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Trotz Arbeit obdachlos

Foto: Rotes Kreuz

Das Rote Kreuz betreut mehr als 200 Obdachlose in den Notunterkünften in Bozen. Im Interview erklärt Präsident Manuel Pallua, ob die aktuellen Plätze reichen, warum trotz der eisigen Kälte einige Menschen nicht ins Winterquartier wollen – und warum knapp 25 Prozent der Bewohner trotz Arbeit obdachlos sind.

Tageszeitung: Herr Pallua, Anfang November hat Landeshauptmann Arno Kompatscher eine Verordnung für eine außerordentliche Winter-Notunterkunft in der Bozner Pacinottistraße unterzeichnet. Wurde diese Struktur mittlerweile eröffnet? 

Manuel Pallua (Präsident des Roten Kreuzes in Südtirol): Die Struktur ist bereits seit zwei Wochen aktiv und wurde damit früher geöffnet als ursprünglich geplant, weil die Freiwilligen und Handwerker sehr engagiert und solidarisch waren und teilweise abends gearbeitet haben.

Konnte die Warteliste dank dieser neuen Struktur abgebaut werden?

Ja, aber die Situation kann sich Tag für Tag, Woche für Woche ändern.

Könnte man die Plätze in der Pacinottistraße noch einmal erweitern, sollte der Bedarf bestehen? Ursprünglich war von rund 200 Schlafplätzen die Rede…

Die Kapazität liegt theoretisch bei 200 Personen. Wir haben die Struktur vorerst für 150 Personen vorbereitet, aber wenn es noch weitere Plätze brauchen würde, könnte man die Plätze erweitern, müsste dann aber vielleicht noch einen Container mit Duschen und WC organisieren.

Wer sind die Menschen, die in den Notquartieren Zuflucht finden? 

Die meisten Bewohner kommen aus Bangladesch, Afghanistan, Marokko, Pakistan und Tunesien – nicht alle sind Flüchtlinge, die Aufenthaltstitel sind verschiedene. Es übernachten auch einige wenige Italiener in den Winterquartieren. Der älteste Bewohner wurde 1954 geboren und rund 25 Prozent der Obdachlosen sind Arbeiter – in der Pacinottistraße sind es 30 von 130 Personen. Aufgrund der Immobiliensituation in Südtirol finden diese Personen aber trotz Arbeit keine Wohnung.

Diese Bewohner haben also einen Arbeitsvertrag in Südtirol, leben aber trotzdem auf der Straße?

Sie arbeiten in verschiedenen Sektoren in Südtirol, schlafen im Sommer unter der Brücke oder an einem geschützten Ort, im Winter suchen sie aber um einen Platz in den Strukturen an. Sie möchten natürlich eine Wohnung haben, aber sie finden einfach nichts und wenn sie etwas finden sollten, ist die Miete meist so hoch, dass sie es sich einfach nicht leisten können.

Auch wenn noch Plätze zur Verfügung stehen würden, sieht man nach wie vor Menschen auf der Straße, auch im Winter. Warum? 

Es gibt Obdachlose, die aus verschiedenen Gründen entschieden haben, obdachlos zu bleiben. Wir, aber auch andere Organisationen, haben diese Menschen auf der Straße mehrfach angesprochen, aber es gibt Personen, die nicht in eine Struktur gehen wollen. Sie werden von uns dann dennoch versorgt mit Decken und warmen Essen, sie können auch die Tagesstruktur im Ex-Alimarket besuchen, aber sie wollen nicht weg.

Warum denn? 

Die Gründe sind verschiedene: Einige haben Angst, dass sie ihren Platz verlieren, wenn sie mehrere Monate weggehen. In den Strukturen gibt es aber auch Regeln, die einzuhalten sind – und wenn jemand z.B. ein Suchtproblem hat, egal ob Alkohol oder Drogen, und diese Substanzen in den Strukturen nicht konsumieren darf, dann ist das für einige ein Problem, weshalb sie leider auf der Straße bleiben – mit dem Risiko, dass es bei diesen kalten Temperaturen auch zu schweren Fällen kommen kann.

