„Arbeitsmarkt ist leergefegt“
Der langjährige Gemeindesekretär Alfred Valentin sieht im aktuellen Personalmangel die Gefahr, dass Dienste von öffentlichen Institutionen reduziert werden müssen.
Tageszeitung: Herr Valentin, Sie haben beim Treffen zwischen Bruneck Aktiv und der Stadtgemeinde gesagt, dass eine zwangsweise Einschränkung der Dienste angesichts der sich zuspitzenden Personalsituation unumgänglich ist. Gilt das speziell für das CRON4 oder auch für andere Institutionen?
Alfred Valentin: Der Arbeitsmarkt ist leergefegt, de facto gibt es ihn nicht mehr. Der Bedarf an Arbeitskräften ist größer als das Angebot. Das bedeutet Stress und Existenzängste für so manchen Betriebsinhaber einerseits, aber auch für die verbliebenen Mitarbeiter andererseits. Die Folge davon ist, dass die Wenigen angehalten sind mehr zu leisten, mit der Gefahr, die Belastbarkeit zu strapazieren und das Betriebsklima zu gefährden. Das gilt, so denke ich, für alle Sektoren und alle Berufsbilder in unterschiedlicher Ausprägung. Auch der öffentliche Sektor leidet, eigentlich fast überall, von den Bauhöfen quer durch bis in die Planungsabteilungen, von den Pflegeeinrichtungen bis in die Operationssäle. Ich befürchte, dass wir die Talsohle noch nicht erreicht haben. Es wird zunehmend schwieriger, freiwerdende Stellen nachzubesetzen. Das hat es so noch nie gegeben. Im Hallenbad CRON4 haben wir einen Personalbedarf von 45 Mitarbeiter. Über die Hälfte davon kommen zurzeit aus dem Ausland, und zwar aus sieben verschiedenen Nationen und Kulturkreisen. Die Fluktuation ist dementsprechend groß und nicht immer finden wir zeitnah neues Personal. Diese besondere Herausforderung nimmt unser Betriebsleiter Arnold Thum an und meistert sie mit großem Einsatz und Engagement. Aber es zehrt an der Substanz.
Welche Dienste müssen eingeschränkt werden?
Sollte sich die Personalsituation weiter zuspitzen, kommen wir nicht umhin im Hallenbad Cron4 etwa die Öffnungszeiten zu reduzieren und/oder einen Ruhetag einzuführen. Wir kämpfen dagegen an, solange es geht. Ich kann das nur bedauern, denn der Zuspruch ist derzeit außergewöhnlich groß und die Besucherzahlen schießen nach oben. Wir haben die Energie- und Finanzproblematik in den Griff bekommen, jetzt hat uns die Personalproblematik voll erwischt.
Müssen auch in den öffentlichen Verwaltungen Dienste reduziert werden?
Die öffentlichen Verwaltungen und Gesellschaften haben im Kampf um Mitarbeiter an Attraktivität verloren. Sie können mit den Lockrufen der Privatwirtschaft kaum noch mithalten. Da drängt sich die Frage auf, welche Dienste sollen oder können oder müssen im öffentlichen Bereich gegebenenfalls reduziert werden? Gesundheitsdienste? Freizeitdienste? Pflegedienste? Sozialdienste? Verwaltungsdienste? Einiges erleben wir ja bereits hautnah. Die Antwort kann nur eine gesunde sozial verträgliche und ausgewogene Wirtschafts- und Sozialpolitik von oben sein, die steuert und nicht zulässt, dass es zu diesen Engpässen kommt. Steuern heißt einerseits auf das Gaspedal drücken und Fahrt aufnehmen, wenn das die Umstände verlangen, steuern heißt aber auch in die richtige Spur zu kommen und die Bremse zu aktivieren, bevor es kracht.
Ist die Reduzierung von Diensten die einzige Möglichkeit, dem Personalmangel in öffentlichen Institutionen entgegenzuwirken oder gibt es auch andere Möglichkeiten?
