?
Ja, so wie dies in den letzten 50 Jahren auch immer der Fall war.
Wird es eine Präambel im Koalitionsabkommen geben?
Ja, es wird ein einleitendes Kapitel geben, in dem unsere Grundausrichtung und unsere Wertehaltung beschrieben werden. Aber auch bei den einzelnen thematischen Abschnitten kommen unsere Grundhaltungen zum Ausdruck. Etwa beim Kapitel Schule, da wird es ein Bekenntnis zu einer mehrsprachigen Gesellschaft und zugunsten der Förderung des Sprachenerwerbs geben.
Haben Sie schon entschieden, wie viele Mitglieder Landesregierung haben wird?
Nein, das wird noch Gegenstand der Verhandlungen sein. Jede Variante hat Vor- und Nachteile. Zuletzt hat es öfters geheißen, die Ressorts seien zu groß gewesen. In Trient regiert Maurizio Fugatti aufgrund der derzeitigen gesetzlichen Vorgaben mit einer kleinen Mannschaft. Aber er möchte das künftig ändern. Der Gesetzgeber bei uns sagt: Alles, was zwischen 8 und 11 ist, ist vernünftig. An diesen Rahmen, den uns der Gesetzgeber gegeben hat, werden wir uns halten.
Interview: Artur Oberhofer
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