„Die Zeit drängt“
Einer der leitenden Forscher am Klimaforschungszentrum der EURAC, Massimiliano Pittore kritisiert das Ergebnis der UN-Klimakonferenz und erklärt, was es für die Zukunft unseres Planeten bedeutet.
Tageszeitung: Herr Pittore, das abschließende Dokument der UN-Klimakonferenz bekam zugleich Lob und Kritik. Ist das Resultat historisch oder immer noch zu wenig?
Massimiliano Pittore: Der Text auf der 28. COP erarbeitet wurde, wird als derjenige in die Geschichte eingehen, in dem zum ersten Mal, seit fast 30 Jahren, ausdrücklich auf fossile Brennstoffe und die Notwendigkeit des Ausstiegs aus ihnen hingewiesen wird, ebenso wie auf die Notwendigkeit, ineffiziente Subventionen für fossile Brennstoffe auslaufen zu lassen. Gleichzeitig fehlt es dem Text an klaren, spezifischen und quantitativen Hinweisen, die notwendig wären, um die fortgeschritteneren Länder zu wirklich wirksamen Maßnahmen anzuspornen.
Es ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung, aber auch ein großer Kompromiss, der sicherlich von den enormen Interessen bestimmt wird, die auf dem Spiel stehen, nicht zuletzt von denen des COP-Präsidenten selbst und des Landes, das er vertritt. Ich wäre mit dieser Erklärung vielleicht zufrieden gewesen, wenn sie vor zehn oder auch nur fünf Jahren beschlossen worden wäre, aber jetzt ist die Dringlichkeit einer wirklich einschneidenden Maßnahme so groß, dass wir uns nicht mit allgemeinen Hinweisen zufrieden geben können. Andererseits heißt es in dem Dokument eindeutig, dass eine Senkung der Treibhausgasemissionen um 43 % bis 2030 und um 60 % bis 2035 (im Vergleich zu den Werten von 2019) erforderlich ist, um das Ziel von Paris einzuhalten. Dies ist völlig unvereinbar mit dem Tenor der nachfolgenden politischen Erklärungen, wenn man bedenkt, dass die Emissionen weltweit weiter ansteigen. (Leitender Forscher und Gruppenleiter der Gruppe „Klima und Katastrophenrisiko“ am Center for Climate Change and Transformation der EURAC).
Schlussendlich wurde sich auf der Klimakonferenz auf eine Abkehr von fossilen Brennstoffen und nicht auf einen Ausstieg geeinigt. Wo liegt hier der Unterschied und was bedeutet das konkret?
Der Unterschied besteht darin, dass der Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe nicht eindeutig als die wichtigste Maßnahme zur Verringerung der klimaschädlichen Emissionen bezeichnet wird, die erforderlich ist, um die Erreichung der Pariser Ziele bis 2050 zu ermöglichen. Dies wird wahrscheinlich bestenfalls zu einem viel langsameren Übergangsprozess führen, als zur Erreichung des Netto-Null-Ziels bis 2050 erforderlich ist. Dies wird weitgehend von den Intentionen vieler Länder geprägt, die beträchtlichen Gewinnspannen, die der derzeitige Markt für fossile Brennstoffe garantiert, nicht aufzugeben und sich ebenso wenig zur wirtschaftlichen Unterstützung weniger fortgeschrittener Länder zu verpflichten. Dies wiederum kann dazu führen, dass die negativen Folgen des Klimawandels deutlich zunehmen und somit auch die für die Anpassung erforderlichen Investitionen erheblich ansteigen.
Der Text ruft zu einer Verdreifachung der weltweiten Kapazitäten an erneuerbaren Energien bis 2030 auf. Kann und vor allem wird das Ihrer Meinung tatsächlich kollektiv umgesetzt?
Der Verweis auf den Anstieg der Kapazitäten zur Erzeugung erneuerbarer Energien ist sicherlich positiv, aber es fehlt ein genauer Bezug. Verdreifachung von welcher Ausgangslage? In Anbetracht der Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern in Bezug auf die installierten Kapazitäten und die Emissionen ist es möglich, dass diese Vorgabe uneinheitlich ausgelegt wird. Darüber hinaus ist die Anwendung der erneuerbaren Energien derzeit weitgehend eine Ergänzung und kein Ersatz für den Energieerzeugungsbedarf.
Auf welche erneuerbaren Energien wird ein besonderes Augenmerk gesetzt werden?
Im vorläufigen Text werden Wind- und Solarenergie ausdrücklich als die beiden erneuerbaren Technologien mit der größten Steigerung der installierten Kapazität und der deutlichsten Senkung der Kosten pro Energieeinheit genannt. Zweifellos werden diese erneuerbaren Energien auch im nächsten Jahrzehnt eine sehr wichtige Rolle spielen, obwohl sie notwendigerweise von der Einführung von Energiespeichersystemen und einer starken Steigerung der Energieeffizienz begleitet werden müssen.
Die im Dokument verwiesenen „Übergangsenergien“ beinhalten beispielsweise Erdgase. Ist das ein ernstzunehmender Kompromiss?
In dem Dokument wird auch ausdrücklich auf „Übergangskraftstoffe“ wie Flüssiggas (LNG) verwiesen, wobei davon ausgegangen wird, dass diese sicherer sein sollen als beispielsweise Kohle. Leider können auch diese Brennstoffe erheblich zu den Emissionen beitragen und ein weiteres Hindernis für eine Netto-Null-Umstellung bis 2050 darstellen. So kann die Verwendung von Erdgas ohne geeignete technische Maßnahmen zu erheblichen Methanemissionen führen, die das Klima stark beeinflussen. Das wird auch in dem Dokument selbst eingeräumt.
EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra spricht vom Anfang vom Ende der fossilen Energien. Ist es aus wissenschaftlicher Perspektive noch ein rechtzeitiger Anfang, um das 1,5 Grad Ziel einzuhalten?
Die Forschung ist sich seit langem darüber im Klaren, dass eine drastische Reduzierung der klimaschädlichen Emissionen notwendig ist, um den globalen Temperaturanstieg und die damit verbundenen Auswirkungen einzudämmen. Die Forschung hat auch deutlich gemacht, dass die Folgen des Nichterreichens dieses Ziels die sozialen, wirtschaftlichen und technologischen Kosten des Ausstiegs aus den fossilen Brennstoffen bei weitem übersteigen. Die Zeit drängt, und wie auch im COP-Papier erwähnt, haben wir bereits vier Fünftel des „Kohlenstoffbudgets“ aufgebraucht, das erforderlich ist, um eine mindestens fünfzigprozentige Chance zu haben, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.
Interview: Christian Frank
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