Die Not macht bekanntlich erfinderisch. Es wird dauernd an Lösungen gearbeitet, es wird reorganisiert und es werden neue Technologien eingesetzt. Das allein reicht nicht. Der öffentliche Sektor wird oft auch zu Unrecht als ineffizient und starr kritisiert. Der Dienstleistungssektor wie wir es sind, ist personalintensiv. Personen sind hier kaum ersetzbar. Ein Bademeister beispielsweise kann bis auf weiteres nicht durch künstliche Intelligenz ersetzt werden. Die Reduzierung oder die Auflassung von Diensten ist für jede Institution die letzte Wahl, so wie auch eine Betriebsschließung in der Privatwirtschaft immer schmerzhaft ist.
Welche Nachteile bringt diese Entwicklungen für die Bürger und wie groß sind diese?
Wir wurden in den letzten Jahren mit guten Diensten des Landes und der Gemeinden in vielen Bereichen verwöhnt. Viele sind neu dazugekommen. Wenn es um das Verzichten oder Einschränken von Diensten geht, sind wir nicht Weltmeister. Das haben wir auch im Cron4 in der Energiekrise miterlebt. Inwieweit wir das alles halten können, hängt von unserer Innovationskraft und unserer Kreativität ab. Der globale Personalbedarf ist errechenbar, das Personalangebot liegt auf der Hand. So gesehen eine einfache Rechnung. Die boomende Wirtschaft und die damit zusammenhängenden Entscheidungen haben den Personalbedarf in die Höhe getrieben, während die demografische Entwicklung das Angebot stetig reduziert und nicht mehr mithalten kann. Die daraus entstehende Differenz wird mit jeder neuen Betriebseröffnung und -Erweiterung größer und kann mittlerweile fast nur mehr mit Personal von außerhalb Südtirols gedeckt werden. Auch das hat seine Auswirkungen und seine besondere Problematik. Wir leben in einem sensiblen sozialen Ökosystem, das auf Veränderungen reagiert, zwar zeitverzögert, aber es reagiert. Das sollten wir nicht unterschätzen.
Das immer höher und immer mehr sei zu einem Bumerang geworden. Wie meinen Sie das?
Der Bumerang kann gefährlich zurückschlagen, wenn damit nicht fachgerecht genug umgegangen wird, das kennen wir. Ich meine damit, dass das vielgepriesene und manchmal blauäugig angestrebte maximale Wachstumsbestreben und der Bauboom der letzten Jahre nun wohl seine Auswirkungen zeigen, positive wie weniger positive. Daraus erwachsen besondere Herausforderungen wirtschaftlicher, sozialer und gesellschaftlicher Art. Das Personalproblem ist eine davon. Dieser Bumerang kommt zurück, etwas innehalten und langsamer täte uns gut.
Was müssen die öffentlichen Institutionen tun, um die Personalsituation zumindest langfristig wieder in den Griff zu bekommen?
Ich denke, hier geht es nicht um öffentlich oder privat. Alle haben wir das Problem. Die Ursachen sind bekannt, auch die breiten Auswirkungen. Wir müssen es schaffen, wieder einen Arbeitsmarkt auf die Beine zu stellen, der diesen Namen verdient. Angebot und Nachfrage sollten sich die Waage halten, damit keiner zu übermächtig wird. Die Politik hat diesbezüglich eine große Aufgabe vor sich. Wir haben außerhalb Südtirols eine unbezahlbare Ressource, unsere Sterne und unsere Studenten. Bemühen wir uns um sie mit guten Angeboten, organisieren wir ihren Umzug nach Südtirol, holen wir sie persönlich ab und legen wir ihnen einen roten Teppich aus. Ein Amtsdirektor etwa, mit der Erfahrung aus London täte uns gut. Da darf keine Bemühung zu groß sein.
Interview: Markus Rufin
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