Du befindest dich hier: Home » Kultur » „Leise flehen ihre Lieder“

„Leise flehen ihre Lieder“

Patricia Nolz und Daniel Heide: Ein Gesang, der die Kantilene der heftigen Prosodie vorzieht und den Liedgesang kammermusikalisch anlegt. (Foto: Markus Perwanger)

Die Mezzosopranistin Patricia Nolz singt, begleitet von Daniel Heide, beim Konzertverein Bozen Lieder von Robert Schumann, Johannes Brahms und Alexander von Zemlinsky.

Von Hubert Stuppner

Der Bozner Konzertverein ist die älteste bürgerliche Konzert-Vereinigung des Landes. Als Musikverein 1855 von den Mächtigen und Merkantilen der Stadt gegründet – übrigens im selben Jahr der Gründung der Bozner Sparkasse – 1927 aufgelöst und 1947 als Konzertverein wiederbelebt – war die Institution am Beginn ein Bund dilettierender Musikliebhaber, die Musik nicht als passives Zuhören verstanden, sondern als aktive Kammermusik-Praxis oder als Orchester-Spiel: Musikausübung vor allem als Statussymbol von Eliten und als poetische Ästhetisierung des prosaischen Alltags von Gewinn und Geschäft, wie es Dr. Josef Streiter in seinem Theaterprolog von 1859 darlegte: „Mehr als alle Güter der Erde wiegt die geistige Freiheit, die nach dem Wahren, Guten und Schönen strebt.“

Maßgeblich waren in der hiesigen Musik-Saga von Anfang an die Familien derer Von Walther. Bereits 1855 befand sich unter den Gründervätern des Musikvereins ein Walther von Walther (übrigens auch Gründungsmitglied der Sparkasse) und vor der Übernahme dieser glorreichen Institution durch den Faschismus, die auch das Eigentum der Vereinigung (Schule, Konzertflügel und Noten-Bibliothek) beschlagnahmte, stand dem Musikverein Dr. Willy von Walther, Abgeordneter und exzellenter Quartett-Spieler, vor. Und auch noch nach dem Krieg knüpfe ein Präsident aus der Von Walther-Dynastie mit der Wiederbelebung des Musikvereins– nun als „Konzertverein“- an die glanzvolle Vergangenheit an, nämlich Dr. Walther von Walther, dann Dr. Franz von Walther und nun Dr. Anton von Walther, selbst, wie sein Großvater, versierter Pianist.

Dies als Vorspann zum Verständnis der einmaligen Kontinuität und Tradition, die sich vor allem in den Programmen des Vereins niederschlägt: nämlich edle, erlesene Klassik, und davon das Beste vom Besten. Unter Dr. Walther von Walther gründete die Programm-Qualität auf vier Säulen: Streichquartette, namhafte Solisten, Pianisten und Liederabende. Unter der langjährigen künstlerischen Leitung von Dr. Josef Lanz fand eine Erweiterung in Richtung alte Musik statt. Nun, unter Führung des jungen Mathias Mayr, scheint das „Reinheitsgebot“ von zahlreichen Weltmusik-Angeboten aufgeweicht zu werden, was wohl dem Aktualisierungs-Wunsch der Musikpraxis entsprechen mag.

Am vergangenen Mittwoch fand nun der alljährliche obligate Liederabend statt. Ein klassischer mit dem Focus auf dem romantischen Lied des 19. Jahrhunderts. Die junge Lied-Sänger-Generation, wie die der Mezzosopranistin Patricia Nolz und ihres Begleiters Daniel Heide, durchläuft heute andere Stadien der künstlerischen Entwicklung als noch die älteren Liedsänger, die zum Lied erst in der stimmlichen und expressiven Fülle des Reifealters kamen. Andererseits rückt auch das 19. Jahrhundert – der Projektionshintergrund für das deutsche Lied – in immer weitere Ferne und den verbliebenen Rest an expressiver „romantischer Feuchtigkeit“ legt die alles lehrende und erklärende Akademie trocken.

Lieder sind nämlich per se romantisch: Sie sind der überschwängliche Tonfall der von Beethoven und Schubert initiierten hoch expressiven Musik. Sie sind überdies authentische sentimentale Briefe aus der deutschen Vergangenheit. Als intimes Seelengewächs entstammen sie der frühen Entfremdung der Menschen am Beginn des Industriezeitalters, eine märchenhafte Gegenwelt der Phantasie und Poetisierung der erbärmlichen Wirklichkeit.

Man kann dieses spezifisch Romantische in der Sprüche-Sammlung des jugendlichen Johannes Brahms  nachlesen, in der er mit dem Selbstverständnis eines E.T.A. Hoffmannschen „Kapellmeisters Kreisler“ in seinem Sprüche- „Schatzkästlein“ unzählige romantische Zitate von Novalis bis Tieck und Eichendorff sammelte und sich dem Motto von Adalbert von Chamisso verschrieb: „Was mir im Busen schwoll, mir unbewusst, ich konnt‘ es nicht verhindern, ward mir zum Gesang. Zum Liede ward mir jede süße Lust, zum Liede jeder Schmerz, mit dem ich rang.“

Grundlage für jeden romantischen Liederabend sind deshalb nicht nur intensives textbezogenes Singen -„Süße Liebe denkt in Tönen, nur in Tönen mag sie gerne alles, was sie will, verschönen“ (Tieck) -, sondern auch die geschlossene Darstellung des romantischen Repertoires in einem zusammenhängenden Konzertritual, bei dessen Vortrag sich eine überschwängliche und schwärmerische Diktion über die Stimme legt und das Publikum zu einer wahren Kunst-Andacht anregt. Die Aura eines echten Liederabends duldet da keine Wort-Meldung, am wenigsten die des Klavierpartners, wie in diesem Liederabend, als dieser mitten im romantischen Geschehen zur Erklärung des eingefügten dramatischen Monologs der Maeterlinck-Gesänge von Zemlinsky das Verhältnis der Schülerin Alma Schindler-Mahler zu ihrem Lehrer in Erinnerung rief und dabei vom gewählten hochromantischen Liedrepertoire mehr ablenkte als dieses – wiewohl engagiert und intensiv interpretiert – in der Stimmung verstärkte.

Die junge Sängerin Patricia Nolz, im Mozart‘schen Repertoire, Barock und Klassik bewährt, verfügt über einen warmen, angenehm vibrierenden Mezzosopran, womit sie auch im Lied auf Flügeln des leichtfüßigen Mozart‘schen Gesanges wandelt. Ihre Dynamik ist dem „Sanften Gesetz“ verpflichtet, denn „Leise flehen ihre Lieder“. Leise nicht nur im Brahmsschen „Immer leiser wird mein Schlummer“ und in der bezaubernden Schumannschen „Mondnacht“, sanft auch in den Steigerungskurven und in der Aussprache, bei der sie Konsonanten nur schwach anstößt und Melodien in Vokalisen verwandelt. Ein Gesang, der die Kantilene der heftigen Prosodie vorzieht und den Liedgesang kammermusikalisch anlegt.

Im erwähnten Sprüche-Kästlein hat Brahms auch die erzromantische musikalische Maxime von Schumanns notiert: „Wer sein Leben höher achtet als seine Kunst, wird nimmermehr ein Künstler sein.“ Für uns entfernte Interpreten der Romantik wohl etwas zu viel verlangt!

 

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentar abgeben

Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.

2024 ® © Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH/Srl Impressum | Privacy Policy | Netiquette & Nutzerbedingungen | AGB | Privacy-Einstellungen

Nach oben scrollen