Die Unterbringung von Obdachlosen im Winter ist jedes Jahr aufs Neue ein großes Thema und es braucht immer Ad-hoc-Entscheidungen, um die Leute von der Straße zu holen. Wie kann man dieses Problem Ihrer Meinung nach langfristig lösen? 

Es wäre einfach wichtig für alle – für die Obdachlosen und auch die Organisationen – dass eine definitive Struktur gefunden und wir heuer schon wissen, dass diese Struktur nächstes Jahr wieder geöffnet wird. Wo diese Struktur geöffnet wird, entscheiden aber nicht wir, wir stehen zur Verfügung, um mitzuhelfen. Aber unser Wunsch wäre, dass man eine definitive Lösung findet.

Funktionieren so große Strukturen wie im Ex-Alimarket oder die Pacinottistraße aber überhaupt oder nehmen mit der Größe auch die Probleme zu? 

Das kommt auf die Struktur an: Das Ex-Alimarket ist eine große Struktur, aber eine ehemalige Lagerhalle, und die Unterbringung der Personen ist schwierig, weil man keine Privacy hat. Und aufgrund der Probleme und Schwierigkeiten, die die verschiedenen Nationalitäten auch wegen der Kriege in ihren Heimatländern haben, kann es zu Konfliktsituationen kommen. Die Einrichtung in der Pacinottistraße hingegen ist ein ehemaliges Bürogebäude und deswegen haben wir viele kleinere Zimmer für bis zu sechs Personen – und es ist schon ein Unterschied ob sechs oder 30 Personen zusammen untergebracht sind. Organisatorisch gibt es Vor- und Nachteile: Eine kleine Struktur mit weniger Personen ist natürlich einfacher zu organisieren, gelichzeitig ist eine größere Struktur für uns einfacher, weil man Ressourcen optimieren kann.

Interview: Lisi Lang

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (4)

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  • pingoballino1955

    Eine Schande für das REICHE SÜDTIROL Frau Deeg und Kompatscher und Co.SCHÄMT EUCH FÜR SOLCHE ZUSTÄNDE!!!!

  • brutus

    Das Problem ist, dass sich die oberen Zehntausend sich immer mehr bereichern!
    Lebensmittel, Wohnung ect. sind in Südtirol am teuersten! Brot zum Beispiel fast 7 € für 1kg Semmeln,
    3, 50 für 250 g Butter!
    …das gibt’s nur im „reichen“ Südtirol!

  • andreas1234567

    Hallo zum Abend,

    man kann nicht immer und immer wieder Obdachlosenzeitungsverkäufer und Spülhilfen in Spelunken als Arbeiter verkaufen.

    In D gibt es übrigens die amtliche Bezeichnung „nicht wohnfähig“ , das sind Personen die keinen geregelten Tagesablauf hinbekommen wegen Drogenproblemen und Psychosen.

    Das grösste Problem ist aber das komplett nach den Mietern ausgeuferte Mietrecht, jeder Vermieter welcher solchem Personenkreis „eine Chance geben will“ hängt sich hin.

    Da braucht es so etwas wie eine „Chancenvermietung“, solchen Personen einen Mietvertrag zu gewähren und den meinetwegen nach 6 oder 12 Monaten ohne Grund kündigen zu können mit durchsetzbarer Räumung binnen 3 Tagen.

    Ist in D genauso ausgeufert und wenn ich ein Mehrparteienmietobjekt hätte würde ich einen Teufel tun und eine intakte Wohngemeinschaft gefährden um auch noch den letzten Dachquadratmeter zu vermieten.

    Bei allem Respekt vor den Ehrenamtlichen welche sich für diese armen Teufel abmühen aber ich bitte um Verständnis wenn ich keinen der angepriesenen Schützlinge als Nachbarn oder Mieter haben will, das Risiko sich sein Leben damit zu versauen ist einfach zu gross.

    Auf Wiedersehen in Südtirol

    • pingoballino1955

      Andreas 12234…..du hast dir dein Leben schon versaut,alles Gute! Bleib in D und belästige uns Südtiroler.innen bitte nicht mit deinen AFD Kommentaten dass du EGOIST bist das versteht sich von selbst.

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