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„Große Neuerungen fehlen“

Tageszeitung: Herr Tappeiner, die Regierung Meloni hat ein Gesetz verabschiedet, wonach der Oberste Richterrat in Rom in Zukunft die Leistungen von Richtern und Staatsanwälten in Italien bewerten muss. Welches Ziel wird damit verfolgt?

Stefan Tappeiner: Es ist herauszustellen, dass die Bewertung von Richtern keine Neuigkeit ist. Eine solche Bewertung, die alle vier Jahre stattfindet, gibt es bereits seit fast 20 Jahren. Was sich jetzt ändert, sind allein die Bewertungskriterien und die Modalitäten.

Wird es auf diesem Wege tatsächlich möglich sein, die Dauer der Verfahren zu verkürzen und für mehr Effizienz im italienischen Justizsystem zu sorgen?

Ob diese Maßnahme der Einführung anderer Bewertungssysteme tatsächlich die Effizienz steigert, sei dahingestellt. Die italienischen Richter sind eh schon sehr produktiv, wenn man die statistischen Zahlen mit dem europäischen Ausland vergleicht. Die Probleme der Justiz in Italien hängen sicher nicht mit mangelnder Leistung und Vorbereitung der Richter sowie Staatsanwälte zusammen, sondern mit strukturellen Problemen. So mangelt es der italienischen Justiz beispielsweise an Personal und auch die Einteilung von Gerichtsbezirken ist nicht immer optimal.

Wenn nachweisliche Fehler von Seiten der Richter und Staatsanwälte begangen werden, die Verzögerungen bedingen, dann soll die Karriere der dafür Verantwortlichen ausgebremst werden. Ist es denn möglich, derlei Fehler nachzuweisen?

Es wird nicht immer möglich sein, derlei Fehler nachzuweisen. Man muss immer schauen, aus welchem Grund ein Urteil verzögert ausgesprochen worden ist, ob es wirklich ein Formfehler des Richters ist oder ob beispielsweise die Glaubwürdigkeit von Zeugen, die in erster Instanz gegeben schien, aber in zweiter Instanz angezweifelt wird. Es kann also zu Verzögerungen kommen, die nicht unbedingt dem Richter anzulasten sind.

Im Gegenzug sollen Unabhängigkeit, Produktivität und Fleiß belohnt werden. Wie sollen diese Faktoren gemessen werden?

Es gibt statistische Zahlen, mit denen Produktivität und Fleiß bewertet werden können. Schwieriger ist es da schon, den Inhalt zu bewerten, also ob jemand ein Urteil gut oder schlecht schreibt.

Wie wird die Bewertung vorgenommen? Wird es Noten wie in der Schule geben?

Vorher gab es drei Bewertungsebenen, mit den neuen Kriterien gibt es bei der positiven Bewertung jetzt noch Abstufungen in ottimo, buono und discreto wie im Schulnotensystem.

Werden auch Anwälte über ihre Vertretung im Regionalen Richterrat die Bewertung vornehmen?

Neben Richtern und Staatsanwälten werden im neuen System jetzt auch Anwälte ein Mitspracherecht haben. Dies stellt eine weitere Neuerung dar.

Wie häufig wird eine solche Bewertung durchgeführt werden?

Der Zeitraum der Bewertung bleibt. Es wird alle vier Jahren bewertet.

Vorgesehen waren außerdem psychologische Eignungstests für alle, die den Beruf des Richters anstreben. Warum wurde davon nun zunächst Abstand genommen?

Es gibt Staaten, wie zum Beispiel Österreich, wo psychologische Eignungstests zu Beginn der Karriere eingesetzt werden. Meines Erachtens ist der Einsatz dieser Tests jedoch schwierig, denn wie will man diese objektiv gestalten. Man müsste definieren, welche Eigenschaften ein guter Richter haben muss. Man kann sicherlich mit diesen Tests nicht feststellen, ob eine Person für diesen Beruf geeignet ist oder nicht. Besser ist es die 18 Monate Praktikum als Richteramtsanwärter für die Beurteilung heranzuziehen, ob jemand die charakterlichen Eigenschaften für den Beruf mitbringt. Sicherlich waren dies auch die Gründe, warum man von der Einführung der psychologischen Tests Abstand genommen hat.

Einige befürchten, dass dieses Gesetz nur dazu dienen würde, der EU Zugeständnisse zu machen, um an finanzielle Mittel zu gelangen, die an die Umsetzung einer strukturellen Reform gebunden sind. Stimmen Sie dieser Befürchtung zu?

Dieses Gesetz ist nur ein Teil der gesamten Reform des italienischen Justizsystems, um dieses effizienter zu gestalten. Dies ist auf Druck der EU entstanden, weil Italien ein Problem mit der langen Prozessdauer hatte und immer noch hat. Die ganze Cartabia-Reform, die auf Druck der EU zustande gekommen ist, dient dazu, die Justiz effizienter zu machen, was wiederum Voraussetzung für den Erhalt der Gelder ist.

Was halten Sie von dem verabschiedeten Gesetz?

Es wird hier etwas verkauft, was es eigentlich schon gibt. Die große Neuerung fehlt. Außerdem ist es doch mehr als fraglich, ob damit die Effizienz der italienischen Justiz gesteigert werden kann.

Interview: Sandra Fresenius

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